Dies wurde durch eine genetische Analyse von acht menschlichen Knochenstücken gezeigt, die an der holländischen Küste aufgelesen und in Fischernetzen gefunden wurden. „Unsere Vorfahren wurden immer als diese harten, weißen Typen dargestellt. Aber sie sahen etwas anders aus“, sagt die Archäologin und DNA-Expertin Eveline Altena, die die Analyse durchgeführt hat. „Die ältesten modernen Bewohner unseres Landes hatten dunkle Haut und blaue Augen. Komm damit klar“, scherzt Luc Amkreutz, Kurator für Vorgeschichte am National Museum of Antiquities.
Die Entdeckung kommt nicht unerwartet. So reagierte England überrascht vor fünf Jahren als das Londoner Natural History Museum eine Rekonstruktion des „Cheddar Man“ präsentierte, eines kultigen, zehntausend Jahre alten Fossils des sogenannten „ersten Briten“. Der Cheddar Man war schwarz. Wohl eine Erfindung aufgeweckter, linker Wissenschaftler, schimpften Kritiker damals noch.
„Vielleicht ist die Zeit jetzt reifer“, denkt Amkreutz. Bei einer kürzlichen Ausstellung im National Museum of Antiquities wurden die Urjäger der Nordsee auch als dunkle Menschen dargestellt. In den letzten Jahren wurden die Gene für eine schwarze Hautfarbe unter anderem auch in Urzeitknochen gefunden Norwegen, Dänemark Und Luxemburg. „Und jetzt wurde dies zum ersten Mal mit genetischen Beweisen für das niederländische Material demonstriert“, sagt Amkreutz. „Aber es ist wichtig, denn es hilft zu erkennen, dass es in Europa keine weiße Urbevölkerung gibt.“
Mangel an Vitamin D
Die schwarzen Urholländer lebten in den heutigen Niederlanden und dem Doggerland genannten Gebiet, das sich vor der Küste auf dem heutigen Grund der Nordsee erstreckte. Dort jagten sie Wild wie Auerochsen, Rehe und Vögel und fingen Fische. Allmählich veränderte sich die Landschaft, von bewaldet zu offener und sumpfiger. „Das war eine reiche Welt, in der diese Menschen ein gutes Leben führen konnten“, sagt Amkreutz.
Erst viel später, mit dem Vordringen der Landwirtschaft aus der heutigen Türkei und dann mit der Ankunft von Steppenvölkern aus dem Osten, bekamen die Bewohner eine immer hellere Hautfarbe. Das geschah nach und nach, geschätzte fünf- bis dreitausend Jahre vor Christus. Die schwarze Bevölkerung wird teilweise weggezogen sein, obwohl es immer noch „Spuren“ der Jäger und Sammler in unserer DNA gibt, sagt Amkreutz. Die helle Hautfarbe war wohl vor allem eine Anpassung an die Vitamin-D-arme, getreidereiche Ernährung der Bauern. Eine hellere Haut lässt mehr Sonne durch und sorgt so für mehr Produktion dieses Vitamins.
Die niederländischen Funde sind Teil eines riesigen genetischen Atlasses darüber, wie sich Jäger und Sammler in den letzten 35.000 Jahren durch Europa bewegten. Auch die Jäger und Sammler in Belgien, Frankreich und Deutschland müssen schwarz gewesen sein, folgt daraus. Viel weiter östlich hatten die Menschen einen helleren Teint und dunklere Augen. Im Westen fehlte der genetische Marker für solch hellere Haut „fast vollständig“. sagen die Wissenschaftler in einer Zeitschrift Natur.
Die Publikation wirkt, als würde man einen Vorhang aufziehen und Zehntausende Jahre Geschichte auf einen Schlag offenbaren. Die genetischen Daten von nicht weniger als 356 ausgegrabenen Urskeletten aus 14 Ländern hat das internationale Team um Cosimo Posth von der Universität Tübingen zusammengetragen. 116 davon, einschließlich der holländischen Funde, sind neu.
Schwere Eiszeit
Durch den Vergleich der Gene prähistorischer Menschen können Forscher herausfinden, wer mit wem zur gleichen Bevölkerungsgruppe gehörte und welche Gruppe wann wo war. „Dies ist die bisher umfassendste Studie zu DNA-Daten von frühneuzeitlichen Menschen in Europa“, sagt Amkreutz. „Das stellt die Dinge immer auf den Kopf.“
Moderne Menschen sickerten vor etwa fünfzigtausend Jahren nach Europa und lösten allmählich die Neandertaler ab. Der Zeitraum wurde durch eine schwere Eiszeit, das „Gletschermaximum“ vor 26.000 bis 19.000 Jahren, etwa halbiert. Zu dieser Zeit wurden die modernen Menschen nach Südeuropa zurückgedrängt, wie die neuen Daten zeigen. In Italien verschwanden die Jäger und Sammler fast vollständig, insbesondere nachdem nach dem Eiszeitmaximum eine neue Gruppe vom Balkan eingetroffen war.
Nach der Eiszeit kamen die Jäger in Wellen aus dem Süden zurück und erreichten auch unser Land. Dort bildeten sie eine riesige genetische Gruppe namens Oberkasselcluster; Benannt nach einem Steinzeitgrab, ausgegraben 1914 bei Bonn, mit einem Mann, einer Frau und ihrem Hund. Weiß, blond und mit blauen Augen ist auch die, wie sich herausstellt, falsche Rekonstruktion jener Eiszeitjäger.
Venusfiguren
Etwas mehr für Feinschmecker ist die wunderbare Entdeckung, dass hinter der Urkultur namens Gravettien (vor schätzungsweise 33.000 bis 26.000 Jahren) kein einziges Volk stand. Obwohl die Gravettien überall dieselben Waffen, Werkzeuge und ikonischen Venusfiguren zurückließen, gab es zwei genetisch getrennte Gruppen – einen östlichen und einen westlichen Zweig. Die Kultur verschwand während des Eiszeitmaximums.
Für die niederländischen Daten arbeitete Altena mit drei Schädelstücken, zwei Backenzähnen, einem Kieferknochen, einem Oberarm und einem Oberschenkelknochen von insgesamt sieben Männern und einer Frau, die vor elf- bis achttausend Jahren lebten. Alle Funde kamen in Fischernetzen ans Licht oder wurden von Fossilienjägern bei Sandgewinnung aufgesammelt. „Noch wird jeden Monat etwas gefunden“, sagt Amkreutz. „Das zeigt die enorme Bedeutung von Citizen Science.“
Insgesamt stehen nun etwa zweihundert menschliche Fossilien für die Forschung zur Verfügung, sagt Altena von der Harvard Medical School in Boston, an der sie derzeit forscht. Und es kommen ständig neue Stücke hinzu. Wir konnten die Hauptlinie sehr schön abstecken. Nun stellt sich die Frage: Können wir noch stärker auf regionale Entwicklungen eingehen? Wie groß waren die Gruppen, in denen die Menschen lebten? Wie wurden sie zusammengesetzt? Das alles wird derzeit untersucht.“