Der Mann warf einen Blick auf die Werbetafel und sagte ohne Einleitung: „Mein Sohn ist auch schwul.“

Olga kann meine Handtucher haben ja jeder

Sylvia Wittemann

Vor dem Regen geschützt, stand ich unter einer Café-Markise und betrachtete eine Reklametafel auf der anderen Straßenseite. Es war ein Werbespot von Calvin Klein. Es zeigte einen schönen Jungen, nackt bis auf eine Unterhose, in einer provokativen, frontal geduckten Pose.

„Solche Frauen könntest du wirklich nicht mehr fotografieren“, empörte sich Mitbewohnerin P. neulich über jenes Plakat, worauf ich erwiderte: „Jetzt weißt du auch, wie das ist.“ (Filmtipp: Anschauen Je ne suis pas un homme facile (2018), eine Rom-Com über einen Macho, der sich plötzlich in einer auf dem Kopf stehenden Welt wiederfindet, in der Frauen Bier trinken, während sie ihre Pobacken quetschen, und Männer sich ängstlich die Beine enthaaren. Sehr französisch, aber witzig.)

Neben mir unter der Markise stand ein stämmiger Mann von etwa 65 Jahren, warm eingehüllt in einen Parka, der für Wachstum gekauft wurde. „Ein echter Volkstyp“, hätte meine verstorbene Großmutter mütterlicherseits ihn schnippisch genannt. Der Mann warf einen Blick auf die Werbetafel und sagte ohne Einleitung: „Mein Sohn ist auch schwul. Mein jüngster Sohn. Ich denke, es ist am besten. Und ich habe einen weiteren Sohn und eine Tochter und ein drittes Enkelkind auf dem Weg, also hören Sie mich nicht klagen.‘

„Gut“, sagte ich. Der Mann fuhr fort: „Nein, ich habe nichts gegen Schwule. Und mein Sohn hat einen festen Freund, einen wirklich guten Kerl, also was würde ich tun? Jedem das Seine. Nur, wissen Sie, was es ist? Diese Typen werfen Geld. Mit Backen. Ich kann es nicht ertragen, es zu sehen. Teure Kleidung, Urlaub in fernen Ländern, Luxusessen. Lachs und so. Nein, warte, kein Lachs. Aber irgendwas mit s. Ich dachte…‘

Er schwieg einen Moment, grübelte und fuhr fort: „Nein, ich habe nichts gegen Schwule. Aber diese Typen haben keine Kinder, oder? Macht Sinn, zwei Männer. Und beide haben hochbezahlte Jobs. Ja, dann hast du Geld übrig. Ich sage, legen Sie etwas für Ihr Alter beiseite, aber das tun sie nicht. Dann kaufen sie eine so teure Uhr, die man zu Hause lassen muss, wenn man in die Stadt geht, sonst wird sie einem aus dem Handgelenk gezogen. Kannst du auch einen weiteren Schlag für deine Kanis bekommen? Unglaublich gefährlich.«

Er seufzte. „Hey, verdammt noch mal, wie hieß der Fisch. Kennen Sie einen teuren Fisch mit einem s?‘ Ich dachte. „Stör?“, schlug ich vor, aber er schüttelte den Kopf. ‚Noch nie davon gehört. Nun, vielleicht war es auch nicht mit einem s. Ich weiß nicht. Luxusfisch, ja. Bei Gaststätten. Zwei-, dreimal die Woche. Nein, ich habe nichts gegen Schwule, überhaupt nicht. Aber sie sollten nicht so viel Geld verschwenden. Ein Hering ist auch schön.“



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