Das Angebot an neuem, kontroversem und gerne auch ein wenig obszönem Pop aus Deutschland bleibt weit hinter dem aus anderen Nachbarländern zurück. Schade, denn von dort kommt jede Menge schöne Musik.
Smartphone-Lichter in der Luft und natürlich Mitsingen Atemlos durch die Nacht; Am Mittwochabend wird der deutsche Schlagerstar Helene Fischer im Gelredome-Stadion in Arnheim spielen. Das ist kein Einzelfall mehr, denn das hat sie schon 2018 gemacht. Dennoch bleibt ein so großer Auftritt einer deutschen Künstlerin etwas Besonderes. Denn hinter dem Erfolg von Fischer und der Metal-Band Rammstein, die seit zwanzig Jahren auch die größten Bühnen der Niederlande bespielt, verbirgt sich eine beunruhigende Leere.
Das Angebot an neuem, kontroversem und gerne etwas widerspenstigem Pop aus dem großen Nachbarland bleibt weit hinter dem aus anderen Nachbarländern zurück. Während hier belgische, schwedische, norwegische, dänische und britische Künstler die Hallen und Festivals rocken, sehen wir auf den Bühnen selten einen aufstrebenden deutschen Popnamen, mit Ausnahme von Metal und Dance. Und wenn im niederländischen Musikradio deutscher Pop gespielt wird, ist es oft derselbe Hit aus längst vergangenen Zeiten. Wieder das Lied von Nena oder Herbert Grönemeyer, oder gleich: das niederländische One-Hit-Wonder Haus Am See von Peter Fox.
Über den Autor
Robert van Gijssel ist seit 2012 Musikredakteur de Volkskrantmit besonderem Interesse an elektronischer Musik und Tanz sowie den härteren Musikgenres.
Es wird Deutschland nicht gerecht. Es ist ein riesiges Popland, das die Popkultur mitgeprägt hat. Die Krautrock-Band Tangerine Dream zum Beispiel war der Pionier der elektronischen Musik, ebenso wie Kraftwerk, das sogar den amerikanischen Hip-Hop inspirierte. In den Achtzigern eroberte die Neue Deutsche Welle dank der engagierten Arbeit von Nina Hagen und Bands wie Die Ärzte und Palais Schaumburg die Welt. Es folgten in den Nullerjahren außergewöhnliche Erfolge mit den Bands Die Toten Hosen und Wir Sind Helden, die es bis zum Pinkpop schafften.
Aber in den letzten Jahren ist Armut zu einem Problem geworden. Das Showcase-Festival Eurosonic bringt jedes Jahr eine Handvoll junger deutscher Bands nach Groningen, doch nur wenige schaffen es, in die Clubszene vorzudringen. Oftmals scheint die Sprachbarriere oder gar eine Abneigung gegenüber Deutsch die Ursache dafür zu sein. Wenn eine Band in den Niederlanden bereits (und nur von kurzer Dauer) Erfolg hat, wie zum Beispiel die Indie-Band Giant Rooks, dann ist die in den Songs verwendete Sprache oft Englisch.
Wenn ein Pop-Veranstaltungsort deutsche Bands gegen den Strom programmiert, wie etwa das Metropool in Hengelo und Enschede, kommt fast ausschließlich deutsches Publikum von jenseits der Grenze. Laut Metropool-Programmierer Frank Satink gibt es auch ein Problem. „Diese Bands sehen, dass sie viele Deutsche hierher locken und deshalb kein neues niederländisches Publikum aufbauen.“ Dann wäre es für sie besser, weiter in ihrem Heimatland zu touren. „Es ist eine Schande“, sagt er. „Weil von dort viel schöne Musik kommt.“
Das können wir bestätigen. Hören Sie selbst einer neuen Welle deutscher Talente zu, die beweisen, dass es mehr gibt als Helene Fischer und Rammstein.
Betterov – Viertel vor Irgendwas
Manuel Bittorf alias Betterov arbeitete in einer Waschmaschinenfabrik, folgte aber seinem Herzen. Er schrieb Lieder, sang bei Talentwettbewerben, absolvierte eine Ausbildung an einer Pop-Akademie und ist heute ein vielversprechender deutscher Pop-Boy, der sich von der goldenen Ära der Achtzigerjahre inspirieren lässt. Sind Viertel vor Irgendwas ist ein ruhig rockender Kampfsong gegen Langeweile und Apathie.
AnnenMayKantereit – Lass es Kreisen
Etwas seltsam ist, dass der Kölner Band AnnenMayKantereit der internationale Durchbruch noch nicht gelungen ist. In Deutschland spielte die subtile Rockband mit dem hervorragenden Sänger Henning May die größten Festivals. Und im Vereinigten Königreich und in Irland gab es sogar einen bescheidenen Hit: ein Cover von Suzanne Vega Tom’s Diner. Zeit für eine niederländische Clubshow. Wer traut sich?
Ski Aggu – Gensehaut
Wir kennen sogar Ski Aggu in den Niederlanden. Aber dank seiner Zusammenarbeit mit unserem Rapper/Sänger Joost Klein und seinem (deutschen) Hit Friesenjung. Ski Aggu ist einer der am schnellsten aufstrebenden deutschen Rapper und in Gensehaut wir erfahren warum. „Mit Speedos on the Stage kennt Crowd alle Songs.“ Trinke kein’n Moët, ich mag den Sekt von Aldi lieber.‘
Naima – Immer alles
Naima Husseini aus Berlin macht seit dreißig Jahren Musik und ist daher nicht gerade ein aufstrebendes Talent. Zum Beispiel auf ihrem Album Immer alles enthält Juwelen an Liedern, die auch vor Jugendlichkeit strahlen. Sie wird in den kommenden Monaten überall spielen, von der Schweiz bis nach Frankreich. Aber natürlich nicht in den Niederlanden.
Mola – Das Leben ist schön
Isabella Streifeneder aus München wurde mit einem goldenen Stift in der Hand geboren. Als Sängerin Mola bringt sie scharf geschriebene und ebenso pointiert gesungene Lieder hervor. In Das Leben ist schön Sie singt über die menschliche Unfähigkeit, wirklich zu lieben. „Das Leben ist manchmal ein Hundesohn.“ Aber ich vergesse, dass ich es getan habe, meine Tat.‘
Frittenbude – Insel
Frittenbude ist eine Berliner Band mit politischem Herzen. Sie stehen auf den Barrikaden gegen rechtsextreme Gewalt, hoffen aber auch, mit ihrem fröhlichen Elektropunk einen Weg aus der Dunkelheit aufzuzeigen. Schöne Sätze: „Du bist immer glücklich.“ Bis der Wind wieder gut steht. Dann wird es klarer, egal wer kommt.“
Der deutsche Star Helene Fischer ist mehr als eine Sängerin, wie sie bei einem früheren Besuch im Gelredome zeigte. „Neben ihrer Tätigkeit als Sängerin profiliert sich Fischer auch als athletische Zirkusartistin, die von zwanzig professionellen Akrobaten unterstützt wird“, schrieb die Rezensentin de Volkskrant. „Dass sie beim Drehen und Schwanken einfach weiter singt, ist ein Wunder.“