Der plötzliche Tod des ehemaligen Premierministers Li war Chinas Hoffnung auf Wirtschaftsreformen

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Li Keqiang im Jahr 2017.Bild REUTERS

„Wegbereiter Li Keqiang“, heißt es auf der lobenden Titelseite aus dem Jahr 2014, die am Freitag in den chinesischen sozialen Medien weit verbreitet war. Der Artikel aus dem Jahr 2014 zeigt die gemischten Gefühle vieler Chinesen gegenüber ihrem ehemaligen Premierminister, der am Freitag im Alter von 68 Jahren an einem Herzinfarkt starb. Li war klug, ehrgeizig, fleißig und reformorientiert, konnte aber den hohen Erwartungen nie gerecht werden. Als Xi Jinpings Nummer 2 wurde er unter seinem autoritären Gewicht erdrückt.

Lis Tod ereignete sich am Freitagmorgen von chinesischen Staatsmedien in einer kurzen Mitteilung ohne offizielle Posthume bekannt gegeben. Es zeigt, wie unerwartet sein Tod kam. Li Keqiang war erst im März in den Ruhestand getreten, nach zehn Jahren als Ministerpräsident Chinas und einer langen politischen Karriere. Vor zwei Monaten wurde er während eines Touristenbesuchs fotografiert, offenbar bei guter Gesundheit.

‚Gartenschere‘

Der Tod hochrangiger Politiker ereignet sich in einem Ein kommunistisches System wie das chinesische ist sehr heikel, weil es zur Kritik an der aktuellen Führung genutzt werden kann. Li Keqiang befürwortete eine Marktwirtschaft mit weniger staatlichen Eingriffen, während Xi eine von Partei und Staat geführte Wirtschaft befürwortete. Im erwartungsvoller Artikel aus dem Jahr 2014 Li wurde nicht nur als „Pionier“ bezeichnet, sondern auch als „Gartenschere“, der „überflüssige Zweige der Regierung abschneidet, um ein gesundes Wachstum für Privatunternehmen zu gewährleisten“.

Über den Autor
Leen Vervaeke ist China-Korrespondentin für de Volkskrant. Sie lebt in Peking. Zuvor war sie Belgien-Korrespondentin.

Auch Li Keqiang galt lange Zeit als Konkurrent von Xi Jinping im Kampf um die Präsidentschaft und den Parteivorsitz, unterlag jedoch 2012 Xi. Li wurde Premierminister und Xis Nummer 2, doch als pragmatischer Technokrat mit marktfreundlichen Ideen hatte er wenig gegen Xis autoritären und interventionistischen Kurs einzuwenden. Als Mitglied der Jugendliga-Fraktion des ehemaligen Parteivorsitzenden Hu Jintao genoss Xi zudem Misstrauen. Die Jugendliga-Fraktion wurde unter Xi schrittweise an den Rand gedrängt und auf dem Parteitag 2022 vollständig eliminiert.

Premierminister Li Keqiang (links) mit Präsident Xi Jinping bei den Feierlichkeiten zum 64. Jahrestag der Volksrepublik China in Peking, 1. Oktober 2013. Bild Jason Lee / Reuters

Premierminister Li Keqiang (links) mit Präsident Xi Jinping bei den Feierlichkeiten zum 64. Jahrestag der Volksrepublik China in Peking, 1. Oktober 2013.Bild Jason Lee / Reuters

Während seiner Amtszeit als Ministerpräsident distanzierte sich Li nie offen von Xi Jinping, wurde jedoch aufgrund seines politischen Hintergrunds und seiner wirtschaftlichen Ideen unweigerlich als Antithese zu Xi angesehen. Gelegentlich machte er Aussagen, die auf subtile Weise eine Meinungsverschiedenheit mit Xi andeuteten, und viele China-Beobachter fragten sich, was sich sonst noch hinter seinem freundlichen Lächeln verbarg.

Die Reaktionen auf seinen Tod, insbesondere in der Geschäftswelt, brachten großes Bedauern über Lis unerfüllte Hoffnungen und Nostalgie für eine Zeit zum Ausdruck, als Technokraten noch ein Mitspracherecht hatten. „Leider hatte Li nie die Chance, sein Wissen einzusetzen, um die Wirtschaft voranzutreiben“, sagte der ehemalige Investmentbanker Shuli Ren in Bloomberg. „Wir Chinesen verabschieden uns mit schwerem und gebrochenem Herzen.“

Top-Schüler

Li Keqiang wurde 1955 in der armen Provinz Anhui als Sohn eines örtlichen Parteifunktionärs geboren. Während der Kulturrevolution wurde er zur „Umerziehung“ aufs Land geschickt, doch nach dem Tod des Diktators Mao Zedong im Jahr 1976 erhielt er die Möglichkeit, an der renommierten Peking-Universität zu studieren. Li war ein Spitzenstudent, der einen Abschluss in Rechtswissenschaften und einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften erwarb. Er sprach gut Englisch und übersetzte ein Buch eines britischen Richters über westliche Rechtsgrundsätze.

Li wollte im Ausland studieren, doch auf Wunsch der Universität wurde er Studentenführer der Kommunistischen Jugendliga und begann eine Karriere als Parteifunktionär. Mit 43 Jahren wurde er Chinas jüngster Provinzgouverneur in Henan, verbrannte sich dort aber mit einem umstrittenen Blutspendeprogramm die Finger. Zehntausende arme Bauern wurden durch unsichere (kommerzielle) Blutentnahmen mit HIV infiziert. Li versuchte, den Skandal so weit wie möglich zu vertuschen.

Im Jahr 2007 trat Li dem Ständigen Ausschuss des Politbüros bei, der obersten Führung der Kommunistischen Partei Chinas. In diesem Jahr gab er gegenüber einem amerikanischen Diplomaten zu, dass er den offiziellen chinesischen Wachstumszahlen nicht traue und sich lieber auf Zahlen zum Stromverbrauch, zum Güterverkehr und zu Bankkrediten verlasse. Nachdem seine Aussage 2010 über Wikileaks durchgesickert war, benannten Ökonomen die alternative Berechnungsmethode in „Li Keqiang-Index“ um.

Im Jahr 2013 wurde Li Keqiang Premierminister, eine Position, die ihn für Wirtschaftsangelegenheiten verantwortlich machte, die jedoch unter Xi Jinping stark untergraben wurde. Vor allem in seiner zweiten Amtszeit erlangte Xi immer mehr Macht und Li geriet komplett ins Abseits. Gelegentlich gelang es ihm, die scharfen Kanten von Xis Politik abzumildern, aber er konnte die hohen Erwartungen seiner frühen Jahre keineswegs erfüllen. Als er 2023 in den Ruhestand ging, war es ein kleiner Abschied.

Li blieb stets fügsam, machte aber in den letzten Jahren einige auffällige Aussagen. Im Jahr 2020 sagte er, dass 600 Millionen Menschen in China von 1.000 Renminbi (130 Euro) im Monat leben würden, eine ungewöhnlich faire Aussage in einem Land, das in der eigenen Propaganda normalerweise als Utopie dargestellt wird. Im Jahr 2022 verteidigte er die Bedeutung der Wirtschaft gegen zu strenge Null-Covid-Regeln. Bei seinem Abschied wies er auf die Bedeutung wirtschaftlicher Reformen hin.

Gerüchteküche

Lis Tod kommt zu einem sensiblen Zeitpunkt. Die chinesische Wirtschaft steht vor ernsten Problemen, und in China herrscht große Unzufriedenheit mit Xis Wirtschaftspolitik. Die jüngsten Rücktritte der Außen- und Verteidigungsminister befeuern die Gerüchteküche in China, wo undurchsichtige Politik mehr Spekulationen als Fakten hervorbringt. Lis plötzlicher Tod löste auch sofort Verschwörungstheorien aus. Experten zufolge ist es unwahrscheinlich, dass Lis Tod zu Protesten führen wird, wie etwa nach dem Tod von Premierminister Zhou Enlai (1976) und Generalsekretär Hu Yaobang (1989).

In den chinesischen sozialen Medien wurden alle Beiträge über Lis Tod stark moderiert und zensiert, wobei nur obligatorische Antworten wie „RIP“ oder Kerzen-Emojis erlaubt waren. Der Artikel stammt aus dem Jahr 2014 und erschien in einem Wirtschaftsmagazin, damals aber bei einer Parteizeitung Volkszeitung angenommen wurde, ist es in diesem Zusammenhang eine sichere Möglichkeit für chinesische Bürger, ihre politische Meinung auszutauschen. Andere Internetnutzer teilten weniger subtil das chinesische Lied „Too bad it’s not you“, eine indirekte Anspielung auf Xi Jinping.



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