Wer nichts erkennt, kann lange so tun, als sei alles in Ordnung

Die Rueben sind bei Familie Kneupma fertig
Frank Heinen

Am Dienstag kamen zwei Kühe in Den Haag an. Jeder kennt die Regel, dass jede Anti-Regierungs-Demonstration irgendwann die Form eines Hausbesetzers annimmt, aber nie zuvor kam ein Protest dem Werk von André van Duin so nahe. Oder es muss sich ein Bauer mit sehr großen Blumenkohl reingeschlichen haben.

Das ist nicht viel, zwei Kühe. Eher wenig. Aber mitten in Den Haag, inmitten einer düsteren Zeit, in der man vermutet, dass die düsterste gleich um die nächste Ecke liegt, können wenige Kühe immer noch zu viele Kühe sein. Der Parlamentsjournalist Thomas van Groningen fotografierte die Tiere, die so weit wie möglich wegschauten. Wenn sie ihre Augen hätten bedecken können, wie es Filmstars tun, wenn sie betrunken aus einem Nachtclub stolpern, hätten sie es getan. Zu einem dieser Fotos schrieb Van Groningen: „Vor dem Repräsentantenhaus stehen zwei Kühe, Klaartje und Betsie. Der Besitzer möchte, dass der Minister heute entscheidet, wer nach Hause darf und wer heute Abend zum Schlachthof muss.‘

Ein Twitterer schrieb zu diesem Foto: ‚Bin ich der Einzige, der an Kalb Willy denkt?‘

Nein, ich auch.

Vor etwa elf Jahren war Kalb Willy das berühmteste Kalb Belgiens. Die Macher der TV-Show genügend kündigte ein Grillfest für treue Zuschauer an. Um genug Fleisch zu haben, genügend auf einen Bauernhof gebracht. Bevor sie den Grillgästen Kalbsschnitzel Willy vorstellten, hatten die Macher dem Tier einen unvergesslichen Tag beschert: Sie gingen mit ihm in die Sauna, ins Kino, auf ein Glas Milch im Café. Vor der Landung auf dem Grill hatte Willy auch die Gelegenheit, sich von seiner Mutter zu verabschieden.

Flandern revoltierte, Aktionsgruppen wurden gegründet und das festliche Grillen hatte die deprimierte Feststimmung, die über dem jährlichen Abendessen eines Kannibalenvereins liegt, bei dem aus Spargründen ein paar treue Mitglieder auf dem Speiseplan stehen.

Oder der genügend-Gäste Kalb Willy kosten lassen würden?

„Wenn ich ihn nicht erkenne, ist es okay“, sagte eine Dame ehrlich.

Es ist leicht, das Aggressive, Gefährliche, Furchterregende und von Dritten zu selten gesehenen Graden der Unzumutbarkeit zu beurteilen, das kann man schnell herausfinden. Die Verzweiflung unten, die Verzweiflung, die dieses Rowdytum teilweise unterstützt, macht die Sache noch komplizierter. Es scheint, als würden sich Menschen, die von dem Gefühl gepackt werden, zu verlieren, lieber schnell für immer disqualifizieren.

Und ja, es war erbärmlich, diese beiden Kühe. Und diese Proteste waren lächerlich. Sicher. Ganz recht. Aber wie Kustaw Bessems am Samstag schrieb: Mit diesem Recht haben Sie nichts gelöst. Tierquälerei, Klima, Stickstoff, lächerliche Proteste – von so viel direkt nebenan wird man fast high. Doch auch wenn Sie gar keine Lust dazu haben, werden Sie, auch (oder: gerade) bei Menschen, die sich von Ihnen abgewandt haben, immer wieder genau hinsehen müssen, bis Sie mehr als nur Aggression und Unvernunft erkennen.

Wer nichts erkennt, kann lange so tun, als sei alles in Ordnung.

Am Ende davon genügendFolge ging alles gut: Kalb wurde Willy, lebt und scheißt, schleppte sich unter erleichtertem Jubel die Bühne hinauf. Es stellte sich heraus, dass die Hersteller das Fleisch von einem „Fleischbauern“ gekauft hatten, der Koteletts im Boden anbaute und die Würste von einer Hängepflanze (dem „Wrestler“) pflückte. Ideal.

Und das Essen ging weiter, in glorreicher Ignoranz.



ttn-de-23

Schreibe einen Kommentar