Jeder Politiker verbirgt Seiten an sich. Joe Biden, äußerlich sanft und zivilisiert, ist laut Vertrauten innerlich unflätig. Biden beklagte sich einmal darüber, dass jüngere Politiker das Fluchen verlernt hätten. Nicht er, geschweige denn jetzt. „Glaubst du wirklich, dass ich? Ficken vergessen, wann mein Sohn starb?‘ Berichten zufolge hat der Präsident an diesem Wochenende gegen Helfer gewettert.
Seine Wut folgte einem Bericht des Sonderermittlers Robert Hur. Das brachte zunächst gute Nachrichten. Bidens nachlässiger Umgang mit vertraulichen Dokumenten, die letztes Jahr in seiner Garage gefunden wurden, wird nicht bestraft. Aber das Geschenk war in nasses Papier eingewickelt.
Mit scharfen Worten kritisiert Hur, einst von Donald Trump ernannt, die geistige Leistungsfähigkeit des Präsidenten. Biden soll „ein gütiger alter Mann mit einem schlechten Gedächtnis“ gewesen sein. Er würde Ereignisse, Namen und „sogar den Tod seines Sohnes Beau“ vergessen.
Über den Autor
Thomas Rueb ist US-Korrespondent für de Volkskrant. Er lebt in New York. Er ist der Autor des Buches Laura H.
Seitdem ist in Washington DC ein Sturm ausgebrochen. Anhänger, die Angst vor diesem Wahljahr haben, springen für Biden in die Bresche. Ihrer Meinung nach ist an Bidens Erinnerung nichts auszusetzen. Vizepräsidentin Kamala Harris nennt den Bericht „eindeutig politisch motiviert“. Republikaner verteilen unterdessen Plakate mit der Aufschrift „wohlwollender alter Mann“.
Unter der Wut liegt Unbehagen. Biden (81) ist an seinem empfindlichsten Punkt getroffen, der einen Seite von ihm, die er nicht vor der Außenwelt verbergen kann – egal wie sehr sich sein Team auch bemüht.
Bedenken geschürt
Am Sonntag ist es wieder soweit, einer der alljährlichen Höhepunkte des amerikanischen gesellschaftlichen Lebens: der Super Bowl, das Finale im American Football. Es ist Tradition, dass Präsidenten vorher interviewt werden. Ein Geschenk des Himmels in einer Umgebung seltener amerikanischer Solidarität. Doch Biden lehnte die Auszeichnung zum zweiten Mal in Folge ab.
Während im Jahr 2023 spekuliert wurde, dass Biden sich nicht vom rechten Flammenwerfer Fox News, der damals die Sendung lieferte, verbrennen lassen wollte, ist das in diesem Jahr nicht der Fall. Die Rechte liegen beim neutralen Sender CBS. Bidens Entscheidung schürt die Besorgnis über seine geistige Leistungsfähigkeit – oder zumindest über die Strategie seines Wahlkampfteams.
Biden wird zunehmend von den Medien abgeschirmt. Unkontrollierte Auftritte werden vermieden, Pressekonferenzen eingeschränkt. Als Präsident gab Biden nur 86 Interviews. (Donald Trump schaffte 300, Barack Obama sogar 422.)
Kritiker glauben, dass diese Strategie das Gegenteil bewirkt. Je präziser die Regie geführt wird, desto mehr wirken Bidens Versprecher – im Laufe seiner gesamten Karriere zahlreich – fehl am Platz. Das schaffe ein Wahrnehmungsproblem, sagen sie. Jeder Medienauftritt steht nun unter der Lupe. Sie können Bedenken hinsichtlich Bidens Gehirn nur zerstreuen, indem Sie ihm mehr zeigen.
Es bestehen noch weitere Risiken. Während einer Pressekonferenz, bei der Biden sich heftig gegen Hurs Bericht wehrte, beging er den Fehler erneut. Biden sprach über den ägyptischen Führer Abdel Fattah el-Sisi als Präsidenten Mexikos.
Anderer Maßstab für Trump
Wer sich auffällig zurückhält, ist Bidens größter Rivale. Donald Trump sprach an diesem Wochenende von „selektiver Strafverfolgung“ – ihm droht derzeit ein Strafverfahren wegen der Zurückhaltung von Dokumenten –, aber kaum über Bidens Andenken.
Der Grund liegt auf der Hand. Auch der 77-jährige Trump begeht zunehmend Fehler. Er bezeichnete Biden kürzlich als „Barack Obama“. Trump warnte vor dem Ausbruch eines „Zweiten Weltkriegs“. Und der ehemalige Präsident verwechselte mehrere Minuten lang Nikki Haley, seine republikanische Gegnerin, mit der Demokratin Nancy Pelosi.
Dennoch scheint es weniger wahrscheinlich, dass Trumps Fehler bestehen bleiben. Innerhalb seiner Partei und bei seinen Anhängern gibt es kaum Bedenken hinsichtlich seiner geistigen Leistungsfähigkeit. Laut einer aktuellen Umfrage von Die New York Times 70 Prozent der Wähler halten Biden für „zu alt, um ein effektiver Präsident zu sein“. Nur die Hälfte davon sagte dasselbe über Trump.
Demokraten nennen das unfair. Dennoch ist es eine Realität, die sie nicht ignorieren können. Joe Biden hat einen anderen intellektuellen Maßstab als Trump.
„Kostenlos und unangemessen“
Das Weiße Haus arbeitet nun an Überstunden, um den Schaden zu begrenzen. Sie beschließen, Staatsanwalt Robert Hur anzugreifen. Sprecher Ian Sams nannte seine Kritik an Bidens geistigen Fähigkeiten „grundlos und unangemessen“. Als Staatsanwalt hätte Hur bei den Fakten bleiben sollen, sagen die Demokraten.
Medien ziehen Vergleiche mit der Affäre um Hillary Clinton im Jahr 2016. FBI-Direktor James Comey entschied, die damalige Präsidentschaftskandidatin wegen ihres leichtsinnigen Umgangs mit Staatsgeheimnissen nicht strafrechtlich zu verfolgen. Doch Comey fügte ihr mit persönlicher Kritik in seinem Bericht irreparablen politischen Schaden zu.
Überraschend ist auch Hurs Formulierung. „Gutmütiger alter Mann“ ist nicht gerade ein juristischer Fachjargon. Das macht die Botschaft aber nicht unwahr – und genau darin liegt der Schmerz. Biden ist alt. Daran wird keine Kampagne etwas ändern.