Das Asylabkommen zeigt, dass ganz Europa nach rechts gerückt ist. Orban hat gewonnen

1686338710 Das Asylabkommen zeigt dass ganz Europa nach rechts gerueckt ist


Bootsflüchtlinge werden vom MSF-Schiff Geo Barents vor der Küste Libyens aus dem Meer gerettet, Mai 2023.Bild Jelle Krings für die Volkskrant

Die schwedische Migrationsministerin Maria Malmer Stenergard strahlt, als sie nach vierzehnstündigen Beratungen mit ihren EU-Kollegen die Vereinbarung zur Eindämmung des unkontrollierten Zustroms von Asylbewerbern vorstellt. Endlich ein Erfolg nach acht Jahren verbaler Grabenkämpfe zwischen den EU-Ländern. „Um ehrlich zu sein, hätte ich nicht gedacht, dass es funktionieren würde“, gab Marble Stenergaard hinterher am Donnerstagabend zu.

Dass die Einigung nun zustande kam, liegt zum einen daran, dass von der Idee der Asylquoten – der verpflichtenden Verteilung der Asylbewerber auf die Mitgliedsstaaten – Abstand genommen wurde. Dieser Vorschlag aus dem Jahr 2015 löste damals vor allem in Polen und Ungarn große Empörung aus. Sie wollten auf Druck Brüssels keinen Asylbewerber aufnehmen. Das vorgeschlagene Bußgeld für die Ablehnung (250.000 Euro pro nicht aufgenommenem Migranten) steigerte nur den Zorn Warschaus und Budapests. Die Regierungen dieser beiden Städte blockierten daraufhin acht Jahre lang jegliche substanziellen Fortschritte in der Debatte über eine europäische Asylpolitik.

Der zweite Grund dafür, dass diese Woche eine Einigung möglich war, ist die Erkenntnis in allen EU-Hauptstädten, dass es nur durch Zusammenarbeit möglich ist, den Zustrom von Asylsuchenden beherrschbar zu machen. Weniger überfüllte Migrantenboote auf Lampedusa und auf den griechischen Inseln führen zu weniger Aufnahmeproblemen in Ter Apel. Im letzten Jahrzehnt haben Menschenschmuggler in vollem Umfang von den Spaltungen zwischen den Mitgliedstaaten und dem Flickenteppich nationaler Asylvorschriften profitiert. „Übernimm die Kontrolle zurück!“ lautete im Januar der Rat eines eng involvierten EU-Beamten.

Espresso bei Meloni

Premierminister Mark Rutte vollzog während des EU-Gipfels im Februar eine Wende. Nach jahrelangen harten Vorwürfen, dass Rom Migranten ungehindert passieren lässt – mehr als die Hälfte der Asylbewerber, die sich in den Niederlanden melden, kommen über ein anderes EU-Land – lud Rutte sich („Ich habe Lust auf Espresso“) bei seiner italienischen Kollegin Georgia Meloni ein. Seitdem arbeiten die beiden eng zusammen. Am kommenden Sonntag werden sie mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach Tunesien reisen, um den dortigen Präsidenten mit Geld und Handelsvorteilen davon zu überzeugen, die Migration von Migranten zu stoppen.

Und schließlich, und das ist sicherlich nicht der letzte Faktor, der zu der Einigung beigetragen hat: Alle EU-Länder sind in der Asyldebatte nach rechts gerückt. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán hat gewonnen. War er 2015 mit seinen Zäunen und der „Je weniger, desto besser“-Rhetorik der gebissene Hund, beteiligt sich die EU nun finanziell an der Grenzkontrolle. Zwölf EU-Länder haben mittlerweile gemeinsam 2.000 Kilometer Zäune an den europäischen Außengrenzen errichtet, 13 Prozent der EU sind eingezäunt. „Migration kann über Regierungen entscheiden oder scheitern, diese Erkenntnis eint“, schlussfolgert ein EU-Diplomat.

Diese politische Wende ist auch in den Niederlanden sichtbar. Am Donnerstag befand sich Staatssekretär Eric van der Burg (Justiz und Sicherheit) mit seinem (erfolglosen) Plädoyer, auch unbegleitete minderjährige Asylbewerber einzusperren, im „harten“ Lager mit Dänemark und Österreich. Eine Ausnahme bildet Deutschland, wo die Grünen in der Regierungskoalition großen Einfluss auf die Asylpolitik haben.

Schnelles Screening, geschlossene Zentren

Die von den EU-Ländern erzielte Einigung spiegelt das verhärtete Asylklima wider. Die EU-Länder entscheiden sich für eine Schnellprüfung und anschließend ein kurzes Asylverfahren an den europäischen Außengrenzen für Menschen, deren Asylantrag als aussichtslos eingeschätzt wird. Dieses Schnellverfahren in geschlossenen Zentren gilt auch für Personen, die ihren Reisepass vernichtet haben.

Dies sollte Wirtschaftsflüchtlinge davon abhalten, die gefährliche Überfahrt nach Europa anzutreten. „Das spart nicht einen Schluck Getränk, sondern ein paar komplette Schnapsgläser“, sagte ein zufriedener Van der Burg nach der Beratung mit seinen EU-Kollegen. „Die Botschaft, die das aussendet: ‚Komm nicht!‘ – wird sicherlich eine Wirkung haben“, sagt ein besorgter Kommissionsbeamter.

Die Mitgliedsstaaten wollen 30.000 Plätze in diesen geschlossenen Zentren, was letztendlich gut für 120.000 benachteiligte Asylbewerber pro Jahr ist, weil das gesamte Verfahren zwölf Wochen dauern kann. Jeder Platz kann daher mehrmals im Jahr genutzt werden. Zum Vergleich: Nach Angaben der EU-Grenzagentur Frontex reisten in den ersten vier Monaten dieses Jahres rund 80.000 Migranten irregulär in die EU ein. Ein Großteil von ihnen hat kaum Chancen auf einen Aufenthaltsstatus.

Um EU-Ländern zu helfen, die eine übermäßige Zahl von Asylbewerbern aufnehmen (über das beschleunigte Verfahren oder über das normale Verfahren für die wahrscheinlichste Gruppe), entscheiden sich die Mitgliedstaaten für eine „verbindliche Solidarität“. Andere Länder wie Italien müssen ihnen Hilfe anbieten: entweder durch die Übernahme von Menschen, durch die Bereitstellung von Geld (die Pauschalzahlung von 20.000 Euro für Asylbewerber) oder von Ausrüstung und Personal. Italien drängte bis zuletzt auf einen höheren Betrag. Die obligatorische Solidarität war für Polen und Ungarn ein Grund, gegen das Abkommen zu stimmen, was jedoch seine Zustimmung nicht verhinderte.

Jetzt das Europäische Parlament

Die Vereinbarung ist noch lange nicht umgesetzt. Über die Umsetzung ist noch vieles unklar: Ein schnelles Verfahren an der Grenze hört sich toll an, doch was passiert, wenn die Abgewiesenen nicht zurückkehren? Derzeit verlässt nur jeder fünfte Asylbewerber, der alle Rechtsmittel ausgeschöpft hat, das Land.

Gemeinsam mit den Niederlanden versuchte Italien, die Liste der Länder zu erweitern, die als sicher für eine Rückkehr gelten. Dies stieß auf deutschen Widerstand. Auf Druck Berlins muss ein Zusammenhang zwischen dem Rückkehrland und der abgewiesenen Person bestehen, zum Beispiel, dass sie sich dort aufgehalten hat oder Familie hat.

Und dann muss eine Einigung mit dem Europäischen Parlament erzielt werden. Dies steht in einem entscheidenden Punkt im Widerspruch zu den Mitgliedstaaten: Sie lehnen die obligatorische Abschiebung von Asylbewerbern, die den Parlamentariern gerade am meisten am Herzen liegt, kategorisch ab. Die GroenLinks-Europaabgeordnete und Migrationsexpertin Tineke Strik bezeichnet die Einigung der Mitgliedsstaaten als eine Verschlechterung einer ihrer Meinung nach bereits gescheiterten europäischen Asylpolitik.

Kommissarin Ylva Johansson (Migration) äußerte am Donnerstag keine Bedenken hinsichtlich der Verhandlungen mit dem Parlament. Diplomaten und EU-Beamte rechnen damit, dass das Parlament schnell aus der Wahlerhaltung ausweichen wird. Die Sprengung eines Asylabkommens kurz vor der Europawahl (Juni 2024) kommt bei vielen Wählern nicht gut an.



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