Das Rotkehlchen wirkt freundlich, ist aber eigentlich ein aggressiver Opportunist

Das Rotkehlchen wirkt freundlich ist aber eigentlich ein aggressiver Opportunist


Statue Margot Holtman

Rotkehlchen! Ich höre ihre tickenden Rufe in den Höfen hinter meinem Haus und die etwas wässrigen Singmelodien. Gelegentlich sehe ich ein Exemplar von meinem Balkon zwischen den Herbstblättern herumhuschen. Die Vögel sind jetzt auffälliger, weil sie im Winter häufiger Gärten besuchen. Auch die überwinternden Rotkehlchen aus Skandinavien sind angekommen und suchen sich alle ihren eigenen Platz. Das geht nicht ohne Ton.

Im Vögel und wir (übersetzt als Vögel und wir) listet der britische Ornithologe und Autor Tim Birkhead alle möglichen Kategorien auf, denen vogelbezogene Menschen angehören können. In einer seiner Listen steht auf der untersten Stufe der „Clan“ der „Robin Huggers“. Das sind Leute, die Vögel durch das Fenster ihres Wohnzimmers beobachten. Birkhead sagt schnell, dass er selbst ein Robin Hugger ist und dass sich all diese Kategorien überschneiden können. Auch gut so. Bald hoffe ich, die Rotkehlchen wieder auf und unter meinem Futtertisch zu sehen.

Dass der „Weihnachtskarten-Vogel“ so beliebt ist, ist verständlich. Das Rotkehlchen ist erkennbar, es hüpft in fast jedem Garten herum und auf dem Waldweg oder im Gebüsch am Wegesrand. Sein Gesang klingt freundlich, bei der Gartenarbeit könnte der Eindruck entstehen, dass das Rotkehlchen Ihre Gesellschaft scheut, da es eher wühlenden Gärtnern folgt. Ein weiterer Vorteil des Rotkehlchens: Es singt fast das ganze Jahr über. Und es ist üblich, aber man sieht selten mehr als einen gleichzeitig. Das Stadium, in dem Rotkehlchen überfüttert werden, wird nie erreicht. Und manchmal klopft er ans Fenster, als wolle er hinein.

null Bild Margot Holtman

Statue Margot Holtman

Aber der Schein trügt. Das romantische Bild des Rotkehlchens wurde eigentlich schon vor langer Zeit vom britischen Ornithologen David Lack erschüttert. Sein Buch Das Leben des Rotkehlchens, aus dem Jahr 1941, wurde 2015 nach der Wahl des Rotkehlchens zum Nationalvogel im Vereinigten Königreich neu aufgelegt. In Wirklichkeit ist das Rotkehlchen ein aggressiver Opportunist. Während andere Vogelarten außerhalb der Brutzeit toleranter werden, bleiben die Rotkehlchen fast das ganze Jahr über territorial. Auch Männchen und Weibchen vertragen sich nur während der Brutzeit. Die Tatsache, dass Rotkehlchen fast das ganze Jahr über singen, hat mit diesem Reviertrieb zu tun: Wagen Sie es nicht, sich zu nähern. Der Kampf und die Verteidigung dieses Territoriums wird von brutaler Gewalt begleitet, die orangefarbene Brust dient dazu, zu beeindrucken. Sie greifen Artgenossen und Nicht-Kongenere an, was zu vielen Opfern führt. Und das Klopfen ans Fenster? Das sind Rotkehlchen, die mit ihrem Spiegelbild kämpfen. Sie fragen sich vielleicht: Was sagt es darüber aus, dass die Briten das Rotkehlchen zu ihrem Nationalvogel gewählt haben?

Rotkehlchen sind als Spezies mit ihrem Opportunismus erfolgreich. Sie fressen alle Arten von Insekten und Spinnen, aber auch Beeren und Samen. Dass sie den Gärtnern im Garten folgen, hat mit der Möglichkeit von Bodeninsekten zu tun, die bei menschlicher Arbeit an die Oberfläche kommen. In Büschen, Baumhöhlen, einem Erdloch, Fahrradtaschen, Besen, Grills, Blumentöpfen und Jackentaschen bauen sie im Handumdrehen ihre Nester zusammen. Sie sind straßenweise, Rotkehlchen, aber im Garten und Wald. Vögel, von denen man sich gerne täuschen lässt. Vor ein paar Jahren, als noch viel Schnee lag, bin ich eines Tages auf einer Schrebergartenanlage spazieren gegangen. Ein Rotkehlchen flog mit mir von Busch zu Busch. Er war natürlich hungrig, aber für einen Moment hatte ich das Gefühl, dass er hinter mir her war.



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