An vielen Adressen ließ die ADE das Geschirr jubelnd aus den Küchenschränken tanzen

ADE ist zurueck in voller Staerke Publikum aus achtzig Laendern


Französischer DJ Anetha beim Amsterdam Dance Event.Statue Ines Vansteenkiste-Muylle

Sie kommt nicht rein, aber es scheint sie auch nicht zu stören. Die israelische DJ Lady Dragon tritt aus der langen Schlange vor De Brakke Grond, wo Hunderte von Produzenten und DJs während des Amsterdam Dance Event (ADE) an Workshops und Meisterkursen teilnehmen, und dreht sich eine Zigarette. Schade. „Haben Sie Kopfhörer dabei?“, fragt sie. „Hör dir meinen neuen Track an, ich habe ihn gerade gemacht. Es ist noch nicht fertig, aber sagen Sie mir, was Sie denken.‘

Lady Dragon, die diesen Track in atmosphärischer Trance hören kann, ist gerade aus Israel eingeflogen: mal wieder zu ADE, in letzter Minute. Nicht einmal zum Feiern, sondern hauptsächlich zum Netzwerken, zum Beispiel vor einem Zelt anstehen, in das man nicht hineinpasst. „Man kann hier fast anthropologische Forschung betreiben“, sagt sie. ‚Sehen Sie, wie der Beruf aussieht.‘ Und setzen Sie sich mit Kollegen oder anderen Musikprofis in Szene. „Was ist deine Null-Sechs? Ich werde Ihnen auch meinen Track app. Aber bitte nicht teilen.‘

Das Amsterdam Music Festival in der Johan Cruijff Arena.  Statue Ines Vansteenkiste-Muylle

Das Amsterdam Music Festival in der Johan Cruijff Arena.Statue Ines Vansteenkiste-Muylle

Jeder, der in Amsterdam lebt, weiß es. Die jährliche fünftägige Tanzveranstaltung ist kolossal geworden, ein lärmendes Monster, das die Stadt in Besitz nimmt. In diesem Jahr fanden Partys von den alten Bijlmerbajes zu einem Büro namens Raw von einer bekannten Bekleidungsmarke statt. Und ja: Anwohner beispielsweise der Hollandschen Manege auf dem Overtoom merkten auch, dass ADE nach einigen Jahren Zwangspause wieder an den Start gegangen war, als ihr Geschirr zu einem Bass-Vierteltakt aus den Küchenschränken jubelnd heraustanzte Pferdeställe. Gejammert wurde viel und wohl nicht nur über das Overtoom, auch das ist Teil der größten Manifestation für Tanz- und Clubkultur der Welt. Auch darauf kann Amsterdam stolz sein.

Audio Obscura in der G-Star-Fabrik.  Statue Ines Vansteenkiste-Muylle

Audio Obscura in der G-Star-Fabrik.Statue Ines Vansteenkiste-Muylle

Diese ausnahmslos ausverkauften ADE-Partys beflügeln die Amsterdamer Nachtclubs. Sie haben schwierige Jahre hinter sich und befinden sich noch immer im Ausnahmezustand, weil sich die Aussichten durch die aktuelle Streubombenkrise nicht verbessert haben.

Aber ADE ist auch deshalb wichtig, weil auf der Konferenz Welten zusammenkommen und die Tanzkultur und ihre Bedeutung für die Menschheit im globalen Kontext diskutiert wird. In diesem Jahr wird dem aufstrebenden Clubleben im Nahen Osten und Nordafrika viel Aufmerksamkeit geschenkt. Der Arabische Frühling, so erloschen er auch gewesen sein mag, hat etwas von 2010 ausgelöst, das jetzt, nach Corona, erst richtig zum Tragen kommt.

Clubs eröffnen in Bahrain, Tunesien und Palästina und die ersten Tanzfestivals wurden gesichtet. Beeindruckend ist die Geschichte des palästinensischen DJs Sama Abdulhadi, der erzählt, wie in Städten wie Ramallah eine bescheidene Technoszene brodelt. „Alle Musik in Palästina ist politisch und patriotisch, von Pop bis Hip-Hop“, sagt sie. „Man wird ständig an das Elend in unserem Land erinnert und deshalb ist so etwas wie Techno eine Ausrede. Man kann sich in etwas anderem verlieren, miteinander, ohne an Krieg oder Gewalt zu denken.‘

Abdulhadi spielte zuerst Kassetten auf Partys und schaffte es dann, einen billigen Mixer in die Hände zu bekommen, der zum pulsierenden Herzen einer kleinen Musikgemeinschaft wurde. „Jeder hat das Ding benutzt.“ Die ersten Raves fanden zum Beispiel in Ramallah statt, aber an ein Stamping-Spektakel wie in Amsterdam, das an diesem Wochenende von 400.000 Menschen besucht wird, ist sicherlich nicht zu denken. „Bei den ersten Partys waren wir von Soldaten umringt. In Palästina ist derzeit jedenfalls nichts möglich. Die Stimmung ist wegen der neuen Gewalt so gedrückt, dass niemand mehr an Musik denkt.‘

Das Amsterdam Music Festival in der Johan Cruijff Arena.  Statue Ines Vansteenkiste-Muylle

Das Amsterdam Music Festival in der Johan Cruijff Arena.Statue Ines Vansteenkiste-Muylle

Dennoch mache Tanz in Krisenländern Hoffnung, sagen auch Clubbesitzer aus dem Libanon und Saudi-Arabien bei einer Gruppendiskussion am Freitag über Tanz im Nahen Osten. Weil gemeinsames Tanzen Erlösung bietet, und auch, weil eine neue Generation ihr eigenes DJ-Talent in der entstehenden Tanzkultur entfesseln kann. „Das Publikum ist gespannt statt verwöhnt“, sagt die Tunesierin Amira Guetif, Mitorganisatorin des bahrainischen Festivals Soundscapes. Dance in the West hat bewiesen, dass aus dem Hungergefühl, das hier in den 1990er Jahren aufflammte, die schönste Tanzkultur entstehen kann.

Numéro Party in Lofi während ADE.  Statue Ines Vansteenkiste-Muylle

Numéro Party in Lofi während ADE.Statue Ines Vansteenkiste-Muylle

Und so alltäglich das Clubleben hier auch sein mag, trotz der Probleme der letzten Jahre und der Geringschätzung, die das Nachtleben den Menschen während Corona entgegengebracht hat, wirken die Amsterdamer Partys nach Ansicht der Beteiligten keineswegs verwaschen. Im Hafengebiet rund um die alte NDSM-Werft feiert das Sommerfestival Into the Woods eine herbstliche ADE-Ausgabe, rund neun Bühnen und einen Berg atemberaubender DIY-Kunst. Dem kitschigen, aber auch ziemlich scharfen Pop und Hip-Hop der Zwollenaar Nonchelange steht hier der experimentelle, fesselnde Techno der Brit Setaoc Mass gegenüber. Sprechen Sie über ein gemeinsames Tanzerlebnis.

Der aus Syrien in die Niederlande ausgewanderte Fafi Abdel Nour, der in Groningen die LGBTI-Partei Homoost gründete, zeigt auf der etwas weiter entfernten DGTL-Party, dass sein bisweilen strenges Underground-House alle zum Tanzen bringen kann. Auf derselben Party in der riesigen NDSM-Lagerhalle spielt der australische DJ Teneil Throssell, alias Shark, zusammen mit Romy, der Sängerin der Band The Xx. Obwohl ihr gemeinsames Set nicht fehlerfrei ist und manchmal ein Beat aus dem Takt springt, breitet sich die Freude, mit der die beiden House mit Einflüssen aus Achtziger-Pop und New-Wave zusammendrehen, auf das Publikum aus.

Wie weit sich der Tanz in den letzten dreißig Jahren entwickelt hat, zeigt sich am Samstagabend rund um die Johan-Cruijff-Arena. Der gestandene DJ Carl Cox verwandelt den Ziggo Dome in den größten Techno-Bunker der Welt: Was für ein unerhört tightes und brutal hartes Live-Set der Brite hier zusammenstellt, und was für eine halluzinatorische Lichtshow sich im Konzertsaal offenbart.

In der Zwischenzeit werden am Bahnhof Bijlmer Arena Züge voller Hardcore-Enthusiasten ausgespuckt, und im Afas Live bildet sich eine Schlange von Tanzbesuchern in Camouflage-Hosen, um bis zum Morgengrauen zu hämmern. Im angrenzenden Fußballstadion melden sich Zuschauer aus achtzig Ländern für eine Nacht mit fröhlichem „Progressive House“ oder EDM für das jährliche Amsterdam Music Festival, das ebenfalls mit dem ADE verbunden ist.

Die Deutsche Ellen Allien bei ADE.  Statue Ines Vansteenkiste-Muylle

Die Deutsche Ellen Allien bei ADE.Statue Ines Vansteenkiste-Muylle

Hier wird auch ein spektakuläres Feuerwerk gezündet, das sich besonders festlich anfühlt, da ADE nach drei Jahren wieder in voller Stärke ist. Aber auch, weil das Line-up zeigt, dass die niederländischen Größen der ersten Stunde, wie Armin van Buuren und Tiësto, immer noch an der Spitze der zugänglichsten Tanzgenres stehen. Mit Tiëstos euphorischem Trance- und House-Set kommt man nicht umhin, diesen Beharrlichen zu respektieren, der in den 1990er Jahren auftauchte, dann zu einem der beliebtesten DJs der Welt wurde und jetzt, nach fast dreißig Dienstjahren, immer noch riesige Pop-Hits landet .von Das Geschäft bis um Das Motto.

Es ist wunderbar zu sehen, wie Tanzgänger aus Indien, Malaysia, Tunesien und Israel, erkennbar an den Fahnen, die sie wie Partyklamotten um die Schultern geworfen haben, sich für einen Moment ohne Sorgen einer langen Nacht voller Tanzvergnügen hingeben.

Man weiß nie

Die ADE ist manchmal ein urkomischer Kulturkampf. Zum Eröffnungskonzert am Mittwoch mit dem Metropole Orkest kommt ein deutlich älteres Publikum. Aber die Sicherheit ist streng und durchsucht Damen und Herren in den 70ern sehr gründlich. Es ist schließlich ADE, und wer weiß, was man da hinter dem Hosenbund oder in der Handtasche ins Zimmer schmuggeln will.

ADE in der Dominikuskirche.  Statue Ines Vansteenkiste-Muylle

ADE in der Dominikuskirche.Statue Ines Vansteenkiste-Muylle



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