Auch nach einem Wahlsieg wird der Überlebensinstinkt von Rutte IV nicht sofort verschwinden

Auch nach einem Wahlsieg wird der Ueberlebensinstinkt von Rutte IV


Durch den Wind bekommt eine Fahne des Bauernprotestes wieder ihre richtige Farbe.Bild Marcel van den Bergh / de Volkskrant

„Vote them out“, lautet der klare Wahlspruch von Geert Wilders. Die Logik des PVV-Chefs: Wenn die Koalition im Senat stark verliert, sind die Tage von Rutte IV gezählt. Der Senat wird alle Kabinettspläne torpedieren. Weiter zu herrschen wird zur Illusion.

Diese Geschichte ist nicht ganz originell. Bei den Landtagswahlen 2015 und 2019 hatte Wilders ähnliche Parolen, und auch die damaligen Wähler bedienten ihn auf Abruf: Die Koalition verlor kräftig. Was als nächstes geschah? Rutte II und Rutte III regierten weiterhin.

So läuft es meistens. Provinzwahlen sind selten der Auftakt zu einer Kabinettskrise. Das geschah erst 1958 und 1966, als die PvdA als Regierungspartei zerbrach und die Spannungen innerhalb der Koalition in der Folge unüberwindbar wurden.

Gespaltene Koalition

Über ein ähnliches Schicksal von Rutte IV wird bereits viel spekuliert. Auch Premierminister Mark Rutte und CDA-Chef Wopke Hoekstra wollen einen Kabinettssturz nicht ganz ausschließen. Das ist nicht unverständlich. Bei wichtigen Themen wie der Stickstoff- und Asylpolitik ist die Koalition bereits gespalten. Wenn die Unterstützung im Senat weiter zurückgeht, muss das Kabinett Zugeständnisse machen, um Unterstützung von der Opposition zu erhalten. Können die untereinander gespaltenen Regierungsparteien, die sich sicherlich tief in das Stickstoff-Dossier eingearbeitet haben, damit leben?

Nach dem 15. März wird es sicherlich nicht einfacher, aber das bedeutet nicht, dass der Überlebensinstinkt von Rutte IV sofort verschwindet. Nach den vorangegangenen Landtagswahlen war das Gegenteil der Fall: Je schwächer die Koalitionsparteien wurden, desto mehr wollten sie Neuwahlen auf nationaler Ebene verhindern.

Neue Dynamik

Dieser Reflex ist Teil der neuen politischen Dynamik in Den Haag. In der Vergangenheit war es für Regierungsparteien noch konsequent, nach einer Wahlniederlage die Konfrontation innerhalb der Koalition zu suchen. Der damit riskierte Kabinettssturz wurde eher als Erlösung gesehen: Nach einer Zeit voller Kompromisse konnte eine Oppositionspartei wieder an ihrer eigenen Geschichte arbeiten.

Diese Perspektive ist fast verschwunden. Durch die Zersplitterung des Repräsentantenhauses ist es für gemäßigte Parteien schwieriger geworden, sich von der Opposition abzuheben. An einer neuen Geschichte kann gearbeitet werden, aber es gibt keine Garantie, dass jemand zuhört. Es gibt immer eine Fraktion, die lauter schreit oder eine medienfreundlichere Position einnimmt. Das Schicksal der PvdA dient als Schreckgespenst: Die alte Regierungspartei entschied sich 2017 für die Opposition, fristet dort seither aber ein marodes Dasein.

Innerhalb der Koalition

Die neue Haager Logik: Es ist besser, innerhalb einer Koalition an der Wiedergewinnung der Wahlen zu arbeiten als außerhalb. Schließlich wird einer der vier Regierungsparteien mehr Aufmerksamkeit geschenkt als einer der fünfzehn oder mehr Oppositionsparteien. Davon profitierte D66 in der vergangenen Amtszeit. Die Partei war lange in schlechter Verfassung und verlor bei den Midterm-Wahlen stark, aber durch die Aufstellung von Ministerin Sigrid Kaag als Parteivorsitzende kam die Partei schließlich an die Oberfläche.

Darüber hinaus ist die Schlagkraft der Regierungsparteien bei Wahlen gewachsen. In der Vergangenheit hatten Parteien noch eine große Anhängerschaft, die nach Wahlniederlagen internen Widerstand mobilisieren konnte. Die einst gefürchteten Parteitage werden nach dem Mitgliederschwund von Menschen dominiert, die selbst politische Ämter bekleiden und nicht von Unruhen profitieren. Eine Partei wie der CDA kann stark verlieren, was nicht bedeutet, dass eine Revolte ausbrechen wird.

Kurzfristige Kriegssprache

Die Koalition wird in ihrem Regierungswillen auch auf die Opposition angewiesen sein. Auch bei früheren Provinzwahlen drohte der Senat, Pläne zu torpedieren, aber diese Kriegssprache verschwand nach dem Wahlkampf oft. Auch die Opposition hat nicht immer ein kurzfristiges Interesse an einem Kabinettssturz. GroenLinks und PvdA befinden sich mitten in einem komplizierten Fusionsprozess und die Umfragen zeigen noch keinen durchschlagenden Erfolg. Wagen diese beiden Parteien schon Neuwahlen im Parlament anzustreben?

Auch Parteien wie BBB und JA21 befinden sich noch in der Entwicklung. Ihre junge Organisation wird nur dann weiter unter Druck geraten, wenn kurzfristig ein neuer Wahlkampf ausbricht.

Als größte Regierungspartei wird die VVD die Entwicklungen bei BBB und JA21 aufmerksam verfolgen. Die jetzige Koalition bietet wenige Anhaltspunkte, um die viel gewünschte strengere Asylpolitik zu erreichen, aber bisher gab es nie eine Alternative. Rechts gibt es keine Verkehrsinsel, weil PVV und FvD als potenzielle Regierungspartner abgeschrieben wurden. D66 hat ein ähnliches Problem: Die Partei will vielleicht eine progressivere Politik, aber nirgends gibt es eine Mehrheit für ein linkes Kabinett.

Himmelsstürmer

Nun, da alles darauf hindeutet, dass BBB der neueste Stormtrooper wird, hofft der VVD insgeheim, dass sich Caroline van der Plas als weniger kompromisslose Oppositionsführerin entpuppt als Wilders oder Thierry Baudet. Viele VVD-Mitglieder sind bereit, für eine strengere Einwanderungspolitik eine Kabinettskrise zu riskieren, aber dann muss es eine Alternative geben. Mit BBB kann das ins Bild kommen.

So weit ist es noch nicht. Die Erfahrungen mit anderen Newcomern wie LPF, PVV und FvD haben die Partei schüchtern gemacht. Auch für den Parteichef Mark Rutte, der sich als Hüter der politischen Stabilität präsentiert, birgt ein möglicher Kabinettssturz ein Risiko. Ruttes Vorgänger Jan Peter Balkenende entgleiste seine Kabinette und wurde als einer der wenigen amtierenden Ministerpräsidenten abgewählt. Das bedeutet, dass der VVD von der Rutte IV nicht einfach die Hände waschen will.



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