Vor allem Scholz wirkte irritiert. „Glaube nicht, dass ich einer Verschärfung meines Geldbeutels im Dezember einfach zustimmen werde“, warnte er seine EU-Kollegen bei einem Abendessen hinter verschlossenen Türen. Einen Überblick über die geforderten Milliarden von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bezeichnete Scholz nach Angaben der Beteiligten als „schlechten Komiker“.
Rutte machte auch deutlich, dass er nicht die Absicht habe, den niederländischen Beitrag zur EU zu erhöhen. Er glaubt, dass die Kommission bei anderen Posten Kürzungen vornehmen muss, wenn sie Geld für neue Prioritäten finden will.
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Marc Peeperkorn ist seit 2008 EU-Korrespondent für de Volkskrant. Er lebt und arbeitet in Brüssel.
Der belgische Premierminister Alexander De Croo sagte von der Leyen, dass die Kommission die EU-Länder stets auffordere, ihre Haushalte in Ordnung zu bringen. Laut De Croo muss die Kommission dies auch selbst tun. Rutte fragte EU-Präsident Charles Michel, ob er im November einen zusätzlichen EU-Gipfel ansetzen würde, um ein politisches Blutbad im Dezember zu verhindern. Michel hat dies vorerst nicht vor.
Andere Welt
Die Kommission hatte ihren Antrag auf zusätzliche Mittel bereits im Juni vorgelegt, doch diese Woche diskutierten die europäischen Staats- und Regierungschefs erstmals darüber. Insgesamt beläuft sich dies auf 100 Milliarden Euro für die Jahre 2024-2027. Laut Von der Leyen ist dies das absolut notwendige Minimum. Sie wies darauf hin, dass es im Jahr 2020, als der europäische Mehrjahreshaushalt (2021–2027) erstellt wurde, keinen Krieg mit Russland, keine Energiekrise und keine Migrationsprobleme gegeben habe und dass die Migrationsprobleme relativ begrenzt seien. „Jetzt sieht die Welt ganz anders aus“, sagte von der Leyen nach dem Treffen mit den Staats- und Regierungschefs.
Von den beantragten 100 Milliarden Euro ist die Hälfte für Hilfen für die Ukraine vorgesehen. Die Kommission will außerdem 15 Milliarden Euro zur Begrenzung der Migration nach Europa bereitstellen, unter anderem durch Vereinbarungen mit Ländern außerhalb Europas, um Migranten dort zu halten. Weitere 19 Milliarden Euro sind nötig, weil der Europäische Wiederaufbaufonds teurer wird, nachdem die Zinsen für Kredite stark gestiegen sind. Die Kommission will außerdem mehr Geld für Investitionen in neue Technologien und mehr Personal für alle Aufgaben.
Fast alle Staats- und Regierungschefs stimmen der Hilfe für die Ukraine zu, wollen jedoch noch über das Verhältnis zwischen Krediten und Subventionen diskutieren. Für andere Ausgaben fordern die sparsamen Länder – laut Rutte eine wachsende Gruppe – von der Kommission Kürzungen bei anderen Haushaltsposten. Während des Abendessens äußerte sich nur Italien zufrieden mit dem Kommissionsvorschlag.
Mischen
Michel muss in den kommenden Wochen Vorschläge machen, wo das zusätzliche Geld herkommen kann. Hierzu gab es am Donnerstagabend keine frühzeitige Einigung. Nicht wenige EU-Länder wollen bei Agrarsubventionen und jenen für ärmere Regionen keine Kompromisse eingehen. Bleiben diese Ausgabenposten, die zusammen zwei Drittel des EU-Haushalts ausmachen, verschont, sind große Eingriffe in den Geldfluss für Forschung und Innovation, für das beliebte Erasmus-Programm (Studentenaustausch) und die internationale Zusammenarbeit unumgänglich.
Von der Leyen prognostizierte in einer endgültigen Einigung einen Maßnahmenmix, der Einstimmigkeit erfordert: teils höhere Beiträge der Mitgliedsstaaten, teils Umschuldungen, teils neue Einnahmen aus europäischen Abgaben oder Steuern. Michel hofft, diese Einigung beim nächsten EU-Gipfel Mitte Dezember zu erreichen. Nicht wenige Führungskräfte waren skeptisch, ob dies machbar sei.
Danach sagte Michel, dass „Rückschläge manchmal Teil des Prozesses sind“, ein bisschen Drama, um alle über die Ziellinie zu bringen. Im Dezember stehen die Staats- und Regierungschefs vor zwei weiteren schwierigen Entscheidungen: Die Verhandlungen mit der Ukraine und Moldawien über die EU-Mitgliedschaft werden aufgenommen und der Stabilitätspakt wird gelockert. „Ich werde schon müde, wenn ich nur an diesen EU-Gipfel denke“, sagte die estnische Premierministerin Kaja Kallas.