Ein Mann wie ein Tier in einem Glaskäfig, der in einem Moskauer Gerichtssaal auf seinen „Prozess“ wartet. Der Journalist Evan Gershkovich hat es schon einmal gesehen und oft darüber geschrieben, auch dafür Das Wall Street Journal. Zusammen mit anderen Journalisten und Fotografen sah er, wie 2020 Ivan Safronov, ehemaliger Assistent des Leiters der russischen Raumfahrtbehörde und Ehemann der russischen Journalistin Ksenia Mironova, im selben Käfig stand. Gershkovich beobachtete es von der anderen Seite des Glases, der freien Seite, und hörte, wie Safronov zu 22 Jahren Gefängnis verurteilt wurde.
Wie ein Leben laufen kann. Letzten Dienstag fand er sich plötzlich in diesem Stift wieder. Er sah von der falschen Seite durch das Glas. Trotz allem dürfte ihm die Ironie der Situation nicht entgangen sein: Ein amerikanischer Korrespondent in Russland, geboren von jüdischen Eltern, die beide aus der damaligen Sowjetunion flohen und sich in den USA ein sicheres Leben aufbauten, für sich und vor allem für ihre beiden Kinder, Einer von ihnen wurde nun festgenommen und von der russischen Regierung der Spionage angeklagt. Das kann man sich nicht ausdenken, sagt man ungläubig, und das stimmt leider. Das passiert wirklich.
Es war der erste öffentliche Auftritt des 31-jährigen Gershkovich seit seiner Festnahme am 29. März in Jekaterinburg, wo er sechs Jahre gelebt hatte und damals an einer Geschichte über das russische Söldnerheer Wagner arbeitete. Das Moskauer Gericht hatte die internationale und russische Presse versammelt, darunter viele Kollegen und Freunde. Auf den vielen Fotos, die erschienen, nachdem sie ihn sehen durften, spiegeln sich ihre Gesichter und Kameras im glänzenden Glas des Käfigs.
„Evan, halt dich fest!“, rief einer von ihnen. Denn natürlich hatten sie alle den langen Horrorartikel dazu gelesen Die Washington Post kürzlich über das berüchtigte Lefortowo-Gefängnis veröffentlicht, in dem Gefangene in völliger Isolation gehalten werden und kein Geräusch zu hören ist. Gershkovich verbringt jetzt seine Tage an diesem unheimlichen Ort.
Nach dem Pressemoment schrieben die Journalisten ausführlich über das blau karierte Hemd ihres Kollegen. Sie schrieben, seine Handgelenke hätten rote Flecken von Handschellen, er sei blass gewesen, aber vor allem habe er so munter ausgesehen. „Völlig normal, frisch rasiert, sogar freundlich, trotz aller Anfeindungen“, fügten sie hinzu Schiefer Fest. Gershkovich habe gelacht, ja „gestrahlt“, wie man es von ihm gewohnt sei, bemerkten andere. Es schien, als ob sie sich erleichtert aus der Grube schrieben.
Auch auf der anderen Seite des Glases gab Gershkovich sein Bestes. Er ging in seinem beengten Quartier auf und ab, beriet sich mit seinen Anwälten (alles auf Video) und – ja – posierte lächelnd für die Kameras, die Arme resolut vor der Brust verschränkt. Hinter ihm, auf der Bank, war die Rede, die er später hinter verschlossenen Türen verlesen würde, in der er darum bat, bis zum Prozess freigelassen zu werden, ein Antrag, der vom russischen Richter abgelehnt wurde.
Was kann man gegen solch eine gepanzerte totalitäre Machtdemonstration tun, gegen das Image, sich selbst als staatsgefährdend in einem Käfig zu sehen, im Wissen, dass die ganze Welt und die eigenen Eltern zuschauen? Sehen Sie auf keinen Fall niedergeschlagen aus. Ein frisches Hemd anziehen, Ärmel hochkrempeln, frisch und kämpferisch wirken, lächeln. Erstellen Sie ein Gegenbild, eine Umkehrung des Verdächtigen, das die Leute in Ihnen sehen. Mehr Vorstellungskraft hat man in einem solchen Moment leider nicht, selbst als gestandener Russland-Korrespondent.