Hallo Arnout, heute warst du auf einer großen Demonstration gegen die polnische Regierung. Was ist los?
„Am 15. Oktober findet in Polen die Wahl statt, und es ist hier ein ziemlich intensiver Wahlkampf.“ Auf der einen Seite steht die konservative Regierungspartei PiS, die seit 2015 an der Macht ist. Die größte Oppositionspartei versucht mit aller Kraft, sie von einer dritten Amtszeit abzuhalten.
„Deshalb veranstalteten sie im Juni einen Oppositionsmarsch.“ Heute fand eine zweite Demonstration statt. Es ist eine Möglichkeit, Widerstand zu schüren und Menschen zu mobilisieren. Das ist dringend nötig. Sowohl die Regierungspartei PiS als auch die größte Oppositionspartei Bürgerplattform liegen in den Umfragen bei rund 30 Prozent.
Wie viele Leute waren da?
„Das Warschauer Rathaus hatte eine Million Demonstranten, aber der Bürgermeister ist ein wichtiges Mitglied der Oppositionspartei.“ Die staatliche Nachrichtenagentur spricht von 100.000 Demonstranten, sie seien aber ein weiteres Sprachrohr der Regierung. Ich habe unter den Menschen gestanden und vermute, dass es mehrere Hunderttausend waren. Doch die Tatsache, dass sich niemand auf diese Zahl einigen kann, ist bezeichnend für den Zustand des Landes. Es zeigt, wie polarisiert die polnische Gesellschaft ist.“
Worüber sind die Demonstranten wütend?
„Wenn man die Leute fragt, kommen sie auf eine lange Liste.“ Das Verschwinden der Unabhängigkeit der Justiz aufgrund des politischen Drucks auf die Gerichte. Über den Einfluss der Regierung auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder Schulen. Die Leute sagen: „Polen sollte einfach ein normales Land werden, mit normalen Schulen, einer normalen Regierung.“ Sie haben das Gefühl, dass jeder dieser Aspekte unter Druck steht.“
Sind diese Bedenken berechtigt?
‚Sicherlich. Als die PiS 2015 an die Macht kam, sagte der damalige Führer: Wir müssen Polen gründlich reformieren und dafür brauchen wir drei Amtszeiten. Wir haben gesehen, was seitdem passiert ist: Kritische Richter wurden zum Schweigen gebracht und der Druck auf die Medien hat zugenommen. Nicht nur der öffentlich-rechtliche Rundfunk, sondern auch regionale Zeitungen und Medien fallen nun in den Einflussbereich der Regierung. Ihr Verlag wurde von der polnischen Staatsölgesellschaft aufgekauft. Über einen juristischen Umweg hat die Regierung zudem die Abtreibungsgesetzgebung verschärft. Und es gibt scharfe Rhetorik gegen Migranten und LGBTI-Personen.“
Und doch bleibt die konservative Regierungspartei in den Umfragen knapp die stärkste Partei. Was sagt das über das Land aus?
„Die PiS hatte über die Jahre immer etwa 30 bis 40 Prozent der Wähler. Gleichzeitig ist die Opposition kein großer Block, sondern besteht aus mehreren Parteien. Die Bürgerplattform ist die größte Oppositionspartei, aber sie ist Mitte-Rechts. Während des Marsches sprach ich mit einem 55-jährigen Mann, der erwähnte, was mir auch aufgefallen war: dass es wenige junge Demonstranten gab. Man sieht, dass junge Leute auf die Flanken rücken: entweder ganz weit nach links, oder ganz weit nach rechts. Eine solche zentristische Partei kommt bei jungen Polen nicht besonders gut an. Das macht es schwierig, eine Faust zu machen.
„Gleichzeitig ist es auch ein Faktor, dass es einfach kein faires Spiel ist.“ Um die Wähler zu beruhigen, erhöhte die Partei kürzlich das Kindergeld. Sie hat auch neue Wahllokale an Orten eröffnet, an denen sich ihre Anhänger befinden, beispielsweise in ländlichen Gebieten. Ich habe gerade den öffentlich-rechtlichen Sender geschaut, und da war eine flüchtige Erwähnung der Demonstration in Warschau. Sie stellten es als eine kleine Demonstration dar, was es eindeutig nicht war. Stattdessen werden den Zuschauern Bilder vom Parteitreffen der Regierungspartei präsentiert. Die Opposition muss daher viel härter kämpfen. Neben der Militanz schmeckt man auch viel Pessimismus.“
Wie werden Ihrer Meinung nach die Wahlen ausgehen?
„Es ist politisch ein dynamisches Land und in zwei Wochen kann viel passieren.“ Sicher ist, dass der Wahlkampf beispiellos erbittert sein wird. Wenn Sie den Fernseher einschalten oder die Zeitung aufschlagen, trifft es Sie bereits hart. „Beide Parteien haben heute den Endspurt gestartet, und der wird sich nur noch verstärken.“