Auf Bali lernt die G20 das neue, selbstbewusste Indonesien kennen: „Es gibt nichts, was wir nicht tun können“

Auf Bali lernt die G20 das neue selbstbewusste Indonesien kennen


Rollerfahrer passieren Willkommensschilder für die G20 in Jakarta.Bild Hendra Eka für den Volkskrant

Die Zukunft Indonesiens könnte in einem Industriegebiet am Rande der Hauptstadt Jakarta beginnen. Auf dem weitläufigen Gelände des staatlichen Bau- und Industrieunternehmens Wika bewegen Schaufeln knurrend Kies- und Zementhaufen, junge Männer mit Bauhelmen klettern über gigantische Stahlbetonpfeiler und überall ist das Rattern von Stahlpressen und Funkenschweißmaschinen zu hören.

Nichts spricht dafür, dass hier ein Hightech-Startup steht. Aber trotzdem: In einem kleinen Schuppen neben einem Berg aus rostendem Stahl schrauben Dutzende Mechaniker in grauen Uniformen glänzende Elektroroller der jungen Marke Gesits zusammen.

Keine ausländischen Motorräder, die von billigen Arbeitskräften nach ausländischen Anleitungen gebaut werden, wie es in Südostasien üblich ist. Nein, ein indonesischer Roller, erdacht und designt von Indonesiern und hergestellt aus indonesischen Teilen. Nun, für 58 Prozent dann. Einige Komponenten, wie etwa der kostbare Lithium-Akku, stammen noch immer aus China. Aber nicht mehr lange, wenn es nach Regisseur Samyarto geht.

Ein Gesits-Mechaniker montiert einen Roller in der Fabrik in Jakarta.  Bild Hendra Eka für den Volkskrant

Ein Gesits-Mechaniker montiert einen Roller in der Fabrik in Jakarta.Bild Hendra Eka für den Volkskrant

„Sehen Sie, da kommen die Stahlrahmen ins Spiel, die wir nebenan gebogen, geschweißt und gespritzt haben“, sagt er. „Und hier beginnt das Fließband: Erst der Kabelbaum, dann unser eigener Elektromotor aus Tangerang!“ Der Scooter bewegt sich langsam Richtung Ausgang, die Mechaniker haben pro Arbeitsplatz zwei Minuten Zeit. Nach der Qualitätsprüfung durch einen Mann mit orangefarbenem Schutzhelm springt Samyarto auf einen nagelneuen Roller. „Los, Zeit für eine Probefahrt!“ Das Gesits-Website verspricht: ‚Wir werden weiterhin innovativ sein, um schließlich den globalen Markt für Elektromotorräder zu dominieren.‘

G20-Gipfel auf Bali

Das ist das ehrgeizige Gesicht Indonesiens, das Präsident Joko Widodo der Welt gerne zeigt. Nächste Woche wird er die größten Volkswirtschaften der Welt zum G20-Gipfel auf der Ferieninsel Bali empfangen. Dort werden die Delegationsmitglieder mit in Indonesien hergestellten Elektrobussen zum Konferenzzentrum gebracht, vorbei an neu installierten Ladestationen und elektrischen Polizeiautos, die zu diesem Anlass aus Jakarta mitgebracht wurden.

Denn Indonesien ist fester Bestandteil der G20. Das gigantische Land mit 275 Millionen Verbrauchern ist die 17. größte Volkswirtschaft der Welt; der siebte, wenn man die Kaufkraft berücksichtigt. Entsprechend einige Berichte Indonesien wird bis 2050 zur viertgrößten Volkswirtschaft der Welt heranwachsen, nach China, Indien und den USA.

Indonesien selbst blickt auf eine andere Liste: 2045 – genau hundert Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung von den Niederlanden – will das Land in den exklusiven Club der Länder mit hohem Einkommen aufgenommen werden. Wo Einwohner mindestens 13.000 Euro pro Jahr verdienen (die Niederlande liegen bei 56.000 Euro). Mit 4.700 Euro pro Einwohner liegt Indonesien im oberen Mittelfeld, Tendenz steigend. In Südostasien gehören dem Club nur Brunei und Singapur an; aber der erste ist ein Ölstaat und der zweite eine Art Monaco. Es wäre äußerst clever, sagen Experten, wenn Indonesien in das eindringen würde, was früher die Erste Welt genannt wurde.

Keine Eigeninitiative

„Alles beginnt mit Selbstvertrauen“, sagt der Lehrer Muhammad Nur Yuniarto von der Surabaya University of Technology. Er ist einer der Co-Designer des Gesits-Scooters und setzt seine Studenten gerne bei Start-ups rund um den Campus ein, wo sie unter anderem an einer eigenen Lithium-Batterie arbeiten. Es sei eine verpasste Gelegenheit, sagt Nur, dass die indonesische Industrie hauptsächlich ausländische Artikel nach ausländischen Patenten zusammenbaue. „Es gibt nichts, was die Indonesier nicht tun könnten, wenn sie ihre Einstellung ändern.“ Er sei zu gefügig und ohne Initiative, sagt der Ingenieur, der teilweise in Manchester, Großbritannien, ausgebildet wurde. Als Erklärung nennt er die jahrhundertelange Besetzung durch die Niederlande. „Indonesier waren nur gut genug, um zu dienen. Das wirkt sich auf unsere Mentalität aus.“

Die Reifen für die neuen Gesits-Roller werden teilweise in der Kantine gelagert.  Bild Hendra Eka für den Volkskrant

Die Reifen für die neuen Gesits-Roller werden teilweise in der Kantine gelagert.Bild Hendra Eka für den Volkskrant

An seiner eigenen Universität versucht Nur, innovative Studenten hervorzubringen. „Manchester war ein Augenöffner. Da war alles um 180 Grad anders. Wir wurden mit Projekten herausgefordert und mussten selbst Lösungen finden. So schafft man Leader statt Umsetzer.“ Die acht Elektrobusse, die jetzt rund um Bali fahren, und die sieben Ladestationen; sie alle stammen aus den Werkstätten des Institut Teknologi in Surabaya. „Wir nutzen die G20 als Schaufenster. Nicht nur, um Ausländern zu zeigen, was wir können, nein, vor allem den Indonesiern selbst!‘ Nur plädiert für mehr Forschungsbudget und Subventionen, um die Elektromobilität anzukurbeln. „Andere Regierungen machen das schon lange.“

Nagelneue Wolkenkratzer

In Indonesien läuft vieles gut. Steigen Sie in Jakarta in ein Mopedtaxi und navigieren Sie zwischen brandneuen Wolkenkratzern und hoch aufragenden Leuchtschildern, die an New York oder Singapur erinnern. Entlang der überfüllten Straßen bestellen junge Indonesier in retro-modernen Cafés Iced Lattes oder Vietnam Drips. Die Wirtschaft wächst seit Jahrzehnten mehr als 5 Prozent pro Jahr. Der Anteil der in Armut lebenden Indonesier (2,15 Euro pro Tag) ist vor vier Jahren erstmals unter 10 Prozent gesunken.

Bei seinem Amtsantritt im Jahr 2014 erklärte Präsident Widodo den wirtschaftlichen Fortschritt zu seiner ersten und einzigen Priorität. Der ehemalige Möbelhändler aus Surakarta startete große Infrastrukturmaßnahmen, um das Inselreich besser zu verbinden: neue Häfen, Mautstraßen, Flughäfen und Bahngleise. Allein die Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Jakarta und Bandung – die die Fahrzeit von 2,5 Stunden auf 39 Minuten verkürzen soll – kostet 8 Milliarden Euro. Widodo hat dieses Jahr bürokratische Regeln für Investoren abgeschafft und baut behutsam einen Wohlfahrtsstaat auf – 235 Millionen Indonesier sind inzwischen Mitglieder seiner staatlichen Krankenversicherung – und der Präsident wurde mit einer zweiten Amtszeit belohnt.

Korruption und Armut

Auch in Indonesien läuft vieles nicht rund. Fahren Sie die zehnspurige Jalan Tol (Mautstraße) aus Jakarta heraus und Sie werden Obdachlose sehen, die unter Überführungen schlafen, und Kinder, die zwischen Müllhaufen am Flussufer spielen. Die vier reichsten Indonesier sind zusammen reicher als die ärmsten 40 Prozent der Bevölkerung (mehr als 100 Millionen Menschen). Auf internationalen Listen zu Korruption, Demokratisierung, Gesundheitsversorgung und Bildung schneidet das Land ausnahmslos schlecht ab. Beispielsweise ist die Kindersterblichkeit dreimal höher als in den Nachbarländern Thailand und Malaysia.

Regisseur Muhammad Samyarto von Gesits.  Bild Hendra Eka für den Volkskrant

Regisseur Muhammad Samyarto von Gesits.Bild Hendra Eka für den Volkskrant

Im weltweiten Pisa-Vergleich des Schülerniveaus baumelt Indonesien ausnahmslos am Ende. Widodo hat zwar 2019 den jungen Tech-Milliardär Nadiem Makarim zum Bildungsminister ernannt, aber viele strukturelle Veränderungen konnte er noch nicht durchsetzen. Der in Harvard ausgebildete Gründer der erfolgreichen Multi-App Gojek (u.a. für Taxi, Lieferservice, Bezahlplattform) hat über eine Online-Plattform ein Umschulungsprogramm für alle Lehrer gestartet. Außerdem muss Makarim mit islamischen Führern konkurrieren, die glauben, dass Studenten hauptsächlich Koranverse rezitieren sollten.

„In den Augen von Entwicklungsökonomen tut Widodo im Großen und Ganzen das Richtige“, sagt David Henley, Professor für Indonesienstudien an der Universität Leiden und Autor eines Buches über die unterschiedlichen Entwicklungsraten zwischen asiatischen und afrikanischen Ländern. Institutionen wie die Weltbank und der IWF schreiben seiner Ansicht nach neben dem Abbau von Handelshemmnissen auch Investitionen in Infrastruktur und Bildung als Standard vor. „Das bringt auch Ergebnisse, aber oft weniger als erwartet.“ Indonesien sei ein stabiles Land mit mittlerem Einkommen, sagt der Professor, das stetige Fortschritte mache. „Aber 2045 schon ein Land mit hohem Einkommen? Ich gehe davon aus, dass Thailand und Malaysia dies früher erledigen werden.‘

Reiche Oligarchen

Ihm zufolge verlässt sich Indonesien zu stark auf den Verkauf von Rohstoffen wie Palmöl und Kohle, was einer kleinen Gruppe von Oligarchen erlaubt, reich zu werden und politischen Einfluss in Jakarta zu kaufen. Gleichzeitig kauft der Staat ausländische Bergbauunternehmen auf und versucht, das Land durch den Bau von Hütten und Raffinerien in der Wertschöpfungskette nach oben zu bringen. Nun, dieses Modell liefert fast nirgendwo auf der Welt gute Ergebnisse.‘

Wenn Indonesien sich wirklich schnell durchsetzen wolle, brauche es ein nationales Programm, in dem Regierung, Wirtschaft und Universitäten eng und langfristig zusammenarbeiten, sagt der Professor. „Und das ist schwierig.“ Taiwan und Südkorea sei das gelungen, so Henley. China teilweise. „In diesen Ländern hat die Regierung Milliarden in einen Sektor investiert, wie die Autoindustrie oder die Elektronik; schirmte es von ausländischen Konkurrenten ab und gab seinen eigenen Unternehmern und Forschern Zeit, ein Produkt zu entwickeln, das auf dem internationalen Markt bestehen konnte.‘ Beispielsweise seien Samsung, Hyundai und Huawei zu globalen Marken gewachsen, sagt er.

Zurück zum Zeichenbrett

Die Krux liegt in den Qualitätsanforderungen. Viele Hersteller sind bereits zufrieden mit dem Geld, das sie auf dem heimischen Markt verdienen. Von der malaysischen Automarke Proton oder dem indonesischen Flugzeughersteller Dirgantara Indonesia haben deshalb nur wenige Menschen gehört. Henley: „Es ist ein Paradoxon. Ohne staatliche Eingriffe werden Sie auf dem internationalen Markt in der Regel nicht wettbewerbsfähig.‘ Die Qualität des in Indonesien entworfenen und produzierten Gesits-Rollers ist noch nicht auf diesem Niveau, räumt auch Co-Designer Nur ein. „Es ist normal, hin und wieder ans Reißbrett zurückgreifen zu müssen. Aber dafür muss man die Zeit haben.‘

Im Motorradgeschäft Sentrik in Denpasar, unweit des Strandes, an dem sich diese Woche die Weltspitze trifft, strahlt ein Gesits im Schaufenster. Auf der Straße sieht man sie zwischen den Millionen Japanern und Koreanern kaum Skuter Rauchen und Knistern verstopfen die engen balinesischen Straßen. Doch seit Widodo in diesem Jahr die Subventionen auf Sprit kürzen musste – der Krieg in der Ukraine erreichte damit den gewöhnlichen Indonesier – sei das Interesse an Elektrofahrzeugen gestiegen, sagt der zufriedene Verkäufer. „Ein Liter Benzin kostet jetzt 64 Cent, während man mit einer Batterie, die man für 13 Cent auflädt, genauso weit kommt! Außerdem sind die Wartungskosten geringer.“ Andererseits räumt er ein, dass ein E-Scooter in der Anschaffung etwas teurer ist. ‚Ähm nein, die Umwelt spielt bei der Kaufentscheidung keine Rolle.‘

Dies ist der erste Beitrag unseres neuen Südostasien-Korrespondenten.



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