Das Debüt des griechisch-russischen Teodor Currentzis mit dem Concertgebouw Orchestra ist historisch ★★★★★

Das Debuet des griechisch russischen Teodor Currentzis mit dem Concertgebouw Orchestra


Mit seinem eigenen Orchester tritt Teodor Currentzis in Schnürstiefeln auf, beim Concertgebouw Orchestra entschied er sich für einen gewöhnlichen Anzug.

Das Concertgebouw Orchestra hat genug, um historische Abende aufzuzeichnen. Ein Kratzer kam am Donnerstag hinzu, nach dem lang erwarteten Debüt des griechisch-russischen Dirigenten Teodor Currentzis. Er hat Mahlers gemacht Vierte Sinfonie, ein Stück mit einer Amsterdamer Tradition von I have you there. Fast konnte man die Musiker fassungslos denken hören: So sanft und mit so viel Temperament haben wir diese Töne noch nie gespielt.

Dass Currentzis kommen durfte, war ein Akt für sich. Immerhin dirigiert er das russische Orchester MusicAeterna. Das läuft zum Teil mit Geldern von Gazprom und der von Putin gefingerten VTB-Bank. Dass der Dirigent jede Aussage zum Angriff auf die Ukraine verweigert, sorgt in der Musikwelt für Unbehagen. Diese Unannehmlichkeiten sind so groß, dass sich der Orchestervorstand traf, um zu diskutieren, ob Currentzis noch kommen könnte; es wurde mehrheitlich beschlossen, die Einladung aufrechtzuerhalten.

Vermutlich scheut Currentzis Rückschläge. 2016 war sein Verstand kritisch genug, um Probleme in der russischen Kulturpolitik anzusprechen de Volkskrant als „Beginn des Totalitarismus“ bezeichnet.

Das künstlerische Bild von Currentzis pendelt seit Jahren zwischen den Polen Pias und Prophet hin und her. Erste Beobachtung, als er im Concertgebouw die Treppe herunterkommt: Er trägt keine Schnürstiefel und Pelze mehr, sondern einen Alltagsanzug. Zweiter Gedanke: Wo ist der Bock (das Dirigentenpodest)? Currentzis dirigiert vom flachen Boden aus und tritt manchmal fast in das Orchester ein.

Mit einem Trend brechen

Die Performance war historisch, nur weil Currentzis mit einem Trend brach. In den letzten Jahren spielte das Concertgebouw Orchestra immer lauter. Der frühere Chef Daniele Gatti zum Beispiel hat wegen Mahler manchmal einen Düsenjäger gejagt. Nicht Currentzis. Was weich war, könnte noch weicher sein. Bei Gatti hatte man auch den Eindruck, dass er seine Vision notfalls mit erhobener Stimme durchsetzte. Currentzis nicht: Seine Taktik war Versuchung.

Mahler Vier ist vor allem Musik, in der sich der Komponist als sensibler, vielleicht naiver Träumer zeigt. Vorstellungen von Unschuld und dem Mysterium des Todes schwirrten durch seinen Kopf. Currentzis geformte Klänge, die zu einer Nahtoderfahrung passen, so ein fassungsloser Bericht voller Licht und Frieden.

Süchtige nach Mahlers Spektakel haben sich vielleicht nach einem emotionalen Hit gesehnt. Hier ertönte ausnahmsweise mal kein Komponist, der auffällig gelitten hat. Solo-Geiger Tjeerd Top spielte seine makaber tanzen ungewöhnlich luftig. Eine Klarinettenmelodie kam mit dem Fallschirm. Und so geheimnisvoll summt das Streicherkorps von den Geigen bis zu den Bässen schon lange nicht mehr.

Im letzten Teil schien Currentzis zu ersticken. Die Sopranistin Christiane Karg stellte er in die hinterste Orchesterreihe. In den ersten Strophen von Das Himmlische Leben Manchmal musste man ihre Stimme erraten. Aber am Ende stellte sich heraus, dass es der perfekte Weg war, die Symphonie in eine atemberaubende Stille gleiten zu lassen.

Ob Currentzis zurückkehrt, hängt zum Teil von Putins Krieg ab. Nach diesem einen Konzert zählen wir ihn bereits zu den Zauberern, die höchstens einmal im Jahrzehnt in Amsterdam vorbeikommen.

Mahler: Vierte Sinfonie

Klassisch

★★★★★

Vom Concertgebouw Orchestra unter der Leitung von Teodor Currentzis

2/2, Concertgebouw, Amsterdam. Rep. 3/2 und 4/2 (nur Mahler).



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