Da ist der CEO, im dunkelblauen Anzug vor einem blauen Bildschirm, die Hände feierlich, aber auch etwas ungeschickt gefaltet. „Liebe Kolleginnen und Kollegen“, beginnt er seine Videobotschaft an die Mitarbeiter. „Die letzten Wochen und Tage waren hektisch. Für uns alle.‘
Der CEO hat „eine furchtbar beschissene Botschaft“. Es sei ihm nicht gelungen, „alle Mitarbeiter zu halten“ für VDL Nedcar. Unter den 3.800 Mitarbeitern wird es Entlassungen geben. Möglicherweise viele Entlassungen. Vielleicht fällt sogar der Vorhang für die einzige Autofabrik in den Niederlanden, auch wenn CEO Willem van der Leegte dies diese Woche nicht mit so vielen Worten sagt.
Über den Autor
Bard van de Weijer ist Wirtschaftsredakteur bei de Volkskrant und Spezialist auf dem Gebiet der Energiewende. Er konzentriert sich auf die Probleme, mit denen Verbraucher, Unternehmen und Regierungen konfrontiert sind.
Es ist nicht das erste Mal, dass der Ruin droht: Vor mehr als zehn Jahren war es auch schon fast vorbei, als der Vorbesitzer, der japanische Mitsubishi, den Stecker zieht und Hunderten Mitarbeitern die Entlassung droht.
Die Rettung kommt 2012 von der VDL Groep, einem Eindhovener Mischkonzern im Besitz der Familie Van der Leegte. VDL übernimmt das Werk für 1 Euro und bringt sofort einen neuen Kunden mit: BMW. Damals feierte der Autobauer Erfolge mit dem Mini, der britischen Marke, die zuvor von den Deutschen übernommen und modernisiert worden war. Die Nachfrage nach Minis ist größer, als BMW bewältigen kann, und VDL Nedcar springt ein, um zu helfen.
Es wird ein großer Erfolg sein. Im Jahr 2014, dem ersten Produktionsjahr, werden wieder 20.000 Autos vom Band rollen. Ein Jahr später sind es bereits fast 60.000.
Erste Risse
BMW bestellt immer mehr Autos und beauftragt VDL Nedcar, das gute Qualität liefert, auch mit dem Bau weiterer Modelle. Im Spitzenjahr 2018 wurden mehr als 210.000 Fahrzeuge produziert. Damit nähert sich das Werk seinem Glanzjahr 1999, als 262.000 Autos für die damaligen Eigentümer Volvo und Mitsubishi produziert wurden.
Der Erfolg scheint endlos. Aber das Management ist immer noch besorgt. BMW ist zwar ein toller Kunde, aber auch der einzige Kunde. „Ein Kunde ist kein Kunde“, sagt Paul van Vuuren, der einige Jahre zuvor zum Direktor ernannt wurde. Sollte sich BMW jemals dazu entschließen, das Unternehmen zu verlassen, wird sein Unternehmen sofort arbeitslos sein.
Im Jahr 2019 scheint dieses Risiko erstmals sichtbar zu werden. Die Nachfrage von BMW ist rückläufig, was noch nie zuvor passiert ist. Ist das ein Trend? Oder war das Vorjahr außergewöhnlich gut? Wie lange bleibt der Mini beliebt und baut BMW mit den Niederländern auch einen möglichen Nachfolger? Die Unsicherheit über die Zukunft wächst.
Der Rückgang der BMW-Produktion ist kein Zufall: Die Produktion geht jedes Jahr zurück. Allerdings gibt es auch beruhigende Neuigkeiten; 2019 schließt Nedcar einen Vertrag mit den Deutschen ab, die versprechen, bis 2030 weiterhin Autos in Born zu bauen. Es scheint also Zeit zu sein, in aller Stille nach einem zweiten Kunden zu suchen.
Katastrophenszenario
Bald darauf verändert sich die Welt. Ein Handelskrieg mit den USA beginnt seinen Tribut zu fordern, gefolgt von der Corona-Pandemie, die die Produktionsketten weiter stört. Die Autoverkäufe brechen ein.
BMW zerreißt im Oktober 2020 den Vertrag: Statt jahrelang zu bauen, werden die Deutschen Ende 2023 (später verschoben auf März 2024) aussteigen, wird klar. Für VDL Nedcar bahnt sich das gefürchtete Katastrophenszenario an: Das Unternehmen hat seinen einzigen Kunden verloren.
Der Schlag wird von Management, Mitarbeitern und Gewerkschaften eher lakonisch aufgenommen. Schließlich verbleiben noch drei Jahre, um einen neuen Kunden zu finden. „Es ist nicht das erste Mal, dass das passiert“, sagt Produktionsmitarbeiter Peter zu einem Reporter von de Volkskrant an dem Tag, an dem der Abgang von BMW bekannt gegeben wird. „Hier gab es immer ein Auf und Ab – Volvo raus, Mitsubishi raus.“
Auch der damalige Regisseur Van Vuuren ist optimistisch. Kontakte zu anderen Parteien seien bereits geknüpft worden, sagt er im Jahr 2020. Das Unternehmen spreche mit Autoherstellern in den USA und in Südostasien, in China und Südkorea. Er möchte keine Namen nennen. Aber die Botschaft dahinter ist: Es wird gut. Auch die Gewerkschaften sind nicht allzu besorgt.
Die Zeit wird knapp
Es dauert lange, bis der Neukunde den Köder annimmt. Die Zeit wird knapp. Im Sommer 2021 findet VDL Nedcar endlich eines: das Elektro-Start-up Canoo, das eine schöne Box auf Rädern entwickelt hat.
Canoo ist sicherlich nicht die Rettung von VDL Nedcar, das weiß jeder. Denn die Produktion wird höchstens ein paar tausend Fahrzeuge betragen. Aber es ist ein Anfang. Die Romanze endet jedoch schnell, Canoo zieht sich zurück. VDL Nedcar hat bereits ein zweites Eisen im Feuer. Man hofft, mit Rivian Geschäfte machen zu können. Zugegebenermaßen auch ein Start-up (amerikanisch), aber mit viel mehr Potenzial.
Rivian, das unter anderem Elektro-Pick-ups baut, ist nach erfolgreichem Börsengang 125 Milliarden Dollar wert; mehr als beispielsweise ein Oldtimer wie Ford. Investoren, die auf einen zweiten Tesla-Erfolg hoffen, investieren massiv Geld in das Unternehmen.
Doch es geht schief: Rivian kann die hohen Erwartungen nicht erfüllen und der Aktienkurs sinkt. Eine Überfahrt nach Europa ist mittlerweile zu riskant. Um Rivian bleibt es ruhig und auch andere große Deals kommen nicht zustande.
In der Zwischenzeit will VDL Nedcar eine neue Fabrikhalle bauen. Es muss Platz für einen zweiten Kunden bieten. Doch um die Halle zu bauen, muss zum Ärger der Anwohner und Naturschützer ein benachbarter Wald abgeholzt werden. Sie finden es verrückt, dass ein Wald geopfert werden muss, obwohl noch nicht einmal die Aussicht auf einen neuen Kunden besteht. Der Wald wird besetzt und dann gerodet, danach beginnt der Holzeinschlag. VDL Nedcar hat Raum für Expansion.
Wut
Mittlerweile verrinnt die Zeit und die Unruhe unter Arbeitnehmern und Gewerkschaften wächst. Diese Unruhe schlägt in Wut um, als sich herausstellt, dass sich VDL aus dem Gewinn des Autobauers für 2022 eine Dividende in Höhe von 300 Millionen Euro ausgezahlt hat FD den Betrag in die Tochtergesellschaft zu reinvestieren, wenn sich ein neuer Kunde präsentiert.
Beschäftigte, denen massenhaft der Verlust ihres Arbeitsplatzes droht, bezeichnen es als eine Schande, und die Gewerkschaften bezeichnen den Sozialplan als minderwertig. Es kommt zu einem wilden Streik, dem ein offizieller Streik folgt. Zur Beruhigung zeichnet CEO Willem van der Leegte seine Videobotschaft auf und verspricht einen guten Sozialplan, „der die Wertschätzung für alles zum Ausdruck bringt, was wir gemeinsam erreicht haben“.
Laut Van der Leegte war die Zeit zu knapp, um einen neuen Kunden zu finden. Es könnte noch sein, dass chinesische Hersteller in ein paar Jahren mehr Elektroautos in Europa verkaufen und sich hier nach einer geeigneten Fabrik umsehen. Doch für viele Arbeitnehmer ist das zu spät. Einige (wie viel ist noch unbekannt) werden ihren Job verlieren. „Darüber bin ich sehr enttäuscht“, sagt Van der Leegte im Video. „Und für dich tut es mir furchtbar leid.“
Mit dem Bau der neuen Fabrik wurde nie begonnen. Von dem Wald, der für die Ausweitung gerodet wurde, ist nur noch ein ödes, kahles Feld übrig.