Der Senat muss aufhören, das Repräsentantenhaus zu spielen

Der Senat muss aufhoeren das Repraesentantenhaus zu spielen


Der politische Kampf um den einst so angeschlagenen Senat nimmt mit jeder Wahl zu. In der Kampagne wird das Institut als mächtige politische Hochburg dargestellt, hinter den Kulissen wächst das Unbehagen über fehlende Expertise und Legitimität.

Frank Hendrix

Ben Knapen blickt wenig neidisch auf den laufenden Wahlkampf für den Senat. 2019 war der Ex-Minister und Ex-Journalist selbst noch Vorsitzender der CDA für den Senat. Auf Drängen seiner Partei nahm Knapen sogar an einigen Debatten teil.

„Ich dachte, es stünde kurz vor dem Wahlbetrug“, sagt das CDA-Mitglied rückblickend. „Wir haben dort darüber debattiert, was wir im Pflegebereich tun und lassen sollten, was wir im Bildungsbereich planen. Der Vorschlag ist, dass Sie Parteivorsitzender sind, dass Sie Vorschläge machen können, dass Sie für alles und jedes eintreten können. Der Senat hat diese Position überhaupt nicht. Wir schauen uns Rechnungen an, die einen langen Weg zurückgelegt haben, und sagen Ja oder Nein dazu. Da muss man bescheiden sein.“

Diese Bescheidenheit ist auch im aktuellen Wahlkampf kaum zu finden. Der Senat wird als entscheidendes Bollwerk präsentiert, das das Kabinett machen oder brechen kann. Paul Rosenmöller, Chef von GroenLinks, hat bereits angekündigt, dass die anstehenden Senatswahlen das Ende von „20 Jahren Rechtspolitik“ einläuten könnten. Umgekehrt warnte Edith Schippers vor dem Vormarsch der „linken Wolke“, die neun Steuern erheben möchte. Sie selbst würde am liebsten alle Steuern senken.

Vorwurf der Kündigung

In Wirklichkeit können die Senatoren keine eigenen Vorschläge machen. Sie können sporadisch durch Anträge politische Äußerungen machen oder durch sogenannte Novellen manchmal zusätzliche Gesetze durchsetzen, aber die Initiative liegt immer beim Kabinett und dem Repräsentantenhaus. Sie kommen mit Plänen und Gesetzen, gefolgt von einer einfachen Frage an den Senat: Unterstützen Sie diesen Vorschlag oder nicht?

Das war in der über 200-jährigen Geschichte selten sehr spannend, auch weil die Regierungsparteien seit 1918 stets „eine wohlwollende Mehrheit“ im Senat hatten. Manchmal mischte sich ein Koalitionssenator ein, aber in der Regel war der Senat eine ruhige Institution, die in der Öffentlichkeit wenig Emotionen hervorrief. Bei einer möglichen Abschaffung würden nur „die Boten an seinem Grab trauern“, wurde schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts höhnisch bemerkt.

Über eine Schließung des Senats wurde immer wieder nachgedacht – schon 1848 wegen der hohen Kosten –, aber nie konkretisiert, auch weil für eine Verfassungsänderung eine Zweidrittelmehrheit nötig ist. Um den Vorwürfen der Überflüssigkeit entgegenzuwirken, präsentierte sich der Senat gerne als Parlament erfahrener Teilzeitpolitiker, die die Qualität und Machbarkeit der bereits vom Abgeordnetenhaus verabschiedeten Gesetze genauer unter die Lupe nahmen.

Wer die Kampagne verfolgt, bekommt nun ein anderes Bild. Bei TV-Debatten über die Schließung der Grenzen gehen sich die Senatsspitzen in die Haare. Premierminister Mark Rutte warnt seine Wähler sogar davor, dass der Schwung der Linken jetzt gebrochen werden muss.

Möglicher Stolperstein

Der Kampf um den Senat tobt seit 2010. Kabinette können seitdem nur noch mit einer Mehrheit im Repräsentantenhaus rechnen; im Senat regiert die Opposition. „Ein Wendepunkt“, sagt der berufene Professor für Parlamentsgeschichte Bert van den Braak in seinem kürzlich erschienenen Buch Der Senat 1996-2021. Zwischen nützlich und unnötig. Der Senat entwickelt sich zu einem potenziellen Stolperstein für die Kabinette.

Damit keine Vorschläge verloren gehen, werden im Repräsentantenhaus Absprachen mit der Opposition getroffen, damit auch deren Parteikollegen im Senat dafür stimmen. Diese Logik geht fast immer auf: Senatoren stimmen kaum anders ab als ihre Parteikollegen im Repräsentantenhaus – die Opposition ist da noch disziplinierter als die Koalition.

Der Einsatz für die anstehenden Wahlen: Die Koalition will die Machtposition der Opposition minimieren, die Opposition strebt das Gegenteil an. Das Ergebnis ist ein Wahlkampf, der für Außenstehende schwer zu erklären ist: Der Provinzialrat wird am 15. März gewählt, aber die Parteiführer blicken hauptsächlich auf den 30. Mai, wenn die Abgeordneten den Senat wählen.

Um die normalerweise magere Wahlbeteiligung anzukurbeln, finden Debatten zwischen Politikern statt, die niemand wählen kann. Am 12. März werden beispielsweise Jesse Klaver (GroenLinks) und Attje Kuiken (PvdA) im Fernsehen mit den VVD-Mitgliedern Mark Rutte und Edith Schippers die Klingen kreuzen, aber keiner von ihnen wird am 15. März auf dem Stimmzettel stehen. „Ein ziemlich bizarres System“, räumte Rutte bereits 2011 ein. „Ich bin nicht darauf gekommen.“

„Staatssumpf“

Die gestiegene Aufmerksamkeit für den Senat zeige sich nicht nur in den vierjährlichen Wahlkämpfen, sondern betreffe nun auch die Arbeitsweise des Instituts selbst, stellen die sitzenden Senatoren fest. Diejenigen, die sich im Zentrum eines politischen Kampfes befinden, werden sich bald stärker manifestieren, schließt Ruud Koole, pensionierter PvdA-Senator. „Die Wahl des Senats erhält mehr Aufmerksamkeit und das spiegelt sich im Verhalten wider: Die Mitglieder des Senats agieren politischer.“

Dies führe laut Koole regelmäßig zu einem „verfassungsrechtlichen Sumpf“, etwa wenn der Senat genutzt werde, um eine Niederlage im Repräsentantenhaus rückgängig zu machen oder zu rächen. »Angenommen, es gibt einen Antrag auf Herabsetzung der Mieterhöhung. Er wird im Repräsentantenhaus abgelehnt, dann aber nahezu unverändert im Senat erneut vorgelegt und dort angenommen. Ich finde das fragwürdig, aber es ist ein Dilemma. Wenn wir aus verfassungsrechtlichen Gründen – der politische Vorrang liegt beim Abgeordnetenhaus – gegen solche Anträge stimmen, während wir inhaltlich dafür sind, werden wir sofort von den Petenten eingerahmt: Sehen Sie, die PvdA stimmt gegen weniger Mieterhöhungen. Es ist oft ein Wahlkampfinstrument, nur um politischen Gewinn zu erzielen.‘

Bereits 2020 führte die politische Instrumentalisierung des Senats zu einer harten Auseinandersetzung mit Kajsa Ollongren, die sich als Innenministerin gegen eine Mietpreisbremse weigerte. Sie hatte Unterstützung im Repräsentantenhaus, aber nicht im Senat. Als sie sich trotz Drängen der Opposition im Senat weigerte, die Mieten einzufrieren, musste sie dafür mit einem Misstrauensantrag der SP bezahlen – was bis dahin kaum vorgekommen war. Es gab keine Konsequenzen: Ollongren hatte die Unterstützung des Repräsentantenhauses und machte weiter.

‚Teilzeitkräfte‘

Koole warnt vor Selbstüberschätzung im Senat. „Wenn Sie das Repräsentantenhaus vollständig spielen, wird dies schließlich zur Abschaffung des Senats führen. Dann wird man wirklich zum Duplikat und die Leute werden irgendwann sagen: Wir haben uns direkt für das Repräsentantenhaus entschieden, da kann der Senat nicht immer durchfahren. Am Ende wird das direkt gewählte Haus gewählt.‘

Ben Knapen von der CDA stellt fest, dass der Senat häufiger auf Instrumente zurückgreift, die traditionell eher dem Repräsentantenhaus vorbehalten sind, wie Anträge, Anhörungen und Sitzungen mit Experten. „Als Teilzeitbeschäftigte haben wir überhaupt nicht die Befugnis, eine Art Alternative zum Repräsentantenhaus zu werden. Die Menschen wählen bei den nationalen Wahlen Parteien, die das Land regieren sollen, nicht bei den Wahlen zum Provinzrat. Bescheidenheit trägt tatsächlich zur Schärfe der Rolle des Senats bei. Wir müssen tun, wofür das Repräsentantenhaus keine Zeit hat.‘

Senator Ben Knapen (CDA): „Wir müssen tun, wofür das Repräsentantenhaus keine Zeit hat.“Bild ANP

Auch der Historiker Van den Braak stellt in seinem Buch fest, dass ein Senat, der sich erweitert und sichtbarer wird, auch die Diskussion über seine eigene Legitimität befeuern wird. „Ist es vertretbar, dass der indirekt gewählte Teil des Parlaments insgesamt mehr Macht hat (weil letzterer ein absolutes Vetorecht bei der Gesetzgebung hat) als der direkt gewählte Teil?“

Hinzu kommt eine weitere Bedrohung: Der zunehmende politische Durchsetzungsdrang geht einher mit wachsender Kritik am inhaltlichen Beitrag des Senats. Macht das Raum der Reflexion sind seine eigenen Behauptungen als Wächter einer soliden Gesetzgebung wahr? Sicher ist, dass auch der Senat in den vergangenen Jahren nicht verhindern konnte, dass die harte Betrugsgesetzgebung beim Kinderbetreuungsgeld aus den Fugen gerät. Das später vom Staatsrat aufgehobene Gesetz zum Stickstoffkonzept passierte den Senat mühelos.

Geräusche machen

Boris Dittrich, Ex-D66-Chef und jetziger Senator, meint, dass sich der Senat wieder stärker auf die Prüfung von Gesetzen konzentrieren sollte, aber das werde in einer zersplitterten politischen Landschaft mit immer kleineren Fraktionen immer schwieriger. „Man sieht schon, dass sich kleinere Gruppen bei vielen Gesetzentwürfen gar nicht beteiligen“, sagt Dittrich. „Logisch, weil es einfach viel Arbeit ist. Wir müssen mehr in die Qualität der Arbeit investieren, für die wir stehen. Das ist, was fehlt.‘

Anders als seine Partei D66 glaubt Dittrich nicht, dass der Senat besser einem Verfassungsgericht weichen sollte, in dem Gesetze gegen die Verfassung geprüft werden können. „Durch meine Arbeit im Ausland habe ich erlebt, dass ein solches Gericht oft mit der Politik kollidiert. Es gibt alle Arten von Haken und Ösen, und es wird zu Verzögerungen kommen. Entscheidend ist, dass wir die Qualität der Gesetzgebung garantieren und das kann der Senat. Aber dann müssen wir uns stärken.“

Dies sei laut Dittrich auch wegen der Entwicklungen im Abgeordnetenhaus wichtig. „Da gibt es jetzt zwanzig Fraktionen, die sich alle profilieren müssen. Gesetzgebungsberatungen sind nicht sexy. Das erkennt man an der Qualität der Gesetze. Es ist nicht hoch.‘

Bundestagsabgeordneter Boris Dittrich (D66): „Legislative Konsultationen sind nicht sexy.“  Figur Els Zweerink

Bundestagsabgeordneter Boris Dittrich (D66): „Legislative Konsultationen sind nicht sexy.“Figur Els Zweerink

Es bleibt die Frage, wie der Senat dem entgegenwirken kann. Ein erheblicher Teil der Senatsparteien, so Knapen, habe „das Geschäftsmodell Misstrauen“ und sei vor allem darauf aus, Lärm zu machen. Die anderen Fraktionen schrumpfen und haben weniger Platz für Spezialisten wie Verfassungsrechtler und Steuerfachangestellte, die „Unstimmigkeiten oder Interessenkonflikte aufdecken“ können. „Mit zunehmender Fragmentierung wird es schwieriger, die Breite innerhalb der Fraktionen für die notwendige Expertise zu organisieren“, sagt Knapen. „Der Senat besteht wie das Repräsentantenhaus zunehmend aus zufälligen Generalisten.“

Ansprüche versus Kompetenzen

Die Kombination aus zunehmenden politischen Ansprüchen und abnehmenden inhaltlichen Kompetenzen kann schließlich zu neuen Diskussionen über die Existenzberechtigung des Senats führen. Die letzte Landeskommission, die das parlamentarische System untersuchte, ging in ihrem Bericht nicht auf die Möglichkeit der Senatsschließung ein. Laut Koole, der Mitglied des Staatskomitees war, geschah dies aus „praktischen Erwägungen“, da es derzeit keine Zweidrittelmehrheit für die Abschaffung gibt.

Trotzdem schließt Koole nicht aus, dass die Stimmung doch noch umschlägt. „Der Senat ist wichtig, aber er muss auf sich selbst aufpassen und darf nicht zu sehr in den politischen Gewässern des Repräsentantenhauses landen“, sagt das PvdA-Mitglied.

Selbst Ben Knapen von der CDA – einer Partei, die dem Senat immer ein warmes Herz entgegengebracht hat – scheint nicht ganz davon überzeugt zu sein, dass die aktuellen Entwicklungen ein Garant für eine unbeschwerte Zukunft des Senats sind. „In vier bis acht Jahren“ werden wir mehr Erfahrung in der fragmentierten Landschaft haben. Dann sollten wir uns noch einmal den Senat ansehen, um zu sehen, was Weisheit ist.“



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