Als Theatermacher wollte Helmert Woudenberg (1945-2023) verlorene Leben auf die Bühne bringen

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Helmert Woudenberg in Maastricht, 2013.Bild Roger Dohmen / ANP

„WIE EINE BOMBE! Ich werde ausnahmsweise nicht bescheiden sein. „Mein Solo über Louis Bouwmeester ist gestern Abend in Haarlem wie eine Bombe eingeschlagen!!!!!!!!!!!“. Das schrieb Schauspieler Helmert Woudenberg Anfang dieses Jahres, einen Tag nach der Premiere seines Auftritts, in Großbuchstaben und mit Ausrufezeichen auf seiner Facebook-Seite. Louis Bouwmeester – unser größter Schauspieler aller Zeiten. Er war sehr stolz auf diesen x-ten Soloauftritt, mit dem er Louis Bouwmeester würdigte, einen der größten Schauspieler der Niederlande, nach dem auch der Theaterpreis Louis d’Or benannt ist.

Die Aufführung erwies sich nicht als gespielte Biografie, sondern als Versuch, tief in das Wesen des Schauspielberufs einzudringen. Woudenberg tourte damit durch die kleinen Theater des Landes und plante, ab Januar 2024 damit fortzufahren. Das wird nie wieder passieren: Helmert Woudenberg ist am Donnerstag im Alter von 78 Jahren überraschend an den Folgen eines Herzinfarkts gestorben. Er würde an diesem Abend zusammen mit José Kuijpers in dem Stück auftreten Blind von Lot Vekemans, das kürzlich uraufgeführt wurde.

Für den Beruf leben

Woudenberg lebte für den Beruf, er hatte keine andere Wahl als zu handeln und stürzte sich von einem Abenteuer zum nächsten. Wenn er keine Arbeit hatte, schrieb und führte er seine eigene Produktion zu verschiedenen Themen wie Pim Fortuyn, Jesus Christus und Karel Marx auf. In den letzten Jahren trat er regelmäßig in Produktionen der Toneelgroep Jan Vos auf, darunter Gas (2019, über die Gasförderung in Groningen) und Mansholt (2014, über EU-Kommissar Sicco Mansholt und die europäische Agrarpolitik). „Helmert Woudenberg hat einmal mehr gezeigt, dass er eine ganz eigene Art des Schauspielens entwickelt hat: phlegmatisch, fast nachdenklich im Spiel, nie eitel, immer im Dienst des Stücks und seiner Mitschauspieler“, schrieb er de Volkskrant dann über ihn.

Mansholt wurde 2021 erneut gespielt und nach einem dieser Abende wurde Woudenberg zu seiner großen Überraschung Ritter des Ordens von Oranien-Nassau. Unter seinen Kollegen, Freunden und Berufsleuten wirkte er – dieser stets kräftige, große Mann, an dem niemand vorbeikam – bescheiden und bewegt. In seiner Dankesrede sagte er, dass das Spielen mit der Toneelgroep Jan Vos das Gefühl habe, an den Ort zurückzukehren, an den er gehört, wo Theater über das Hier und Jetzt für ein breites Publikum gemacht wird.

Als Theatermacher wird Woudenbergs Name vor allem mit Het Werkteater verbunden bleiben, einem Schauspielerkollektiv, das ab 1970 mit dem Sozialtheater Geschichte schrieb und überall auftrat, von Gefängnissen bis hin zu Krankenhäusern. Danach war Woudenberg künstlerischer Leiter unter anderem des Toneelgroep Theaters in Arnheim und ein gefragter Schauspieler, Autor und Lehrer. Er schrieb das Buch über den Beruf des Theatermachers und die Kunst der Improvisation im Theater Feuer, Wasser, Luft und Erde.

Emotionale Familiengeschichte

Woudenberg war mit der Schauspielerin Marja Kok verheiratet, die er im Het Werkteater kennenlernte. Zusammen hatten sie zwei Kinder; er hatte auch eine Tochter aus einer anderen Beziehung. Seine eigene Kindheit war gelinde gesagt recht problematisch: Woudenbergs Vater trat freiwillig dem niederländischen Zweig der Waffen-SS bei, sein Großvater war Mitglied der NSB und Herausgeber der NSB-Zeitung Volk und Vaterland. Kurz bevor Woudenberg geboren wurde, starb sein Vater. Seine Mutter starb bald darauf. Woudenberg wuchs bei seinen Großeltern und in einer Pflegefamilie auf, bei einer Pflegemutter, die ein Foto von Hitler im Wäscheschrank versteckte.

„Ich bin wegen meines Vaters und meiner Mutter Schauspieler geworden: Ich möchte auf verlorene Leben aufmerksam machen“, sagte Woudenberg selbst über seine emotional aufgeladene Familiengeschichte, die er auch in mehreren Aufführungen einfließen ließ. So spielte er beispielsweise 2016 das Solo Verräter und 2004 das Stück von Ischa Meijer Lebenswert – der Jude und das NSB-Mitglied.

Woudenberg stand nicht nur oft als Solist auf der Bühne, er zog sich auch privat gern zurück. Er lebte beispielsweise allein in einer kleinen Wohnung in Amsterdam West, wo er schrieb und arbeitete, und empfing fast nie Besucher. Ein einsamer Mann, wie er auch bei dem schönen, kleinen Auftritt im Sommer 2022 mitwirkte Die Freizeitsportler, zusammen mit John Buijsman und Königspudel Kees auf einem Campingplatz in der Nähe von Hoek van Holland. In diesem Stück ging es um ein älteres schwules Paar, das sich darüber ärgerte, dass sein Paradies einem schicken Freizeitpark weichen musste. Dort, inmitten des Publikums auf Gartenstühlen, fühlte sich Woudenberg sichtlich wohl.

Was Woudenberg selbst über seinen Beruf dachte, kommt vielleicht am besten in dem Text zum Ausdruck, den er für seinen letzten Soloauftritt über Louis Bouwmeester schrieb: „Wir alle tragen eine Maske, um unser wahres Gesicht zu verbergen, um uns in dieser Täuschung, diesem idiotischen Puppenspiel zu behaupten, Dieses hochgejubelte Stück, das wir alle zusammen aufführen. Der Schauspieler ist sich dessen bewusst, er versteht es, all dieses ungeschickte, heuchlerische Verhalten zur Kunst zu erheben, er versteht es, durch jede Maske das wahre Gesicht zu zeigen.‘

Anfang dieses Jahres schrieb er auf Facebook: „Ich bin ein glücklicher Mensch und ein sehr zufriedener Schauspieler.“ Eigentlich sollte er am Donnerstag wieder auf der Bühne im Theater De Kom in Nieuwegein stehen, doch kurz davor verstummte er plötzlich. Für immer.



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