Landwirte in Frankreich demonstrieren seit etwa zwei Wochen, indem sie Straßen im ganzen Land blockieren. Die Polizei zögert bislang, einzugreifen. Wenn es nach den Bauern geht, werden sie ab Montag auch Paris auf unbestimmte Zeit blockieren, bis ihre Forderungen erfüllt sind. Die Behörden versuchen mit aller Kraft, dies zu verhindern.
Der Dachverband der Landwirte Fnsea (Fédération nationale des syndicats d’exploitants agricoles) hat ein Paket sehr unterschiedlicher Forderungen an die französische Regierung. Unmittelbarer Anlass der Demonstrationen war der Plan, den Steuervorteil für Diesel für Landwirte schrittweise abzuschaffen. Premierminister Gabriel Attal versprach am vergangenen Freitag bei einem Besuch auf einem Bauernhof im Südwesten Frankreichs, diese Vereinbarung nicht zu manipulieren. Allerdings hat das die Unruhen noch nicht gemildert.
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Joram Bolle ist Generalreporter für de Volkskrant.
Das Misstrauen zwischen den Landwirten und der französischen Regierung geht tiefer. Die Landwirte haben das Gefühl, dass sie aufgrund eines Wirrwarrs von Regeln, steigenden Kosten und unlauterem Wettbewerb keine Zukunft mehr haben. Ein Gesetz, das garantieren soll, dass Landwirte für ihre Produkte im Supermarkt einen fairen Preis erhalten, werde ihrer Meinung nach nicht gut genug durchgesetzt.
Sie kritisieren auch die EU-Vorschriften zum Einsatz von Pestiziden und zur Sanierung landwirtschaftlicher Flächen zur Förderung der Artenvielfalt. Präsident Macron versprach am Montag, die EU zu einer Lockerung dieser Regelung zu drängen. Darüber hinaus sind die Landwirte verärgert über ein geplantes Freihandelsabkommen zwischen der EU und südamerikanischen Ländern. Landwirte befürchten, dass das Abkommen den französischen Markt mit Billigprodukten überschwemmen wird.
Die französische Regierung ist gegen das Abkommen und hat erklärt, sie werde diese Position nicht ändern, aber das überzeugt die Landwirte noch nicht. Sie mag auch keine Billigimporte aus EU-Ländern.
Belgische Landwirte scheinen von ihren französischen Kollegen inspiriert zu sein und gehen seit letzter Woche auf die Straße. Zunächst betraf es wallonische Landwirte, inzwischen kommen aber auch flämische Landwirte hinzu.
Vor allem wallonische Landwirte halten die europäischen Regeln für undurchführbar. Sie beklagen einen erhöhten Verwaltungsaufwand. Die EU verlangt außerdem, dass sie einen bestimmten Teil ihres Landes im Hinblick auf die Wiederherstellung der Natur brach lassen. Auch die Gemeinsame Agrarpolitik schreibt den Zeitpunkt der Aussaat und Ernte vor, berücksichtigt dabei aber nach Angaben der Landwirte nicht die Schwankungen des Wetters.
In der Zwischenzeit sind sie mit erhöhten Kosten konfrontiert, die sie nicht vollständig weitergeben können, was ihr Einkommen unter Druck setzt.
Flämische Landwirte sind mit der Stickstoffpolitik unzufrieden. Die Wut darüber weist viele Ähnlichkeiten mit der in den Niederlanden auf. Letzte Woche hat das flämische Parlament nach drei Jahren ein Stickstoffdekret verabschiedet, das zur Verkleinerung oder zum Verschwinden landwirtschaftlicher Betriebe führen wird.
Die Bauernproteste in Deutschland sind danach etwas abgeklungen Wutwoche die vor zwei Wochen endete. Das bedeutet nicht, dass die Wut weg ist. Am Montag blockierten Bauern Straßen zu Häfen, auch in Hamburg.
Wie in Frankreich war auch in Deutschland der unmittelbare Grund für die Demonstrationen der Treibstoffpreis. Ende letzten Jahres hatte das Verfassungsgericht den Haushalt der Bundesregierung gestrichen, weil sie Gelder, die einst für die Corona-Krise vorgesehen waren, für die Klimapolitik verwenden wollte. Das war nicht erlaubt, sodass plötzlich 17 Milliarden Euro gekürzt werden mussten. Fast 1 Milliarde dieser Kürzungen entfielen auf den Agrarsektor, indem Subventionen für Diesel und die Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge abgeschafft wurden.
Die deutsche Regierung verwarf diesen Plan schnell, aber wie anderswo lag die Wut tatsächlich tiefer. Landwirte glauben, dass sie die Kosten der Klimawende überproportional tragen. Sie verweisen auch auf die Agrarpolitik der EU, die unter anderem hohe Kosten für die Wiederherstellung der Natur mit sich bringt.
Andere Sektoren unterstützten deutsche Landwirte. Den Blockaden schlossen sich unter anderem Lkw-Fahrer an.
Dass sich verschiedene Branchen aus Unzufriedenheit zusammenschließen, lässt sich auch in Osteuropa beobachten, wo Landwirte und Lkw-Fahrer teilweise gemeinsam demonstrieren. In Polen und Rumänien spielen lokale Gegebenheiten wie Treibstoffpreise und Versicherungskosten eine Rolle, die Unzufriedenheit richtet sich jedoch vor allem auf die EU, insbesondere auf die EU-Politik gegenüber der Ukraine.
Die Unzufriedenheit begann, als die Ukraine aufgrund der russischen Blockade des Schwarzen Meeres kein Getreide mehr auf dem Wasserweg exportieren konnte. Die Alternative war der Export auf dem Landweg über die Nachbarländer der Ukraine. Zuvor hatte die EU für die Ukraine eine Ausnahme von den Exportregeln gemacht. Allerdings wurde das ukrainische Getreide nicht nur über andere Länder exportiert, sondern landete auch auf dem heimischen Markt beispielsweise Polens, Rumäniens und Ungarns. Dies übte einen erheblichen Druck auf die Preise für die eigenen Landwirte aus.
Ähnliche Beschwerden gibt es unter Lkw-Fahrern. Um die Ukraine zu unterstützen, können ukrainische Lkw-Fahrer ohne Genehmigung durch die EU fahren. Das macht sie zu günstigen Konkurrenten für andere osteuropäische Trucker; Auch in den Nachbarländern übernehmen die Ukrainer den Nahverkehr. Es kam zu wochenlangen Blockaden der ukrainischen Grenze durch Lkw-Fahrer, denen sich auch Bauern anschlossen. Andernorts in Polen und Rumänien kommt es nun erneut zu Demonstrationen von Landwirten, die wie ihre europäischen Kollegen Straßen blockieren.