In Ecuador herrscht Ausnahmezustand, nachdem der berüchtigte Drogenboss Fito aus dem Gefängnis geflohen ist. Wer ist dieser Mann, der schon im Gefängnis eine große Gefahr für das Land darstellte?
Mit einer fröhlichen Ballade empörte José Adolfo Macías Villamar alias „Fito“ im vergangenen Herbst die Regierung Ecuadors. Der unter anderem von seiner eigenen Tochter gesungene Text lobte den Charakter und die Loyalität des berüchtigten Verbrechers. Der Bilder zum Musikvideo ließ Fito in das Gefängnis einweisen, in dem er sich damals aufhielt. „Er ist der Boss aller Bosse“, hieß es in dem Text.
Fito gilt als einer der gefährlichsten Kriminellen Ecuadors. Seit 2020 ist er der Anführer von Los Choneros, einer Bande, die in Drogenhandel und Erpressung verwickelt ist. Fito wird außerdem verdächtigt, vom Gefängnis aus an der Ermordung des Präsidentschaftskandidaten Fernando Villavicencio im August beteiligt gewesen zu sein, dem vorläufigen Tiefpunkt im Kampf des südamerikanischen Landes gegen die organisierte Kriminalität.
Am Montagabend musste die ecuadorianische Regierung zugeben, dass Fito geflohen sei. Bereits einen Tag zuvor hatte die Polizei gemeldet, dass der Drogenboss aus seiner Zelle verschwunden sei, woraufhin eine Großfahndung eingeleitet wurde. Als sich herausstellte, dass Fito nicht gefunden werden konnte, rief Präsident Daniel Noboa den Ausnahmezustand und eine Ausgangssperre für zwei Monate aus. Während dieser Zeit erhält die Armee mehr Befugnisse, um Fito aufzuspüren und die Ordnung in den Gefängnissen aufrechtzuerhalten.
Anführer aus dem Gefängnis
Fito, 44, sitzt seit fast dreizehn Jahren in ecuadorianischen Gefängnissen. Er verbüßte eine 34-jährige Haftstrafe wegen Drogenhandels und Mordes, führte aber in der Zwischenzeit sein Imperium und sein luxuriöses Leben weiter. Entsprechend Die spanische Zeitung El País Bei früheren Zellendurchsuchungen wurden neben Waffen, Drogen und Geld auch Mobiltelefone, Drohnen, Fitnessgeräte und Flaschen Whisky gefunden.
Dass ein Krimineller im Gefängnis seine Arbeit fortsetzen kann, ist in Ecuador keine Seltenheit. Im Laufe der Jahre haben die Behörden die Kontrolle über die meisten Haftanstalten verloren, die heute als Machtzentren der organisierten Kriminalität gelten.
Fito selbst übernahm die Leitung von Los Choneros erst, als er bereits im Gefängnis saß. Berichten zufolge hat die Drogenbande, die schätzungsweise rund achttausend Mitglieder hat, enge Verbindungen zum berüchtigten mexikanischen Sinaloa-Kartell. Sowohl innerhalb als auch außerhalb von Gefängnissen liefern sich Los Choneros regelmäßig blutige Kämpfe mit anderen ecuadorianischen Banden, beispielsweise um Schmuggelrouten.
Vor zehn Jahren gelang Fito die Flucht aus derselben Haftanstalt. Anschließend gelang es ihm, mit siebzehn anderen Gefangenen per Boot über den nahegelegenen Fluss zu entkommen. Wenig später fanden ihn Beamte im Haus seiner Mutter, wo er erneut festgenommen wurde. Die Polizei ermittelt noch, ob Fito dieses Mal auf die gleiche Weise geflohen ist.
Ballade vom Löwen
Mit seinem Ballade vom Löwen, wie sein Lied heißt, hat Fito die Freiheit, die er innerhalb der Gefängnismauern genoss, in den letzten Monaten sehr weit ausgedehnt. Die Aufnahmen aus den Gefängnismauern sehen professionell aus. Der Videoclip veranlasste die ecuadorianische Regierung zu einer Erklärung, dass es Produktionsfirmen nicht gestattet sei, in Gefängnissen zu filmen.
Fitos Ballade passt in die Tradition mexikanischer Corridos, Lieder, die die Missetaten von Kriminellen verherrlichen. Der Text legt das Bild offen, das Fito von sich selbst zeichnen möchte. „Er ist ein Mann von großer Ehre, ein sehr guter Mensch“, sagt er beispielsweise. „Im Gegensatz zu dem, was sie schreiben, ist er ein guter Freund voller Demut.“ Tochter Michelle, die ebenfalls eine Rolle auf dem Pferd spielt und einen Sombrero trägt, singt, dass „gutes Blut“ durch die Adern ihres Vaters fließt.
In Wirklichkeit sind die Dinge in der Drogenwelt, wie die meisten Ecuadorianer wissen, viel düsterer. Im Jahr 2017 zählte Ecuador noch zu den sichersten Ländern der Region, doch die Zahl der Morde ist in den letzten Jahren explosionsartig gestiegen. Experten zufolge ist diese Entwicklung nicht von der zunehmenden Rolle Ecuadors im weltweiten Kokainhandel zu trennen. Kokain aus Ecuador wird häufig unter anderem in den Häfen von Rotterdam und Vlissingen abgefangen.
Kampf gegen organisierte Kriminalität
Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im vergangenen Sommer wurde deutlich, dass Drogenbanden nicht einfach kontrolliert werden können. Kandidat Villavicencio schnitt in den Umfragen mit einer Kampagne gegen Bandengewalt und Korruption gut ab, wurde aber mitten auf der Straße erschossen. Nur wenige Tage vor seinem Tod sagte Villavicencio, er habe Drohungen von Los Choneros erhalten.
Fitos Flucht ist eine neue Bewährungsprobe für die ecuadorianische Regierung. Nach seinem Wahlsieg sagte der junge, unerfahrene Sieger Noboa, dass er als Präsident den Frieden im Land wiederherstellen wolle. Er versprach Sicherheit für „Familien, die sich nicht mehr trauen, auf die Straße zu gehen“. Seine Regierung muss nun zeigen, dass sie stärker ist als die organisierte Kriminalität.