Der Dichter Campert schrieb in einer Sprache, die so direkt ist, dass seine Gedichte nicht altern können

Der Dichter Campert schrieb in einer Sprache die so direkt


Remco Campert zu Hause in Amsterdam, 2016.Statue An-Sofie Kesteleyn

Remco Campert hat sein Leben der Beschreibung dessen gewidmet, was zwischen dem Kommunizierbaren liegt: Leben vor und nach dem Ereignis, Leben im Nichts. Er gibt den Stunden, die vergehen, Worte, in denen nichts passiert, was man in einem Gespräch nacherzählen könnte oder möchte. Dabei bekommt das, was sonst vage oder unwichtig erscheint – und meist einen Großteil des Lebens einnimmt – Form und Bedeutung.

Es lässt mich fast glauben, dass es in Ordnung ist, dass ich nicht schon wieder eine Veranstaltung besucht, kein Abenteuer erlebt habe. Es ist in Ordnung, wenn ich stundenlang benommen auf einen Mantel in der Ecke des Zimmers starrte und er verblasste und wieder scharf wurde, je nachdem, wie ich mit meinen Augen über den Stoff fuhr. Dass ich einen Körper, eine Stadt, Remco Campert darin erkannte.

süßer Mantel
der auf einem Stuhl im Hotelzimmer
liegen einfach da
vom Regen erholen
das hat dich schnell befleckt
Ein Sturm wehte über Java
alte Asche flog auf
und bedeckte dein Revers
Wochen später in einem anderen Land
Du riechst ein bisschen wie dein Stoff
und zu meiner Wanderung durch die Stadt
erkenne ich auch
der einfache Duft von Parfüm
das ging an mir vorbei
als ich überquerte
und drehte sich zu spät um

In der Reihe von acht Gedichten, die Ode an meinen Mantel (1997) wird fast alles diskutiert, was Camperts Lyrik auszeichnet. Eine Beschreibung der unmittelbaren Umgebung mit der Stadt im Hintergrund, das Individuum, das resigniert die Realität wie Regen über sich kommen lässt. Die Jacke ist eine Jacke, aber auch eine süße Jacke. Das Kleidungsstück bietet Schutz vor der Außenwelt und wird schließlich zur Haut. Der Dichter wird sein Mantel:

manchmal ist es nur ein seufzen
dass du streichelst
wenn du um die ecke biegst
dann wieder ein tosender Sturm
der gegen dich kämpft
aber die Ecke, die Sie biegen
bleibt gleich
das Gebaute bleibt
lange nach mir und meiner Muschel
sind umgekommen

Wenn ich Campert lese, denke ich oft an den chinesischen Dichter Bay Juyi (772-846), der Alltägliches mit klarer Sprache ausdrückte, wie etwa die Grauheit und Tristesse seines Büros. Weil Camperts Sprache schnörkellos, so direkt und einfach ist, dass nichts veralten kann, hat seine Poesie – wie die von Juyi – ewigen Wert. Wir können es noch in zwölf Jahrhunderten lesen und darüber staunen, dass ein Dichter über etwas so Alltägliches wie einen Mantel geschrieben hat und dass es ihm gelingt, den Mantel mit einem bewussten Minimum an poetischen Mitteln in eine Person, in Leben und schließlich zu verwandeln zur Poesie selbst:

Gedichte zu schreiben
das passt zu dir wie ein Mantel
Ich hasse dich manchmal
Ich muss immer aufpassen
damit ich dich nicht vergesse
manchmal wartest du
in staubigen Ecken
Durch dich, Scheide,
Ich erlebe das Leben
persönlich
Ich wachse in deiner Form
wonach ich immer mehr suche

Campert hat sich in seiner Lyrik immer weiter perfektioniert, das scheinbar Nebensächliche zu verewigen. Dass daraus am Ende unvergessliche Ereignisse werden, liegt an der Offenheit des Dichters und dem leichten und musikalischen Charakter seines Sprachgebrauchs.

Die Transformation, die zunächst innerhalb des Gedichts erzwungen wurde, findet schließlich zwischen dem Gedicht und dem Leser statt. Vom Dichter so vertraut zu werden, ist ein Privileg. Die ultimative Transformation kann beginnen, wie in „Paper“ (2015):

noch ein wort mehr worte
und jetzt ist es eine Regel
mehr Regeln und jetzt ist es
ein gemachtes Gedicht
Flugzeuge
hinterlassen ihre Spuren in der Luft
die im Wind gelöscht werden.
Dann ist der Himmel wieder vollkommen glatt
und kann es wieder losgehen



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