Der „Disruptor“ der deutschen Opposition kämpft gegen den Aufstieg der extremen Rechten und interne Rivalität

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Friedrich Merz, der Führer der deutschen Opposition, dürfte sich über himmelhohe Zustimmungswerte freuen und sich als künftiger Kanzler seines Landes positionieren. Zumindest theoretisch.

Stattdessen sieht er ungläubig zu, wie sich Wähler, die mit der Regierung von Olaf Scholz unzufrieden sind, zunehmend für die rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) entscheiden, die mittlerweile die zweitbeliebteste Partei des Landes ist.

Merz‘ Christlich-Demokratische Union ist in den Umfragen eingebrochen, während die AfD – getragen von Inflation, Rezession, Angst vor dem Krieg in der Ukraine und der verwirrten Klimapolitik der Regierung – einen Anstieg der Unterstützung erlebt.

„Die Menschen fühlen sich sehr verunsichert, aber leider hat die CDU – Deutschlands größte demokratische Oppositionspartei – Schwierigkeiten, diese Unsicherheit zu kanalisieren“, sagte Marco Wanderwitz, Abgeordneter der Merz-Partei. „Stattdessen unterstützen zu viele Wähler die AfD.“

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Dieses Ergebnis dürfte für Merz besonders ärgerlich sein, der letztes Jahr zum CDU-Vorsitzenden gewählt wurde und versprach, konservative Wähler zurückzugewinnen, die jetzt mit der AfD flirten.

„Merz hat gesagt, er würde den Stimmenanteil der AfD halbieren und ihn stattdessen verdoppeln“, sagte Klaus-Peter Schöppner vom Meinungsforschungsinstitut Mentefactum. „Mittlerweile scheint die CDU in einem 30-Prozent-Loch zu stecken, aus dem sie nicht mehr rauskommt.“

Zu Merz‘ Leid kommt noch eine interne Rivalität mit Hendrik Wüst, dem CDU-Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerungsreichsten Bundesland Deutschlands. In der deutschen Presse wird Wüst zunehmend als potenzieller CDU-Kanzlerkandidat für die Wahlen Ende 2025 gesehen – eine Rolle, die Merz schon lange erwartet hatte.

Wüst tauchte überall auf, veröffentlichte einen Leitartikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, den er befreundete Abgeordnete in Berlin aufforderte, ihn in den sozialen Medien zu teilen, hielt Reden auf Regionalkonferenzen der CDU und gab Interviews für lokale Zeitungen.

Dies hat Merz offensichtlich verunsichert, der am vergangenen Sonntag einen beispiellosen Angriff auf seinen Rivalen startete. Im Gespräch mit dem ZDF sagte er, die Unzufriedenheit mit Wüsts Regierung in NRW sei „fast ebenso groß wie mit der Bundesregierung“.

„Wenn wir in NRW Landtagswahlen hätten, wäre die AfD fast genauso stark [there] wie es landesweit wäre“, sagte er.

Erfahrene Beobachter waren schockiert. Deutsche Politiker kritisieren ihre Parteigenossen in der Öffentlichkeit selten, insbesondere nicht diejenigen, die in einem großen Bundesland wie NRW eine Landesregierung leiten.

„Viele Leute in meinem Bundesland fanden das wirklich beleidigend, zumal Wüst in den Umfragen viel besser abschneidet als Merz“, sagte ein CDU-Abgeordneter aus der Region. „Er sieht in Wüst offensichtlich eine echte Konkurrenz.“

Hendrik Wüst
Hendrik Wüst hat sich als Herausforderer für die CDU-Führung herausgestellt © Sascha Schuermann/Getty Images

Es ist eine stressige Zeit für Merz, der schon lange ein Auge auf Deutschlands höchstes Amt geworfen hat.

Er galt Anfang der 2000er Jahre als einer der aufstrebenden Stars der CDU und gab die Politik auf, nachdem er von seiner Erzrivalin Angela Merkel ins Abseits gedrängt wurde. Am Ende war er vier Jahre lang Vorstandsvorsitzender von BlackRock Deutschland und wurde dabei Millionär. Doch der 67-Jährige sehnte sich immer danach, in die nationale Politik zurückzukehren.

Es war jedoch ein schwieriger Weg. Merz wurde erst im Januar 2022 zum dritten Mal zum CDU-Vorsitzenden gewählt. Viele in der Partei sahen in ihm eine polarisierende Figur, von der sie befürchteten, dass sie die Wechselwähler verärgern könnte.

Der 20 Jahre jüngere Wüst gilt als gemäßigter. Der gelernte Jurist wurde in die vorderste Reihe der CDU-Politik katapultiert, nachdem er im Mai letzten Jahres die Wahlen in NRW gewonnen und eine beispiellose Koalition mit den Grünen gebildet hatte, die für viele als Modell für eine Landesregierung in Berlin galt.

Seit diesem Sieg ist Wüsts nationales Ansehen allmählich gewachsen. In einem aktuellen Beliebtheitsranking des Meinungsforschungsinstituts Insa belegte er den zweiten Platz hinter dem beliebten deutschen Verteidigungsminister Boris Pistorius. Merz hinkte als Achter zurück.

Mittlerweile hat Wüst damit begonnen, seine politische Haltung darzulegen und sich als Merkels natürlicher Erbe darzustellen. In seinem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen sagte er, die CDU müsse ein „Anker zentristischer Stabilität“ bleiben.

„Diejenigen, die billige Punkte sammeln und den Populisten hinterherlaufen, greifen ihre eigenen Wurzeln an und stürzen sich selbst ins Chaos“, schrieb er.

Das wurde weithin als Seitenhieb auf Merz gedeutet, der sich gelegentlich mit der Art von Rhetorik beschäftigt, die man auf einer AfD-Kundgebung häufiger hört. Letztes Jahr warf er ukrainischen Flüchtlingen „Wohlfahrtstourismus“ vor. Anfang des Jahres beschrieb er die Söhne von Einwanderern als „kleine Paschas“.

Claudia Pechstein
Claudia Pechstein sorgte mit ihren rechtsextremen Äußerungen während einer CDU-Veranstaltung für einen Eklat © Michael Kappeler/dpa/AP

Eine kontroverse Rede von Claudia Pechstein, einer Polizistin und ehemaligen deutschen Meisterin im Eisschnelllauf, bei einer CDU-Veranstaltung am Wochenende hat die Zweifel an Merz‘ Führung nur noch weiter angeheizt.

Pechstein, die weithin kritisiert wurde, weil sie bei der Veranstaltung ihre Polizeiuniform trug, wetterte gegen Asylbewerber, geschlechtsneutrale Sprache und nicht-traditionelle Familien. Merz nannte ihre Rede „brillant“.

Die Liberalen seiner Partei waren entsetzt. „Wir versuchen gar nicht erst, den Kontakt zu den Jungen, den Großstädtern, den Frauen wieder herzustellen“, sagte ein CDU-Abgeordneter. „Wir halten an den 70-Jährigen fest, die in ländlichen Gebieten leben und jeden Sonntag in die Kirche gehen. Das ist keine Wachstumsstrategie.“

Wüsts Anhänger sagen, er würde solche Fehltritte vermeiden. „Niemand hätte er jemanden wie Pechstein auf die Bühne gelassen“, sagte ein CDU-Abgeordneter.

Der Parteitag, auf dem Pechstein sprach, war eine von mehreren Veranstaltungen, die Merz organisierte, um den Weg für ein neues Parteiprogramm zu ebnen. Die Idee ist, die Mitglieder zu befragen, wofür die Partei eigentlich steht, bevor man sich der Frage zuwendet, wer im Jahr 2025 als Kanzlerkandidat antreten soll. „Wir brauchen etwas strategische Geduld“, sagte Merz im ZDF.

Doch Wüst hat seinem Rivalen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Auf die Frage der Rheinischen Post vergangene Woche, ob er 2025 als CDU-Kandidat antreten wolle, sagte er, seine „Aufgaben lägen derzeit in Nordrhein-Westfalen“. Das Wort „derzeit“ schien dazu gedacht zu sein, die Zunge über seine zukünftigen Ambitionen zu streiten.

„Merz hat immer gesagt, er brauche zwei bis drei Jahre, um die CDU wieder in Schwung zu bringen“, sagte Schöppner von Mentefactum. „Aber die Leute scheinen nicht bereit zu sein, ihm das zu geben. Es ist bereits im Gespräch, wer ihr Kanzlerkandidat werden soll – auch wenn jetzt, da noch zweieinhalb Jahre bis zur Wahl verbleiben, eindeutig nicht der richtige Zeitpunkt ist.“

Wanderwitz sieht in der Auseinandersetzung zwischen Merz und Wüst ein Symptom der Identitätskrise ihrer Partei. „Was wollen wir sein? Eine konstruktive Opposition? Eine Mainstream-Partei der Mitte in der Tradition von Helmut Kohl und Angela Merkel? Oder wollen wir Lärm machen und stören?

„Wir haben dieses Rätsel noch nicht wirklich gelöst, und bis dahin ist es ein echtes Problem für uns.“



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