Femke Bol hat es eilig. Vierzehn Stunden, nachdem sie als erste Niederländerin den Europameistertitel über 400 Meter gewonnen hat, spricht sie erneut mit Schweiß auf der Stirn und Stacheln in der Hand vor der Presse. Über 400 m Hürden hat sie gerade noch das Halbfinale überstanden. Nur ein paar Fragen, es sollte nicht zu lange dauern.
Nach ihrem Sieg am Mittwochabend beendete sie auch schnell die Gespräche mit Journalisten. Sie spricht fließend und fast ohne Atempausen, ihre Stimme noch etwas höher als sonst von der Anstrengung, die sie sich gerade gemacht hat. Als sie denkt, dass es lange genug gedauert hat, tritt sie zur Seite in Richtung Ausgang. Damit erzwingt die Europameisterin das Ende des Fragenfeuers.
Verständlich, dass Bol (22) nicht in den Katakomben des Olympiastadions verweilen wird. Sie brennt auf noch mehr Erfolg in München und strebt „das Double“ an: Gold über 400 Meter „flach“ und 400 Meter Hürden. Sie will auch als Mitglied der 4×400-Meter-Staffel triumphieren.
Logistisch ist alles in Ordnung, auch weil Bol die Serie ihrer Einzelnummern überspringen darf und sich direkt für das Halbfinale platziert hat. Es ist jedoch nicht einfach, den vollen Zeitplan durchzustehen. Nach ihrem Sieg über 400 Meter mit einem neuen niederländischen Rekord von 49,44 folgten „Dopingkontrolle, Eisbad, Physio und Essen“. Um 1 Uhr lag sie im Bett, gegen 3 Uhr schlief sie ein. Um halb sieben stand sie neben ihrem Bett, bereit für die Fortsetzung ihres Feldzugs.
Skrupellos für sich selbst
Bol ist rücksichtslos mit sich selbst. Schon als Teenager in Amersfoort war sie das. Einst sportsüchtig, nahm sie sich viel Zeit dafür. Während ihre Freunde die Verlockungen zum Ausgehen entdeckten, wurde Bol im Alter von etwa 16 Jahren fanatischer. Das ging und wird automatisch passieren. Sie hat nie das Gefühl, dass es ein Opfer ist. „Ich kann jeden Tag rausgehen, im Kreis laufen, über die Hürden fliegen; tun, was ich gerne tue. Dazu gehört, bis zum Äußersten zu gehen “, sagte sie letztes Jahr in de Volkskrant.
Dabei ist sie bescheiden. Lange dachte sie, dass das Höchste, was für sie erreichbar wäre, ein Platz in der Staffel über die 4×400 Meter wäre. Vielleicht bei den Spielen 2024 in Paris, hoffte sie. Das war viel zu klein gedacht, ihr Talent stellte sich als viel größer heraus.
Der Wendepunkt für sie selbst kam 2020, als sie in der Diamond League, dem prestigeträchtigen internationalen Wettbewerbszyklus, zweimal die Beste war. Im folgenden Jahr gewann er Bronze beim olympischen 400-Meter-Hürdenlauf in Tokio. Sie wurde zum europäischen Talent des Jahres gekürt. Ihr Name war gemacht, ihr Selbstvertrauen gefestigt.
Sie bezeichnet sich selbst als Realistin, wenn es um ihre sportlichen Erwartungen geht. Sie träumt nicht, schätzt sie. Dass sie nachdrücklich sagt, dass sie die 400 Meter und 400 Meter Hürden gewinnen will, ist bezeichnend. Sie weiß, dass sie es kann. Und sie versteht, dass sie jetzt, wo sie in dieser Position ist, ihre Chance ergreifen muss.
Status
In den letzten Jahren hat sie im Sportzentrum Papendal unter der Leitung der Trainer Laurent Meuwly und Bram Peters unermüdlich ihre körperlichen Fähigkeiten ausgebaut. In den Niederlanden hat sie ihresgleichen, schon gar nicht auf der Hürde, ihr Spezialgebiet. Ab und zu absolviert sie Trainingsrennen über 250 Meter, bei denen sie Hürden überspringt und ihre Konkurrentinnen ohne Zäune über die Strecke laufen lässt. Auch dann ist sie oft die Schnellste.
Wenn Sie in München mit der U-Bahn fahren, stoßen Sie auf Femke Bol. Überlebensgroß steht sie in etwas ungünstiger Position, beide Hände auf dem rechten Knie, auf Werbeplakaten ihres Schuhsponsors. Der tiefe Blickwinkel der Fotografin lässt ihre Schuhe unnatürlich groß erscheinen.
Sie ist die einzige, die so prominent in der Stadt zu sehen ist. Es sagt etwas über seinen Status aus, über seinen kommerziellen Wert. Beliebt ist der fröhliche Bol, dessen Schlagwort „super“ lautet. Zumindest aus niederländischer Sicht hat sie Dafne Schippers als Aushängeschild der Leichtathletik abgelöst.
Weltmeistertitel
Das Werbeplakat trägt ihren Namen und darunter: „European Record Holder, 400m Hürden“. Diese Beschreibung betont versehentlich die Einschränkung, mit der Bol zu kämpfen hat. Sie mag in Europa unnahbar sein, ein Phänomen bei den 400-Meter-Hürden, global ist das anders. Insofern unterscheidet sich ihr Status von dem von Schippers in ihren besten Tagen. Neben dreimaligem Europameistertitel – 2014 sogar über 100 und 200 Meter – wurde der Sprinter auch zweimal Weltmeister über 200 Meter (2015 und 2017).
Für Bol scheinen WM-Titel schwieriger zu erreichen. Sie muss sich mit der Amerikanerin Sydney McLaughlin auseinandersetzen, die bei der WM ihren eigenen Weltrekord von 51,41 auf 50,68 gebrochen hat. Bols persönliche Bestleistung liegt bei 52,03. Und wie Bol plant auch die nur sechs Monate ältere McLaughlin, die „400m Wohnung“ zu ihrem Jagdrevier zu machen.
Bei der EM muss sie sich keine Sorgen um die US-Amerikanerin machen und kann die Force Majeure auf ihrem eigenen Kontinent voll ausnutzen. Bedingung ist, dass sie zwischen den Rennen ein bisschen Tempo macht. Und dann muss sie am Donnerstagabend auch noch zur Siegerehrung über die 400 Meter. Das ist ein weiterer Termin in ihrer vollen Agenda. Sie weiß daher genau, was bis dahin zu tun ist. „Schnell erholen, etwas schlafen und dann das Wilhelmus gehören.‘ Nach diesen Worten rennt sie davon.