Der knifflige Balanceakt für Notenbanken

Der knifflige Balanceakt fuer Notenbanken


Im Jahr 2015 sagte der frühere US-Finanzminister Lawrence Summers nach mehreren Fehlalarmen, dass die Preise in die Höhe schnellen würden, dass die Federal Reserve die Zinssätze nicht erhöhen sollte, bis sie „das Weiße in den Augen der Inflation“ gesehen hätten. Jetzt, da die Inflation in den Industrieländern fast 40-Jahres-Höchststände erreicht hat, sind die Zentralbanker stattdessen besorgt darüber, die geldpolitische Straffung zu lockern, bevor es eindeutige Beweise dafür gibt, dass der Preisdruck nachlässt. Sie befürchten zu Recht, dass sich eine hohe Inflation verfestigt. Aber mit steigenden Zinsen stehen sie vor einem immer schwierigeren Balanceakt, da auch die Risiken tieferer Wirtschaftsabschwünge und Finanzmarktschwankungen zunehmen.

Trotz steigender Zinsen der Zentralbanken in diesem Jahr mit einer Synchronizität, die in der nicht zu sehen ist vergangenen fünf Jahrzehntenist die Inflation in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften hartnäckig hoch geblieben. Eine lockerere Fiskalpolitik und außerhalb der USA schwächere Währungen haben den bestehenden Preisdruck verstärkt – unter anderem durch Arbeitskräftemangel, hohe Energie- und Lebensmittelpreise und verstopfte Lieferketten. Es wird erwartet, dass die US-amerikanische und die britische Zentralbank in den Sitzungen in der kommenden Woche kräftige Zinserhöhungen vorlegen werden. Die Europäische Zentralbank hat am Donnerstag ihren Einlagensatz auf den höchsten Stand seit 2009 angehoben.

Da die Inflation das Vier- bis Fünffache der Zielraten erreicht, müssen die Zentralbanken die Kreditkosten noch weiter in die Höhe treiben. Je länger die Inflation erhöht bleibt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass hohe Preise in den Erwartungen verankert werden und Löhne und Preise weiter in die Höhe treiben. Tatsächlich liegen einige Messgrößen der mittelfristigen Inflationserwartungen der Haushalte und Unternehmen in Großbritannien, der Eurozone und den USA immer noch über dem 2-Prozent-Ziel. Die Zentralbanker sind sich auch bewusst, dass der Versuch, sich von einem einmal etablierten Hochinflationsregime zurückzuziehen, eine aggressivere und kostspieligere Straffung erfordern würde. Und obwohl der Preisdruck bei Energie und Lieferketten in letzter Zeit nachgelassen hat, bestehen weiterhin Aufwärtsrisiken.

Da die Geldpolitik jedoch restriktiver geworden ist, wurden die Forderungen nach einer Lockerung der Zentralbanken angesichts steigender Rezessionsrisiken lauter. Höhere Zinsen dämpfen bereits die Nachfrage: Die Kreditbedingungen für Unternehmen haben sich verschärft, die Rückzahlungskosten für Hypotheken steigen und es gibt erste Anzeichen dafür, dass sich die Arbeitsmärkte abkühlen. Es besteht die Gefahr, dass die Zentralbanken zu weit gehen; eine Verlangsamung in einen Crash verwandeln. Das könnte eine Welle von Unternehmensinsolvenzen, einen starken Rückgang der Immobilienpreise und eine höhere Arbeitslosigkeit bedeuten.

Nach einem Jahrzehnt niedriger Zinsen und reichlich Liquidität gibt es auch Warnzeichen, dass der rasche Zinsanstieg – und die geplante Schrumpfung der aufgeblähten Zentralbankbilanzen – die Finanzstabilität beeinträchtigen könnte. Die jüngsten Umwälzungen bei britischen Pensionsfonds haben gezeigt, wie volatil die Märkte sind. In der Zwischenzeit haben sich Spannungen am US-Treasury-Markt aufgebaut, und in der Eurozone erhöhen steigende Zinsen den Druck auf die Spreads von Staatsanleihen der Randländer.

Die Festlegung der Geldpolitik ist alles andere als eine exakte Wissenschaft, aber im Moment werden die Risiken sowohl einer zu starken als auch einer zu geringen Straffung verstärkt, zumal auch die wirtschaftliche Unsicherheit hoch ist. Zentralbanker müssen beurteilen, wie schnell höhere Zinsen auf die Realwirtschaft durchschlagen und welche Auswirkungen Zentralbankmaßnahmen an anderer Stelle haben. Die Einschätzung der Politik ist noch schwieriger, da die Regierungen versuchen, die Volkswirtschaften gegen hohe Energiekosten abzufedern – und die geopolitischen Spannungen zunehmen.

Die Zentralbanken müssen sich weiterhin darauf konzentrieren, die Inflation zu senken. Aber sie müssen immer vorsichtiger vorgehen und die sich abzeichnenden Konjunktur- und Finanzmarktrisiken fest im Auge behalten. Vor allem müssen sie darauf achten, dass sie durch den Versuch, das Risiko einer endemischen Hochinflation zu mindern, nicht unwissentlich eine ganze Reihe neuer Bedrohungen freisetzen.



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