„Alle Ukrainer würden ihre Kinder lieber in der europäischen Zukunft als in der russischen Vergangenheit sehen“, sagte Zhovka, stellvertretender Leiter des Präsidialstabs. In einem Videoanruf aus Kiew sagt Zhovka, es sei dort „kein Geheimnis“, „dass die Niederlande den ukrainischen Antrag zunächst nicht unterstützt haben“. Ministerpräsident Rutte sagte Ende Mai im Repräsentantenhaus, die Chance scheine sehr gering, dass die Ukraine jetzt Mitgliedskandidat werde, und es solle kein „politischer Prozess“ werden, sondern so technisch wie möglich bleiben berücksichtigen die unzähligen Auflagen, die jedes Land erfüllen muss.
Aber jetzt kommt die politische Geste trotzdem, ohne die Beitrittsbedingungen zu lockern. Die Dinge gerieten ins Rutschen, nachdem vier EU-Länder, darunter die Zweifler Frankreich und Deutschland, bekannt gegeben hatten, grünes Licht für einen Besuch in Kiew gegeben zu haben. Es folgte ein positives Kommissionsgutachten aus Brüssel, woraufhin unter anderem auch die Niederlande, Schweden und Dänemark zustimmten.
„Die Bedingungen, die die Ukraine erfüllen muss, bevor echte Verhandlungen beginnen, sind absolut erträglich und messbar“, sagte Zhovka. „Und die Ukraine fängt nicht bei null an, räumt die Europäische Kommission ein. Wir haben bereits viel Arbeit in den Bereichen Recht, Korruptionsbekämpfung und anderen Bereichen geleistet. Wir freuen uns, dass auch die Kommission diesen Fortschritt beschreibt.“
Zwischen Zivilisation und Barbarei
Laut Zhovka ist die Beitrittskandidatur eine der drei „Säulen der Unterstützung“, die die europäischen Länder der Ukraine jetzt geben können. „Es bringt uns dem Sieg näher“, sagte mein Präsident am Freitag, weil jeder Ukrainer versteht, dass unser Kandidatenstatus eine klare Trennlinie zwischen der Europäischen Union und der russischen Welt, zwischen Zivilisation und Barbarei ist. Das ist keine Übertreibung, das spürt man in der Ukraine, wo mittlerweile 91 Prozent der Bevölkerung die Integration in die EU befürworten.“
Die anderen Säulen sind Waffen und wirtschaftliche Unterstützung. Verteidigungsminister Reznikov dankte gestern Deutschland und den Niederlanden für die Ankunft der Panzerhaubitzen in der Ukraine. Laut Zhovka seien die westlichen Länder jetzt mit Waffenlieferungen „richtig in Bewegung“. „Leider ist das in den ersten Kriegsmonaten nicht geschehen. Jetzt ist die Dynamik positiv. Geschwindigkeit bleibt ein Thema. Wir leben jetzt schneller und intensiver als der Rest der Welt. Wir möchten also, dass die Welt mindestens halb so schnell operiert wie die Ukraine.“
Die Lage auf dem Schlachtfeld sei düster und abhängig von der raschen Ankunft weiterer westlicher Waffen, sagt er. „Mit genügend Artillerie, Raketensystemen und Panzern hätten wir jetzt eine Gegenoffensive im Donbas gestartet, die Russen bei Charkiw weiter zurückgedrängt und mit der Befreiung der südlichen Städte begonnen.“
Also ist es jetzt nicht. „Im Donbass haben die Russen tatsächlich ein Vielfaches an Soldaten, Artillerie, Raketensystemen und gepanzerten Fahrzeugen als wir. Unsere Einheiten dort gehören zu den besten, aber es mangelt ihnen an schweren Waffen. Wenn sie in ein paar Wochen und nicht in ein paar Monaten kommen, können wir zurückschlagen. Sobald Sie beginnen, Gegenoffensiven zu sehen, können Sie daraus schließen, dass wir in diesem Moment genug schwere Waffen haben.‘
Wirtschaftlicher Schaden
Auf die Frage, ob Russland die Ukraine derzeit wirtschaftlich erdrosselt, bejaht Zhovka. „Russland bombardiert die zivile Infrastruktur der Ukraine, Zugverbindungen, Öldepots, Lagerdepots, Ölraffinerien. Neben der Bombardierung der Ukrainer tun sie alles, um auch die Wirtschaft zu ruinieren. Deshalb müssen wir die Sanktionen weiter verschärfen. Die Ukraine wird allein nicht überleben, weder auf dem Schlachtfeld noch wirtschaftlich. Wir brauchen deine Hilfe. Ich weiß, dass auch in Ihrem Land die Preise steigen, aber das Gegenteil ist nicht nur das Überleben der ukrainischen Wirtschaft, sondern auch des ukrainischen Volkes. Es ist eine moralische Entscheidung.“
Zhovka erinnert sich, dass Präsident Selenskyj mehrfach angeboten habe, mit Präsident Putin zu sprechen, „aber er wollte nie mit ihm sprechen“. Und viel zu besprechen gebe es im Moment nicht, sagt er. Solange sich Russland nicht mindestens auf die Linie vom 24. Februar zurückgezogen hat und es zu einem sofortigen Waffenstillstand kommt, gibt es nichts zu diskutieren. Friedensverhandlungen sind unter diesen Umständen nicht möglich, alle Verhandlungen liegen nun auf dem Schlachtfeld.‘
In unserem täglichen Podcast Jeden Tag Sheila Sitalsing spricht mit Brüssel-Korrespondent Marc Peeperkorn über den langen Weg der Ukraine zur EU-Mitgliedschaft. Hören Sie sich das Gespräch unten an.