Schauen wir uns einfach die Person hinter den Buchstaben l, h, b, t, i und q an?

1700571080 Schauen wir uns einfach die Person hinter den Buchstaben l


Warum vergöttern viele schwule Männer ein männliches Aussehen, vernachlässigen aber ihr inneres Selbst? Warum empfinden gerade Feministinnen manchmal Widerstand gegen Transfrauen? In seinem Buch Spektrum Der Autor Haroon Ali betrachtet die Person hinter den Buchstaben l, h, b, t, i und q.

Haroon Ali

Was mir bei Gesprächen mit LGBTQ-Menschen immer wieder auffällt, ist, dass sie oft wissen, wann sie gemerkt haben, dass sie „anders“ sind. Anders als andere Kinder in der Grundschule, weil sie als Junge kein Fußball mochten oder als Mädchen nicht mit Puppen spielten. Anders als andere Teenager in der High School, weil sie von einem Klassenkameraden des gleichen Geschlechts träumten. Oder anders als andere Erwachsene, weil sie nicht mit den Erwartungen der Gesellschaft an Männer und Frauen übereinstimmten.

Allerdings durchlaufen alle Menschen, die sich anders fühlen als die anderen, einen ähnlichen Prozess der (Selbst-)Akzeptanz. Sie stellen sich oft die gleichen Fragen: Was fühle ich eigentlich, wer bin ich in mir und ist das „normal“? Wenn die schmerzhafte Erkenntnis folgt, dass ihre Gefühle für die Familie und das Umfeld nicht wünschenswert sind, müssen sie Entscheidungen treffen. Wann werde ich das erzählen, wem soll ich das erzählen und wie soll ich das erzählen? Erst wenn jeder weiß, wer man wirklich ist, kann das Leben wirklich beginnen. Wobei ein Coming-out nach westlichem Vorbild für manche zu gefährlich, für andere überholt ist.

Vorurteile und Kisten

Gemeinsam ist den LGBTIQ-Personen auch, dass sie als Opfer von Gewaltvorfällen und anderen Formen der Diskriminierung überwiegend negative Berichterstattung erhalten. Diese Opfer werden dann für ihren Mut und ihre Widerstandskraft gelobt, doch das Leid steht im Mittelpunkt. Diese Fokussierung auf ihr Unglück trägt nicht gerade zur queeren Emanzipation bei. Deshalb wollte ich wissen, wie die Menschen aus der Community sich selbst und einander sehen und auch über ihre Ziele und Träume sprechen. Was macht sie glücklich?

Jeff, fotografiert für Haroon Alis Interviewreihe Alphabet Soup.Bild Harmen Meinsma

Zwischen Juni 2021 und März 2022 habe ich mich darauf vorbereitet de Volkskrant die Interviewreihe Alphabetsoep, in der verschiedene LGBTIQ-Personen über ihr Leben sprachen. Ich wollte die Vielfalt der Regenbogengemeinschaft und das breite Spektrum an Sexualität und Geschlechtervielfalt zeigen. Wie äußern sich diese Menschen? Welche Hindernisse haben sie überwunden? Gegen welche Vorurteile kämpfen sie und in welche Schubladen werden sie gesteckt? Denn Identitäten werden oft auch von anderen betont. Diese Interviewreihe bildete die Grundlage für mein Buch Spektrum.

Ich wollte nicht nur meine Gemeinschaft feiern, sondern auch unsere gemeinsamen Probleme erforschen. Denn inwieweit ist die Regenbogengemeinschaft wirklich eine Gemeinschaft? Ich habe viele Szenen und untersuchte Untergruppen; Gruppen, die manchmal nebeneinander leben. Auch immer mehr Buchstaben kommen in die Buchstabensuppe. Auch die Regenbogenfahne wurde mehrfach adaptiert, mit unterschiedlichen Formen und Farben, um die Vielfalt der Gesellschaft widerzuspiegeln. Da frage ich mich: Was verbindet uns als Gemeinschaft und welche Themen trennen uns?

Fragiles Selbstbild

In Spektrum Ich frage mich unter anderem, warum schwule Männer ein stereotypes männliches Erscheinungsbild vergöttern, mittlerweile aber ihr Inneres vernachlässigen und oft ein fragiles Selbstbild haben. Ich habe auch versucht zu verstehen, warum so genannt transausschließende radikale Feministinnen (wie die Autorin JK Rowling) spüren einen solchen Widerstand gegenüber Transgender-Frauen und wollen sie nicht als „echte“ Frauen anerkennen.

Monika, fotografiert für Haroon Alis Interviewreihe Alphabet Soup.  Bild Harmen Meinsma

Monika, fotografiert für Haroon Alis Interviewreihe Alphabet Soup.Bild Harmen Meinsma

Rassismus ist auch innerhalb der Gay-Dating-Szene immer noch ein Problem. Man könnte meinen, dass LGBTQ-Personen sich nicht gegenseitig diskriminieren würden, weil sie wissen, wie es ist, ausgeschlossen zu sein. „Aber nichts Menschliches ist uns fremd“, brachte COC-Direktorin Marie Ricardo treffend auf den Punkt. Viele farbige Menschen fühlen sich bei Pride-Veranstaltungen nicht wohl. Und queere Menschen mit Behinderungen sind immer noch kaum sichtbar. Die Probleme der breiteren Gesellschaft treten daher auch innerhalb der Regenbogengemeinschaft auf.

Neokonservative Influencer

Wir sind nicht nur Opfer, sondern manchmal auch Täter. Ich habe zum Beispiel über unangemessenes Verhalten schwuler Männer in den Medien recherchiert. Ich habe fünfzig Kollegen nach den Moralvorstellungen der „rosa Mafia“ gefragt, die sich in einem hart umkämpften Umfeld oft gegenseitig unterstützt und hilft. Der gegenseitige Kontakt ist locker und manchmal flirtend, und die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben sind fließend. Sollten wir nicht auch öfter über Einwilligung reden?

Ich möchte diese Schmerzpunkte besprechen. Doch nach all meinen Recherchen sehe ich, dass die Gefahr vor allem von außen kommt und es in allen Schichten der Gesellschaft immer noch viel Homophobie und Transphobie gibt. Kam das früher vor allem aus konservativen Religionsgemeinschaften, sehe ich einen wachsenden Hass unter rechtsradikalen Politikern, neokonservativen Influencern und ihren (Online-)Anhängern. Sie lehnen insbesondere Geschlechtervielfalt ab, obwohl es viele Kulturen gibt, in denen diese Vielfalt tatsächlich gefeiert wird. Aber nicht-binäre Menschen sind wieder Sündenböcke.

Maurits, fotografiert für die Interviewreihe Alphabetsoep von Haroon Ali.  Bild Harmen Meinsma

Maurits, fotografiert für die Interviewreihe Alphabetsoep von Haroon Ali.Bild Harmen Meinsma

Heutzutage scheint das Geschlecht ein größeres Streitthema zu sein als Homosexualität. Für viele Eltern ist es kein Problem mehr, wenn ihr Kind mit jemandem des gleichen Geschlechts nach Hause kommt. „Solange man heiratet und Kinder hat, passt man immer noch in das Cisgender-Bild“, sagte die Transaktivistin Dinah de Riquet-Bons. Aber diejenigen, die sich als nicht-binär oder transgender outen, stoßen auf viele Missverständnisse und sogar Ekel. Angehörige haben vor allem Angst vor den medizinischen Folgen. Wie wird ihr Kind aussehen und ist es in Gefahr? Geschlechtervielfalt wird oft wie Homosexualität im letzten Jahrhundert gesehen: als Geisteskrankheit, als etwas, das geheilt oder verurteilt werden muss.

Liebe und Freundschaft

Kann mein Buch dieser Abneigung standhalten? Zunächst einmal hoffe ich, dass LGBTQ-Personen sich in den Kämpfen der Befragten wiedererkennen. Ich hoffe, dass die Leser inspirierende Vorbilder entdecken, die ihnen in ihrer Jugend oft entgangen sind. Ich hoffe aber auch, dass mein Buch eine breitere Leserschaft erreicht, sodass die Menschen ihre Mitmenschen besser verstehen und ihre eigenen Vorurteile hinterfragen können. Gespräche über Geschlecht und Sexualität können uns alle dazu bringen, über den Mann und die Frau nachzudenken, die wir sein wollen, und darüber, wie wir unsere Sexualität erleben. Menschen finden es oft beängstigend, wenn junge Menschen in ihrer Identität fließender sind, aber als älterer Millennial bewundere ich ihre experimentelle Natur.

Faycal, fotografiert für Haroon Alis Interviewreihe Alphabet Soup.  Bild Harmen Meinsma

Faycal, fotografiert für Haroon Alis Interviewreihe Alphabet Soup.Bild Harmen Meinsma

Gleichzeitig erzähle ich viele wiedererkennbare Geschichten aus dem Alltag. Deshalb verdrehte ich die Augen, als ich einen Wahlslogan von Denk sah, auf einem Bild mit Regenbogenlogos, Drag Queens und Menschen mit vagen Schildern über den Köpfen. „Sollen wir uns wieder normal verhalten?“ Aber wer entscheidet, was normal ist? Und das Paradoxe an all den Menschen, die sich anders fühlen, ist, dass sie als normal angesehen werden wollen. Egal wen sie lieben, egal wie sie ihr Geschlecht ausdrücken. Alle LGBTQ-Personen, die ich in den letzten fünfzehn Jahren interviewt habe, verfolgen gewöhnliche Dinge: Liebe, Freundschaft, Sinn.

Daher hoffe ich, dass sich der konservativere Leser nicht blind auf das konzentriert, was LGBTQ-Menschen auszeichnet, sondern Empathie für das zeigt, was uns alle verbindet: das Bedürfnis nach Sicherheit. Spektrum In diesem Sinne ist es ein Plädoyer dafür, weiterhin den einfachen Menschen hinter dem bunten Cocktail der Identitäten zu sehen. Etiketten und Briefe werden noch eine Weile notwendig bleiben, um gefährdete Gruppen und ihre Probleme zu identifizieren. Aber ich hoffe, dass sie irgendwann überflüssig werden, wenn wir endlich lernen, andere zu respektieren.

Das ganze Spektrum

Der Journalist Haroon Ali (1983) brachte den Fall vor de Volkskrant die Interviewreihe Alphabetsoep, in der LGBTIQ-Personen über ihr Leben sprachen (und von Harmen Meinsma fotografiert wurden). Diese zwanzig Interviews sowie neue Essays über die Regenbogengemeinschaft im 21. Jahrhundert sind in gesammelt Spektrumdas am 23.11. bei De Bezige Bij veröffentlicht wird.

null Bild



ttn-de-23

Schreibe einen Kommentar