Asylkrise erfordert Pragmatismus, kein Wunschdenken

Asylkrise erfordert Pragmatismus kein Wunschdenken

Wunschdenken in der Politik wird hartnäckiger, wenn das selbst geschaffene Migrationschaos zunimmt. Der Pragmatismus scheint über die Bühne gegangen zu sein.

Carlijne Vos

Politiker sollten sich nicht so sehr auf Papierlösungen konzentrieren. Das ist der Kern einer Schlussfolgerung des WODC, des Wissenszentrums des Justiz- und Sicherheitsministeriums. Nach Recherchen stellte das WODC fest, dass die Rückführung von Migranten aus sicheren Ländern wie Marokko oder Tunesien einfach schwierig ist, selbst wenn mit den Herkunftsländern entsprechende Vereinbarungen getroffen werden können. Im Durchschnitt kehren 30 bis 40 Prozent der sogenannten „sicheren Einwanderer“ zurück, viele ziehen ein Leben in der Illegalität irgendwo in Europa vor.

Safelander dominieren die niederländische Asyldebatte, insbesondere weil diese relativ kleine Gruppe größtenteils für die Belästigung in und um Asylbewerberheime verantwortlich ist. Infolgedessen nimmt die Unterstützung für die Aufnahme „echter“ Kriegsflüchtlinge rapide ab, was sich bereits in der anhaltenden Zurückhaltung der Kommunen zeigt, mehr Aufnahmeplätze für Asylsuchende oder Unterkünfte für Statusinhaber anzubieten.

So wünschenswert es auch ist, die Safelander zurückgeben zu können, es ist keine Lösung für die Asylkrise. Das WODC weist daher zu Recht auf das Problem des Wunschdenkens in der Politik hin, ein Phänomen, das sich mit zunehmendem – selbst geschaffenem – Chaos immer hartnäckiger zu machen scheint. Die Blockade in der Asylkette zum Beispiel, in deren Folge Hunderte von Asylbewerbern im Asylbewerberzentrum in Ter Apel draußen oder auf dem Boden schlafen oder von einem Ort zum anderen verlegt werden müssen, ist das Ergebnis von „ Wunschdenken‘ Fehleinschätzungen über die erforderliche Aufnahmekapazität und weniger höhere Gewalt.

Versagende Europapolitik

Immerhin ist die Zahl der illegal in die EU einreisenden und weiterreisenden Asylsuchenden nicht extrem höher als in den Vorjahren, obwohl es durch Corona einen kalkulierbaren Nachholeffekt gab. Allerdings scheint jegliche Gastfreundschaft aufgrund des zusätzlichen Stroms ukrainischer Flüchtlinge verloren gegangen zu sein, die, obwohl sie nicht unter das Asylsystem fallen, immer noch auf andere Systeme und insbesondere auf den begrenzten Wohnungsbestand angewiesen sind – ebenfalls ein selbst geschaffenes Problem.

Dass Migranten und Asylbewerber aus dem Süden Europas, wo sie illegal eingereist sind, überhaupt noch illegal in wohlhabendere Länder wie die Niederlande reisen, ist eine Folge verfehlter europäischer Politik. Seit der syrischen Flüchtlingskrise 2015 hat es die EU versäumt, ein funktionierendes und faires Asylsystem aufzubauen. Versuche, die Flüchtlinge gerechter auf die Mitgliedsstaaten zu verteilen, um die südlichen Länder zu entlasten, scheiterten. Dieser Mangel an Solidarität führt dazu, dass Länder wie Griechenland und Italien wiederum weniger dafür tun, dass Migranten nicht illegal weiterreisen.

In diesem Teufelskreis der Ohnmacht herrscht Angst und die Mauer um die Festung Europa wird immer höher errichtet, Migranten werden von der Küstenwache zurück ins Meer gedrängt oder nackt über die Grenze gebracht. Die Grenze der menschenwürdigen Aufnahme wird immer weiter verschoben, selbst die Aufkündigung der Flüchtlingskonvention ist kein Tabu mehr. Auch hier verschließt sich die Politik gerne einer Papierlösung: Aufnahme in der Region und Asylbewerberheime außerhalb der EU-Grenzen – daran interessiert kein nordafrikanisches Land.

Der WODC plädiert zu Recht für „mehr Realismus“ in der Politik. Das Migrationschaos wird nicht verschwinden, solange es kein funktionierendes europäisches Asylsystem gibt. Und Schmuggler werden ihre Dienste anbieten, solange es keine legalen Wege mehr gibt, um in die EU zu gelangen, um Asyl zu beantragen oder als Saisonarbeiter zu arbeiten. Inzwischen schreit der Arbeitsmarkt nach ungenutzten Arbeitskräften. Die Asylkrise erfordert Pragmatismus und kein Wunschdenken und Wegschauen.

Die Position der Zeitung wird im Volkskrant Commentaar zum Ausdruck gebracht. Es entsteht nach einer Diskussion zwischen den Kommentatoren und dem Chefredakteur.



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