Der Krieg zwischen Israel und der Hamas könnte zu einem Spaltungsthema für die europäische Gesellschaft werden

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Polizisten nehmen einen Demonstranten während einer pro-palästinensischen Demonstration in Berlin fest.Bild Clemens Bilan / ANP / EPA

Im Berliner Bezirk Neukölln sind am Mittwoch bei einer pro-palästinensischen Demonstration 65 Polizisten verletzt worden. Sie wurden mit Steinen und brennenden Flüssigkeiten beworfen. An anderer Stelle in Berlin wurde diese Woche ein Molotowcocktail auf ein Gebäude geworfen, in dem sich eine Synagoge und eine jüdische Schule befanden.

Über den Autor

Peter Giesen schreibt für de Volkskrant über die Europäische Union und internationale Zusammenarbeit. Zuvor war er Korrespondent in Frankreich. Er ist Autor mehrerer Bücher.

Mancherorts wurden Davidsterne auf die Haustüren jüdischer Bewohner gemalt, eine düstere Erinnerung an die Nazizeit. Das Holocaust-Mahnmal am Brandenburger Tor wird von Polizisten mit Hunden bewacht.

Die Atmosphäre in Frankreich ist nicht weniger düster. Das Schloss in Versailles wurde diese Woche wegen Terrorgefahr fünfmal evakuiert, der Louvre einmal. Auch Flughäfen wurden geschlossen. Die Regierung erhöhte die Terrorgefahr auf die höchste Stufe und schickte siebentausend Soldaten auf die Straße. Die Gedanken der Franzosen gehen zurück in die Jahre 2015 und 2016, als das Land von einer Welle radikalislamischen Terrors erfasst wurde. Französische Juden befürchten eine Zunahme antisemitischer Gewalt. Jüdische Schulen in Amsterdam blieben am vergangenen Freitag aus Angst vor Gewalt geschlossen.

Explosive Situation

Wie brisant die Lage in Europa ist, zeigten die Anschläge in Arras und Brüssel, die offenbar nur indirekt vom Krieg zwischen Israel und der Hamas inspiriert waren. In Arras hat ein Mann tschetschenischer Abstammung einen Lehrer erstochen. Seine hinterlassene Audiobotschaft zeigte vor allem Hass gegen Frankreich. Der Krieg wurde nicht explizit erwähnt. Der Tunesier, der am Montag in Brüssel zwei schwedische Fußballfans erschoss, wurde hauptsächlich durch die Koranverbrennungen in Schweden motiviert.

Dennoch scheint es kein Zufall zu sein, dass sie jetzt Maßnahmen ergriffen haben, in einem Klima großer Unruhe über die Gewalt im Nahen Osten. Der Konflikt spaltet Europa. Aufgrund der heftigen Reaktionen, insbesondere unter muslimischen Schülern, fällt es vielen Schulen schwer, über den Krieg zu diskutieren. In Frankreich wurde die Schweigeminute für den erstochenen Lehrer aus Arras von 357 Schülern gestört oder angefochten. Erneut besteht die Gefahr, dass der Konflikt im Nahen Osten nach Europa importiert wird.

Nach dem Zweiten Weltkrieg spielten der Holocaust und Schuldgefühle eine wichtige Rolle bei der Unterstützung Israels. Dies galt sicherlich für die Niederlande, wo während des Krieges so viele Juden deportiert worden waren. Während des Jom-Kippur-Krieges 1973 lieferte Verteidigungsminister Henk Vredeling heimlich Waffen an Israel. „Einmal habe ich gesehen, wie die Juden abwanderten, aber ich konnte es nicht verhindern.“ Ich dachte: Das passiert mir nicht noch einmal.‘ In den 1960er und 1970er Jahren war die Unterstützung für Israel enorm. Während des Sechstagekrieges 1967 unterstützten 67 Prozent der Niederländer Israel.

Israel verliert die Unterstützung

Europa hat sich seitdem stark verändert. Laut einer Ipsos-Umfrage von letzter Woche unterstützen nur 30 Prozent der Bevölkerung Israel, während 22 Prozent die Palästinenser befürworten. Fast die Hälfte der Befragten konnte oder wollte nicht wählen, oft weil sie den Konflikt als zu kompliziert empfanden.

Junge Generationen fühlen sich am Holocaust nicht mehr schuldig. Sie betrachten den Kampf zwischen Israel und den Palästinensern als einen gewöhnlichen Konflikt und betrachten Israel als kolonialen Besatzer, der die Palästinenser ihrer Rechte beraubt. Diese Woche forderten Hunderte von Studenten und Mitarbeitern der Universität Amsterdam, dass sich die Universität gegen den „sich entwickelnden Völkermord“ an den Palästinensern ausspricht.

Der starke Anstieg der Einwanderung hat auch Konsequenzen für die Unterstützung Israels. Pro-palästinensische Demonstrationen werden von Europäern mit Migrationshintergrund, insbesondere Muslimen, angeführt. Sie betrachten den Konflikt auch aus einer kolonialen Perspektive. Europa habe Israel immer unterstützt, ohne sich um die Ureinwohner Palästinas zu sorgen, schrieb Majed Abusalama, Mitbegründer der Aktivistengruppe Palästina Spricht, für die Website Al Jazeera. „Wir haben nun 75 Jahre ‚schlechtes christliches Gewissen‘ hinter uns, liebe Europäer. Man muss sich fragen, ob Sie jemals ein schlechtes Gewissen wegen Ihrer Mitschuld an dem haben werden, was uns Palästinensern widerfährt“, sagte Abusalama, ein in Berlin lebender Palästinenser.

Suche nach Gleichgewicht

Der französische Politikwissenschaftler Hugo Micheron befürchtet, dass der Protest gegen das israelische Vorgehen in Gaza von Gewalt, Antisemitismus und sogar Anschlägen begleitet sein wird, was auch die antiislamische Stimmung in Europa verstärken wird. „Das ist die Falle, die der Islamismus den westlichen Demokratien stellt.“ „Es will die Gesellschaft spalten“, sagte Micheron in der Zeitung Financial Times.

Die Europäische Union ist über den Nahen Osten gespalten. Unmittelbar nach den Hamas-Angriffen am 7. Oktober unterstützten Deutschland, die Niederlande und Österreich Israel nachdrücklich, während auch Länder wie Spanien, Irland und Belgien auf die Palästinenserfrage aufmerksam machten. Letztendlich einigten sich die Mitgliedstaaten darauf, dass Israel das Recht hat, sich gegen die Hamas zu verteidigen, jedoch im Rahmen des humanitären Völkerrechts, ohne die Bürger des Gazastreifens unverhältnismäßig zu beeinträchtigen.

Den europäischen Politikern fällt es schwer, eine Balance zu finden. Doch wenn der Kampf zwischen Hamas und Israel weiter eskaliert, wird der Krieg im Nahen Osten zu einem Streitthema für die europäische Gesellschaft.



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