Chemische Industrie ohne Öl, geht das? Delft arbeitet an der grünen Zukunft von Pernis

Chemische Industrie ohne Oel geht das Delft arbeitet an der


Bild ANP – Schnittstudio V

Wenn Sie auf der A15 an Pernis und Botlek vorbeifahren, passieren Sie einen Wald aus Stahl und Beton, eine industrielle Wildnis aus Schornsteinen, Pipelines und Hydrocrackern. Hier am Rande der Niederlande wird Erdöl in Benzin, Kerosin und Diesel umgewandelt. Chemieanlagen produzieren Benzol, Ethylenoxid, Propylenoxid und Styrolmonomere. Hier werden die Grundstoffe hergestellt, die von Unternehmen an anderer Stelle zum Beispiel für die Herstellung von Matratzen, Dämmstoffen und Sportschuhen verwendet werden.

Die Herausforderung

Pernis ist mit seiner chemischen Industrie die Gärtnerei der Niederlande und Deutschland BV. Aber auch die petrochemischen Anlagen sind eine große CO2-Quelle. Jedes Jahr geben die Schornsteine ​​hier fast 4,5 Millionen Tonnen in die Atmosphäre ab, fast 3 Prozent der niederländischen Gesamtmenge.

Jeder weiß, dass es anders gehen muss. Das Ölbad, auf dem Pernis schwimmt, muss in den kommenden Jahrzehnten austrocknen, damit die Niederlande bis 2050 CO2-frei sein können. Doch das Land will keineswegs chemiefrei werden. Denn auch in drei Jahrzehnten werden Matratzen und Sportschuhe gefragt sein. Und wohl auch zu Treibstoffen, zum Beispiel für die Luftfahrt, die bis dahin wohl nicht mehr ohne Kerosin auskommt.

Der Plan

Für die Herstellung von Kunststoffen und Kraftstoffen wird kein Erdöl benötigt. Auch Biomasse kann ein Rohstoff sein. Auch das verdammte CO2 ist potentiell ein Rohstoff.

Chemie ist ohne Fossilien möglich. Wie? Mit nachhaltigen Quellen. Durch die Spaltung von Wasser mit Ökostrom in Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O2) und der Kohlenstoff (C) aus CO2 zu pflücken, bildet sich zusammen mit Stickstoff (N2) das gleiche chemische Lego-Kit, das jetzt mit Petroleum gefüllt ist. Mit den Grundbausteinen H, N und C kann die chemische Industrie im Prinzip die gleichen Produkte herstellen wie heute, etwa Methanol, Ethylen und Kerosin – dann aber fossilfrei.

Stellen Sie sich vor, wie Pernis schließlich zu einer nachhaltigen Oase werden kann, in der Fackelinstallationen nicht mehr die Nacht erhellen, sondern in der sanft summende, glänzende Installationen nachhaltige chemische Rohstoffe produzieren.

Wie realistisch ist diese Vision? Sehr realistisch, sagt Ruud van Ommen, Professor für chemische Technologie an der TU Delft. Van Ommen ist auf Reaktoren spezialisiert, die CO2 in Brennstoffe und Chemikalien umwandeln können. Dies geschieht in kleinem Maßstab in seinem Labor an der TU Delft. Van Ommen und andere Wissenschaftler führen Grundlagenforschung darüber durch, wie diese Reaktoren von der molekularen Ebene zu industriellen Giganten skaliert werden können. Daran wird unter anderem an der TU Delft in einem Forschungsprogramm namens e-Refinery gearbeitet.

Das Labor

Die Forscherin Anca Anastasopol zeigt einen solchen E-Reaktor in den Delfter Laboren, wo verschiedene Aufbauten in aufsteigendem Format aufgebaut sind. Das Gerät ähnelt einer Pflanzenpresse für ein Herbarium, besteht jedoch aus einer Aluminiumlegierung. Wo das Mehl normalerweise gepresst wird, muss nun ein Katalysator die Reaktion beschleunigen, um aus den Grundmolekülen neue chemische Rohstoffe zu machen.

Reaktoren dieses Typs ähneln einer Batterie, die man in Elektroautos sieht, sagt Anastasopol. Auch in einer Batterie findet die Reaktion zwischen zwei dünnen Platten statt, von denen mehrere hintereinander angeordnet sind. Der große Unterschied besteht darin, dass eine Batterie ein geschlossenes System ist, während die Delfter Katalysatoren offen sind: „Rohstoffmoleküle“ müssen hinein und „Produkte“ hinaus. Dadurch wird der Reaktionsablauf komplexer.

Der Reaktor mag im Labor gut funktionieren, aber es gibt genug wissenschaftliche Herausforderungen, um ihn groß genug für den industriellen Maßstab zu machen und ihn trotzdem effizient zu halten, sagt Van Ommen. Wie hält man zum Beispiel die Prozesstemperatur überall konstant: Der Reaktor kühlt außen stärker ab als innen, was die Reaktion beeinflusst.

Um die Produktion zu steigern, kann der Reaktor größer gemacht werden, was aber auch die technologischen Herausforderungen erhöht. Sie können sie auch hintereinander in sog Stapel† Aber auch das könne nicht ewig so weitergehen, sagt Van Ommen. Im industriellen Maßstab muss man das Optimum suchen. Platz ist schließlich nicht unbegrenzt.

Dass der Forscher in seinem Labor von Kosten spricht, ist der Wissenschaftswelt vielleicht nicht ganz neu, aber auffällig. Anders geht es nicht, sagt Van Ommen. Wenn Sie an industriellen Anwendungen arbeiten, spielen letztendlich die Kosten eine Rolle.

Ein Forscher kann den perfekten Reaktor entwickeln, aber wenn er große Mengen an seltenem Iridium benötigt, kann es zu teuer werden. Van Ommen: „Heute hat oft jemand eine nette Erfindung, veröffentlicht die Forschung in einer wissenschaftlichen Zeitschrift und wirft sie über den Zaun, danach müssen andere nur noch sehen, ob sie eine Anwendung dafür finden können.“ Das muss sich ändern, gerade weil es schneller gehen muss. Aus diesem Grund wurden in Delft verschiedene wissenschaftliche Disziplinen zusammengeführt. So werden auch in der Anfangsphase irdische Dinge wie Kosten angeschaut.

Eine weitere Herausforderung: Für die elektrische Raffination wird enorm viel elektrische Energie benötigt, sagt John van der Schaaf, Professor für Chemieingenieurwesen an der Technischen Universität Eindhoven und nicht am Projekt beteiligt. Wollen wir die Größenordnung einer Raffinerie erreichen, rechnet er vor, sind mehrere zehn Gigawatt Leistung nötig.

Zunehmend

Wenn die petrochemische Industrie rechtzeitig auf klimaneutralen Betrieb umgestellt werden soll, gilt: Je früher Equipment verfügbar ist, desto besser. Schließlich arbeitet die Industrie mit riesigen Anlagen, die Investitionen in Milliardenhöhe erfordern und Jahrzehnte überdauern. Je früher ein Teil elektrifiziert werden kann, desto größer und nachhaltiger wirkt sich der geringere CO2-Ausstoß aus.

In den vergangenen Jahren konnten die Delfter Forscher die Produktion ihrer Reaktoren bereits mit immer größeren Anlagen steigern. Jetzt stehen sie vor einer neuen Herausforderung: Wie schafft man den Sprung in die „richtige“ Arbeit? Wie baut man aus dem Labor eine echte Demonstrationsfabrik oder gar eine vollwertige Anlage?

„Das Hochskalieren in den industriellen Maßstab ist für uns Neuland“, sagt Van Ommen. Die Kosten und Risiken steigen mit jedem Schritt zur technologischen Perfektion. Dieses Risiko kann die Hochschule nicht tragen. Tatsächlich verlässt man hier das Feld der Grundlagenforschung, sagt Van Ommen, und betritt das Feld des Handels. Aus diesem Grund wurde eine Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut TNO gesucht, das Erfahrung mit industrieller Hochskalierung hat und eine Niederlassung auf dem Campus Delft hat.

„Wir haben uns das gesamte Konzept gemeinsam angesehen“, sagt Martijn de Graaff vom VoltaChem-Forschungszweig von TNO, der auf Elektrochemie spezialisiert ist. „Sagen wir einfach von der brillanten Idee eines Forschers zu einer funktionierenden Fabrik im industriellen Maßstab, die jahrelang hohe Stückzahlen produzieren kann.“

Die Fabrik

Um von der ersten Idee bis zur Fabrik zu gelangen, werden neun Schritte der technologischen Perfektion durchlaufen, die technologischer Reifegrad (TRL) aufgerufen wird. Die ersten vier Schritte – von der Idee bis zu ersten kleinen Tests – werden an der TU Delft durchgeführt. Anschließend bereitet TNO die Technologie für den Markt vor (Schritte vier bis sechs).

In der alten Welt dauerte jede Stufe höher etwa vier Jahre, sagt De Graaff. Diese Zeit ist nicht hier. Um die Entwicklung zu beschleunigen, arbeiten Forscher aus verschiedenen Stadien zusammen. De Graaff: „Niemand kann diesen ganzen Prozess alleine bewältigen. Auch wegen der Dringlichkeit muss die Forschung parallel erfolgen.‘

Die letzten beiden Schritte – der Bau echter Chemieanlagen – muss die Industrie selbst leisten. Aber dann ist die Rolle für TNO und TU Delft noch nicht vorbei, findet De Graaff. Er sieht das Entstehen einer völlig neuen Industrie, die diese Anlagen entwickelt und produziert. Sagen Sie einfach die Hausbesetzer und Herde von heute, aber elektrisch. ‚Ähnlich wie ASML. Die Niederlande haben eine kleine Chipindustrie, sind aber mit ASML Weltmarktführer im Bereich der Maschinen, die Chips produzieren. Wir haben einen Vorteil auf dem Gebiet der Elektrochemie, wenn wir so gut spielen, gibt es Chancen.‘

Die Branche

„Wenn wir unseren Lebensstandard halten und auch andere Teile der Welt wohlhabender werden wollen, ist die Elektrifizierung der Chemie entscheidend“, sagt Professor Van der Schaaf. Es sei möglich, sagt er: Es sei potenziell genug nachhaltige Energie weltweit verfügbar, um all diese Prozesse grüner zu machen. Van der Schaaf hält es für sinnvoll, zuerst den Energiezweig der Chemie anzugehen, weil dieser die mit Abstand größte CO2-Intensität aufweist.

Auch das passiert: Um 2030 soll die erste Pilotfabrik im Botlek entstehen. Dort werden zunächst drei nachwachsende und stark nachgefragte Rohstoffe hergestellt: Methanol, Ethylen und Kerosin. Kunden können diese in ihren bestehenden thermochemischen Anlagen verwenden. Die Branche könne also wählen, welche Route für sie am interessantesten sei, sagt De Graaff.

Es ist sogar möglich, dass die Grundrohstoffe in Ländern mit viel nachhaltiger Energie produziert werden, um von dort nach Rotterdam transportiert und zu nützlichen Produkten verarbeitet zu werden. Erste Pläne gibt es bereits: Das Tanklagerunternehmen Vopak hat kürzlich angekündigt, im Hafen Anlagen zur Lagerung von nachhaltig produziertem Ammoniak errichten zu wollen, einem potenziell wichtigen Energieträger.

Ölfreie Chemie

Wenn kein Öl mehr benötigt wird, kann sich das Aussehen des Rotterdamer Hafens verändern, sagt Professor Van der Schaaf. Angenommen, sagt er, die Industrie werde in Zukunft an das Wasserstoff-Backbone angeschlossen, eine große Pipeline, die grünen Wasserstoff von der Küste ins Landesinnere oder von Nordafrika nach Europa transportiert. „Dann wäre die Destillation von Öl, wie wir sie heute kennen, vielleicht überflüssig.“

Weil Kraftstoffe aus Wasserstoff zudem buchstäblich viel sauberer sind, sind Entschwefelungsanlagen nicht mehr notwendig. Die gesamte Kette verändere sich, sagt der Professor. Dies ist eine Herausforderung für die petrochemische Industrie, die es sogar schafft, Abfallprodukte wie Teer („wir müssen eine Alternative zu Asphalt finden“) und Heizöl („die ultimative Abfallgrube“) sinnvoll zu nutzen.

Es ist möglich, dass ein Teil der Industrie in Länder mit viel nachhaltiger Energie verlagert wird und die Produkte dann per Schiff nach Rotterdam transportiert werden. Ob dies geschieht und in welchem ​​Umfang, ist unbekannt. Aber alle Prozesse, um die chemische Industrie nachhaltiger zu machen, seien ad acta gelegt worden, sagt Van der Schaaf. Aber die Investitionen sind enorm. „Die Kosten sind so immens, dass man in dieser ersten Phase risikoaverses Verhalten in Unternehmen sieht. Niemand will auf das falsche Pferd setzen.“ Er findet, der Staat sollte einspringen, zum Beispiel mit Subventionen aus der CO2-Steuer.

Wenn die Entwicklung weitergeht, wird sich das Erscheinungsbild des Rotterdamer Hafens in den kommenden Jahrzehnten verändern. Oder im Frühjahr 2050 Eltern mit kleinen Kindern im grünen Hafenpark Pernis spazieren gehen – niemand weiß es. Aber die Forscher glauben, dass es ein schönes Bild ist, das man anstreben sollte.

Auf den grünen Wellen surfen

Ein weiterer Unterschied zwischen alt und neu: Die alte Petrochemie kennt nur zwei Modi: Ein und Aus. Und das am liebsten 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Dann laufen diese Anlagen am effizientesten. Aber wenn Strom in Zukunft die Hauptenergiequelle ist, wird es Schwankungen im Angebot geben. Mal gibt es viel grüne Energie und mal wenig. Bei „viel“ ist Strom billig, bei wenig ist er teuer. Elektroinstallationen können sich leichter auf den Energiewellen bewegen. „Wir untersuchen die Rolle einer schwankenden Stromversorgung“, sagt Van Ommen. Durch das Spiel mit der sogenannten Prozessintensität können Sie günstige Stromüberschüsse optimal nutzen, während in Zeiten von Knappheit und hohen Preisen der Knopf runtergeht. „So machen Sie Ihren Energieverbrauch zu einem Teil des Erlösmodells“, sagt der Forscher.



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