Trotz des Milliarden-Deals mit Polen muss Brüssel weiter dafür sorgen, dass das Land seine Rechtsstaatlichkeit nicht weiter aushöhlt.
Eine geeintere Europäische Union, aber auch eine gespaltenere Europäische Kommission. Das ist das unbefriedigende Ergebnis der Abstimmung am Mittwochabend in Brüssel über die Freigabe von 36 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbaufonds für Polen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen setzte sich durch: ein starker europäischer Block, der sich gegen Russland wehren und gemeinsam die wirtschaftlichen Folgen des Krieges in der Ukraine bewältigen kann.
Um diesem Wunsch nachzukommen, werden Sorgen über die Aushöhlung der polnischen Rechtsstaatlichkeit weniger priorisiert und Polen könnte auch für seine Unterstützung für die Ukraine und die Aufnahme von 3,5 Millionen Flüchtlingen belohnt werden. So verständlich dieses Streben nach Einheit in Krisenzeiten auch sein mag, so berechtigt ist doch die Kritik, dass Brüssel an den eigenen Maßstäben und Werten herumspielt.
Der Weg, den Polen seit 2015 unter der rechtskonservativen PiS-Regierung eingeschlagen hat, ist eine klare Abkehr vom demokratischen Rechtsstaat, den die EU schätzt. Das strenge Abtreibungsgesetz, das der regierungstreue Oberste Gerichtshof im vergangenen Jahr zum Ärger einer deutlichen Mehrheit der Bevölkerung verabschiedete, ist vorbildlich. In Polen gibt es keine unabhängige Justiz mehr und es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass die weitere Politisierung der Justiz nun zu Ende geht.
Die Forderungen der Kommission, die polnischen Milliarden aus dem Wiederherstellungsfonds freizugeben, scheinen hart: Abschaffung der Disziplinarkammer, Wiedereinsetzung suspendierter Richter und Abschaffung von Gesetzen zur Bestrafung unliebsamer Richter. Aber ob es reicht, ist höchst fraglich. Polnische Richter warnen bereits davor, dass die Regierung nach anderen Wegen suchen wird, um kritische Richter mundtot zu machen. Wenn sich dies abzeichnet, sind die europäischen Milliarden bereits ausgelagert und können nicht zurückgefordert werden.
Brüssel verliert dann das wichtigste Druckmittel, um Polen an die europäische Wertegemeinschaft zu binden: Geld. Aus diesem Grund stimmten zwei Kommissare, darunter Frans Timmermans, dagegen, und drei weitere zweifelten noch. Der Krieg in der Ukraine zwingt die EU zum Umdenken und das erfordert zwangsläufig Zugeständnisse, aber die Kommission muss wachsam bleiben, dass Polen seine Rechtsstaatlichkeit nicht weiter oder erneut untergräbt.
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