Beim Sicherheitsgipfel in München macht Nawalnys Tod einmal mehr deutlich, worum es geht: Demokratie

1708118888 Beim Sicherheitsgipfel in Muenchen macht Nawalnys Tod einmal mehr deutlich


US-Vizepräsidentin Kamala Harris trifft in München ein.Bild ANP / EPA

„In diesen schwierigen Zeiten ist klar, dass sich Amerika nicht zurückziehen kann“, sagte Kamala Harris am Freitag auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Anschließend erschien Nawalnys Frau Julia am Tatort. Sie machte Putin verantwortlich und forderte die internationale Gemeinschaft auf, sich gegen sein „schreckliches Regime“ zu vereinen.

Die Münchner Sicherheitskonferenz ist eine jährliche Veranstaltung für politische Führer und Sicherheitsexperten aus aller Welt. Während des Kalten Krieges wurde in München alljährlich die transatlantische Freundschaft bekräftigt. Aber dieses Jahr, während der sechzigsten Ausgabe, war die Stimmung vielleicht düsterer als je zuvor.

Über den Autor
Peter Giesen verschreibt de Volkskrant über die Europäische Union und internationale Zusammenarbeit. Zuvor war er Korrespondent in Frankreich. Er ist Autor mehrerer Bücher.

Harris vermied es sorgfältig, den Namen Donald Trump zu verwenden, aber sein Schatten hing unverkennbar über der Konferenz. Letztes Wochenende sagte er auf einer Wahlkundgebung, er werde Russland ermutigen, mit NATO-Ländern, die den NATO-Standard, 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung auszugeben, nicht erfüllen, „zu tun, was es wolle“. Noch nie in der Nachkriegsgeschichte gab es so viele Bedenken hinsichtlich eines amerikanischen Engagements in Europa.

Die estnische Premierministerin Kaja Kallas sah in Trumps Worten vor allem eine Ermutigung an die Europäer, mehr für die Verteidigung auszugeben. Doch Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnete Trump als rücksichtslos und verantwortungslos.

Amerikanischer Regenschirm

Seit der Gründung der NATO im Jahr 1949 haben die Europäer unter dem amerikanischen Sicherheitsschirm Zuflucht gesucht. Europas Verteidigung basiert auf Abschreckung, wobei die Amerikaner mit ihrer Atomkraft seit jeher eine führende Rolle spielen.

Der Gegner muss glauben, dass die Amerikaner bereit sind, Europa zu verteidigen, und zwar auf der Grundlage des berühmten Artikels 5 des NATO-Vertrags: Ein Angriff auf einen ist ein Angriff auf alle.

Trump hat durch seine aggressive Wortwahl und seine skeptische Haltung gegenüber der NATO erneut Zweifel an der Hilfsbereitschaft Amerikas für Europa gesät. Seine Worte können Russland in seinem kriegerischen Kurs stärken. Wenn der russische Präsident Putin glaubt, dass die Amerikaner nicht reagieren, kann er einen NATO-Mitgliedsstaat angreifen. Der dänische Verteidigungsminister Troels Lund Poulsen sagte diese Woche, dass Russland innerhalb von drei bis fünf Jahren zu einem solchen Krieg bereit sein werde.

Kamala Harris versuchte, die Europäer zu beruhigen, aber in gewisser Weise ist der Schaden bereits angerichtet. Die USA sind für Europa nicht länger der offensichtliche Verbündete der Vergangenheit, egal, ob Trump gewählt wird oder nicht. Die Republikaner im Repräsentantenhaus drohen bereits damit, auf Betreiben Trumps ein Hilfspaket für die Ukraine zu blockieren. Auf diese Weise wird ein entscheidendes europäisches Sicherheitsinteresse dem innenpolitischen Kampf in den USA untergeordnet.

Kalter Krieg

Nach 1945 etablierten sich die USA als Führer der freien Welt im Kampf gegen den Kommunismus. Sie schützten Europa, weil sie verhindern wollten, dass der Kontinent dem sowjetischen Kommunismus zum Opfer fällt. Doch der Kalte Krieg ist nun schon seit vierzig Jahren vorbei. Trump und seine Anhänger glauben, dass Amerika mit Ausnahme der Rivalität mit China genug eigene Probleme hat. Vor allem wollen sie keine Milliarden für Kriege in fernen Ländern ausgeben.

Aber Amerika kommt ohne Europa leichter aus als umgekehrt. Wenn sich die USA von Europa abwenden, wird es eine große Lücke in der europäischen Verteidigung geben. In den Reaktionen auf Trumps Äußerungen meinten viele, Europa habe durch die Vernachlässigung seiner Verteidigung auch etwas Schlimmes getan.

Allerdings sei Europa auf dem Weg der Besserung, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg diese Woche. In diesem Jahr werden 18 der 31 Mitgliedsstaaten den NATO-Standard erfüllen. „Wir machen echte Fortschritte, die europäischen Verbündeten geben mehr aus“, sagte er. In diesem Jahr werden sie 380 Milliarden Dollar für die Verteidigung ausgeben, verglichen mit 230 Milliarden im Jahr 2014. Doch wenn die amerikanische Unterstützung wegfällt, werde viel mehr Geld benötigt, sagte Verteidigungsministerin Kajsa Ollongren am Donnerstag. Nachrichtenstunde: 4 Prozent des BIP, statt des NATO-Standards von 2 Prozent.

Mittlerweile werden in ganz Europa Pläne zur Stärkung der Verteidigung geschmiedet. Am Vorabend von München plädierte Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, für eine gemeinsame Entwicklung der europäischen Verteidigungsindustrie, so wie die EU zuvor gemeinsam Impfstoffe und Gas eingekauft hatte.

Atomwaffen

Die drängende Frage ist, was passieren würde, wenn der Schutz amerikanischer Atomwaffen wegfallen würde. Nur das Vereinigte Königreich und Frankreich (als einziger EU-Mitgliedstaat) verfügen über etwa sechshundert Atomwaffen im Vergleich zu Russland mit fast sechstausend. Selbst in Deutschland sprechen einige Politiker inzwischen über den Aufbau einer eigenen europäischen Atomkraft in Zusammenarbeit mit Frankreich und dem Vereinigten Königreich.

Das Denken in Europa verändert sich, aber nach Jahren der Kürzungen ist es schwierig, die Kapazitäten der Verteidigungsindustrie schnell zu erhöhen. Das Versprechen, die Ukraine mit einer Million Granaten zu beliefern, wurde bei weitem nicht eingehalten.

Es seien größere Anstrengungen nötig, sagte EU-Außenminister Josep Borrell in München. „Wir waren unter dem amerikanischen Dach glücklich“, sagte Borrell, aber wir müssen unseren Regenschirm hochziehen, wenn „America’s“ nicht mehr öffnet.



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