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Seit einigen Wochen habe ich das Gefühl, als würde ich mit einem Gewicht aufwachen, das auf meiner Brust drückt. Die Welt ist voller Tragödien und viele von uns spüren sie auf die eine oder andere Weise.
Überwältigt habe ich stundenlange Schreibpausen eingelegt, um im nahegelegenen, von Bäumen gesäumten Park spazieren zu gehen und meinem Geist und meinem Herzen freien Lauf zu lassen. Die Bürgersteige hier in New York sind mit gelben Blättern bedeckt, und wenn ich nach oben schaue und die Reihen oranger, roter und goldener Blätter vor einem blaugrauen Himmel sehe, bin ich für einen Moment von der Verzweiflung befreit, die ich empfunden habe.
Diese Möglichkeit, eine Pause von unseren Sorgen zu bekommen, ist ein Privileg und darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Für diejenigen von uns, die dazu in der Lage sind, könnten solche vorübergehenden Atempausen dazu beitragen, uns ein wenig zu stärken, um zu Taten des Friedens, des Mitgefühls und der Gerechtigkeit überzugehen, ganz gleich, welche Form das für uns annimmt.
Ich bin von der Serie angetan mit tanzinspirierten Gemälden des in Barcelona lebenden zeitgenössischen Künstlers Gabriel Schmitz. In der Arbeit „Terrain Vague 1“ von 2022 kauert eine nicht identifizierbare Person, gekleidet in eine schwarze Hose und ein lockeres weißes Hemd, tief am Boden. Wir sehen sie von der Seite positioniert, ihr straffer Körper und ihr Gesicht vom Betrachter abgewandt, ihr linker Arm und ihr linkes Bein greifen nach den leuchtend grünen Blättern einer nahegelegenen Pflanze. Die Zehen und der Zeigefinger sind gestreckt und gestreckt, als würden sie versuchen, über das Mögliche hinauszugehen.
Es entsteht ein poetischer Tanz der Intimität zwischen dieser Person und dieser Pflanze, während sie nacheinander greifen. Es ist ein eindrucksvolles, aber ruhig aufgeladenes Bild des Lebens in Bewegung, magnetisch angezogen zu mehr Leben. Wenn ich über Möglichkeiten nachdenke, in Zeiten tiefer Unruhe Ruhe zu finden, kann eine Hinwendung zur Natur erholsam und erdend sein. In unserer schnelllebigen, individualistischen Kultur vergisst man leicht, wie verbunden wir mit anderen Lebensformen sind. Ein Spaziergang in einem baumbestandenen Park oder das Sitzen an einem Gewässer kann eine beruhigende Wirkung auf unser Nervensystem haben und uns gleichzeitig die Möglichkeit geben, herauszufinden, worauf wir achten müssen.
Auch wenn wir Menschen uns selbst und der Schöpfung weiterhin so destruktiv gegenüberstehen, gibt es Lebewesen, die durch ihre bloße Existenz Quellen für nährendes Leben sind. Etwas daran macht für mich eine verzweifelte Hoffnung.
Der französische Maler Édouard Vuillard ist einer meiner Lieblingskünstler. In seinem Werk „Lesende Frau im Schilf, Saint-Jacut-de-la-Mer“ aus dem Jahr 1909 sehen wir die Umrisse des Körpers einer Frau, die im Sand liegt und in ein Buch vertieft ist. Die Öffnung im Schilfrohr schafft eine kleine private Nische, in der sie alleine lesen kann. Sie scheint durch das wuchernde Gras geschützt zu sein. Die olivgrüne und orange Farbpalette des Schilfrohrs harmoniert warm mit dem Anthrazit-, Blau- und Zimtduft ihrer Kleidung und Haare. Sie scheint verborgen zu sein, ist es aber nicht. Was deutlich hervorsticht, ist das Weiß der Seiten, die sie sowohl zeigen als auch festhalten.
Wenn ich diesen Moment des Friedens betrachte, spüre ich, wie ich tiefer atme. Was das Gemälde darstellt, ist kein Entfliehen, das den Ernst des Lebens leugnet, sondern ein Innehalten, das den Brunnen durch Worte und Kontemplation wieder auffüllt. Jeder von uns nährt sich von unterschiedlichen Arten des Schreibens, aber ich stelle mir gerne vor, dass die Frau auf dem Gemälde Gedichte liest, deren Rhythmus und Kadenz ihr Gefühl des Trostes stärken könnten.
In den letzten Wochen hat es mich immer wieder zu Gedichten hingezogen, insbesondere zu der des verstorbenen polnisch-amerikanischen Schriftstellers Czesław Miłosz, der mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Seine herzergreifenden Gedichte bewegen sich zwischen der Tragödie und der Schönheit des Lebens hin und her, wie in den ersten Zeilen des atemberaubenden „Ein Lied vom Ende der Welt“ (1944): „Am Tag, an dem die Welt endet,/ A Biene umkreist ein Kleeblatt, / Ein Fischer repariert ein schimmerndes Netz.“ Ich bin beeindruckt von der Erkenntnis, dass die Welt eines anderen Menschen sich weiter verändert, während die Welt eines Menschen zerbricht und voller kleiner Schönheiten ist, die in jedem Leben enthalten sind. Selbst wenn man die Wechselfälle der Welt liest und darüber nachdenkt, gibt es Ruhe im Akt der Stille und der Auseinandersetzung mit der Kunst.
Ich finde die Arbeit des in Cornwall lebenden Künstlers Jess Allen ist kraftvoll und eindrucksvoll. Ihre Leinwände sind mit Schatten von Menschen oder Objekten gefüllt und erinnern an umherschweifende Gedanken an alles, womit unser Leben gefüllt ist, sowie an das Erkennen der Abwesenheiten. Ihr Gemälde „A Moment Together 1“ aus dem Jahr 2022 erinnert mich an die Trostgefühle, die entstehen können, wenn man sich in Zeiten der Not an andere wendet.
Zwei Menschen stehen vor einem Fenster, während Sonnenlicht hereinströmt und ihre Schatten auf den Hintergrund einer Couch wirft. Ich liebe es, dass ihre Silhouetten miteinander verschmelzen, sodass man nicht erkennen kann, wo eine Person aufhört und die andere beginnt. Wir sind alle miteinander verbunden, ob wir uns das bewusst machen und zugeben oder nicht. Ich liebe auch die Intimität dieses Bildes, weil es ein Bewusstsein für unser Bedürfnis nach der physischen Präsenz und Berührung anderer in unserem Leben weckt. Und in Zeiten der Verzweiflung oder Krise bedeutet Erholung manchmal einfach, einen Raum zu finden, in dem die eigene Liebe und Präsenz bestätigt werden.
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