Bundeskanzler Scholz gibt den Amerikanern gerne die Führung

Bundeskanzler Scholz gibt den Amerikanern gerne die Fuehrung


Bundeskanzler Olaf Scholz Anfang dieser Woche.Bild ANP / EPA

Mit seiner Weigerung, die begehrten Leopard-Panzer der Ukraine zu liefern, riskierte Bundeskanzler Olaf Scholz in den vergangenen Wochen einen Riss im westlichen Bündnis. Berlins Position führte zu Irritationen in Warschau, Tallinn und Helsinki. Und in Washington.

Doch am Mittwoch kam Scholz über die Brücke: Vierzehn deutsche Leoparden werde er in die Ukraine schicken, mit etwas Glück schon Ende März.Zelensky, der wiederholt sein Unverständnis über Scholz‘ Verhalten äußerte, war „aufrichtig dankbar“. Insgesamt wurden nun innerhalb von drei Tagen etwa hundert Panzer von europäischen Ländern, Kanada und den USA versprochen.

Es war nicht Scholz selbst, der die große Leopard-Auflösung initiierte. Joe Biden war es, der am vergangenen Montag nach einem Telefonat mit Scholz entschieden hatte, dass die USA dem Aufruf von Scholz nach politischer Deckung in Form von 31 amerikanischen Panzern Folge leisten würden.

Aber warum hielt Scholz diese Garantie angesichts eines unberechenbaren Gegners, der alles als westliche Provokation betrachtet, für so wichtig, dass er die politische Glaubwürdigkeit Deutschlands aufs Spiel setzte?

Kriegslernkurve

Zurück zu vor elf Monaten, als Russland in die Ukraine einmarschierte. Niemand war auf einen Eroberungskrieg jenseits des Gartentors zwischen der EU und dem Rest Europas vorbereitet, am wenigsten Deutschland.

In ganz Europa war die Kriegslernkurve zwangsläufig steil. Begriffe wie Haubitze und Stinger, früher etwas für Militärkenner, gelten heute als weithin bekannt. Aber nur die Deutschen sahen vor ihrem kollektiven geistigen Auge die schuldigen Schwarz-Weiß-Bilder ihrer Panzer, die vor 80 Jahren ostwärts durch die weite Landschaft der Ukraine rollten und ihre Granaten verwüsteten.

Scholz kündigte dennoch an Zeitenwende on, eine historische Reform der deutschen Außen- und Verteidigungspolitik, mit einem fulminanten Startschuss für eine Investition von 100 Milliarden Euro in die marode Bundeswehr. Doch diese Trendwende hat laut Kritikern im In- und Ausland nur zögerlich, zu zögerlich begonnen.

Pazifistische Dogmen

Vor allem in Scholz‘ eigener Partei, der SPD, sind die Kriegsscheu und die pazifistischen Dogmen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts tief verwurzelt. Genauso wie die Überzeugung, dass ein gutes Verhältnis zu Russland eine Voraussetzung für die Sicherheit Deutschlands und Europas ist. Zudem fühlen sich viele ältere Deutsche, die in der DDR aufgewachsen sind, Russland kulturell immer noch näher als den USA und der übrigen Nato.

Auch als Russland unter Putin immer undemokratischer wurde, suchte Scholz‘ Vorgängerin Angela Merkel nach Wegen, den enger werdenden Korridor zum „normalen Umgang“ mit den Russen offen zu halten, auch zugunsten des großen Bedarfs Deutschlands an russischem Gas.

Infolgedessen ist die Unterstützung für die Ukraine in der deutschen Bevölkerung immer noch geringer als anderswo in Europa. 60 Prozent der Deutschen sind der Meinung, dass der Krieg so schnell wie möglich beendet werden sollte, auch wenn die Ukraine dadurch Territorium verliert. Nur 27 Prozent der Niederländer denken so.

Der Ruf nach Rüstungslieferungen führte zunächst zu einer Versteifung in Deutschland. Ein Beispiel dafür waren die 5.000 alten Helme der Bundeswehr, mit denen die damalige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) glaubte, der ukrainischen Armee einen Dienst zu erweisen.

Keine Führung

Von alten Helmen zu modernen Panzern innerhalb eines Jahres ist ein großer Schritt. Das Warten auf die Amerikaner zeigt aber auch, dass es einen weiteren Schritt gab, den Scholz nicht gehen wollte. Nie zuvor war der Spießrutenlauf um die Führung eines strategischeren und autonomeren Europas so nachdrücklich umkämpft wie in den letzten Monaten. Scholz hat sich in dieser Woche endgültig für diese Rolle bedankt, indem er den Amerikanern den Vorrang gegeben hat.

Der Führer des Westens, eine Position, die Trump ablehnte und Obama sichtlich zögerte, nimmt Biden selbstbewusst wieder ein. Der Ärger über Scholz‘ Trödeln in Washington scheint übrigens keine Spuren hinterlassen zu haben. „Ich fühle mich von Scholz nicht gezwungen, aber ich wollte sicherstellen, dass wir uns einig sind“, sagte Biden am Donnerstag.

Weniger klar ist, ob die osteuropäischen EU-Partner, allen voran Polen, Scholz seine Verspätung verzeihen und wie sie künftig mit etwaigen Rüstungsgesprächen umgehen werden. Jana Puglierin, Direktorin der Denkfabrik European Council of Foreign Relations in Berlin, betont in deutschen und amerikanischen Medien, dass sich das Machtzentrum der EU durch den Krieg in der Ukraine stark nach Osten verschoben habe. Während wichtige Entscheidungen immer noch von den westeuropäischen Ländern getroffen werden, waren Polen und die baltischen Länder die treibende Kraft bei jedem weiteren Schritt der militärischen Unterstützung der Ukrainer.

Der britische Historiker Timothy Garton Ash hat vergangene Woche das schurkische Verb „scholzen“ eingeführt: lautstark gute Absichten bekunden, sie aber wegen endloser Verzögerung nie realisieren. Er wird diese Definition revidieren müssen. Bleibt die Frage, wie viele militärische Schritte jenseits der Panzer Scholz auch mit amerikanischer Rückendeckung zu gehen bereit ist.



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