Auf der Amsterdam Fashion Week bringen Rosen aus Krepppapier selbst die gleichgültigsten Influencer zum Erröten

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Tess van Zalinges Ausstellung auf dem Dach des Kunstdepots von Boijmans van Beuningen in Rotterdam.Bild Olivia Witmond

Es ist Freitagnachmittag, kurz nach vier, und im schicken Hotel de l’Europe, unter den wachsamen Augen der dekorierten Amsterdamer Prominenten, prallen zwei Models aufeinander. Es wird nicht das erste Mal auf dieser Amsterdam Fashion Week sein. Die diesjährige Ausgabe war voller Amateurmodels und das war eine Erleichterung, denn wie oft sieht man in Mailand oder Paris ein Model mit einem Gipsbein? Wir haben während der gesamten Amsterdamer Modewoche drei gezählt. Dazu zwei Kinder, mindestens vier Senioren und mehrere virtuelle Avatare. Nicht als radikales Statement, sondern einfach weil jeder, der Kleidung trägt, auch Model sein kann.

Da es weltweit mehr als 100 Modewochen gibt und nur eine Handvoll davon für die Modeszene relevant sind (nur die von Mailand, Paris und London), konzentriert sich die Amsterdamer Modewoche auf neue Talente und Nachhaltigkeit. Mitgründer Danie Bles: „Eigentlich sind diese jungen Talente von Natur aus nachhaltig.“

Auch Ruben Jurriën, letztjähriger Lichting-Gewinner, stand dieses Jahr mit einem abwechslungsreichen Casting auf dem Programm.  Bildteam Peter Stigter

Auch Ruben Jurriën, letztjähriger Lichting-Gewinner, stand dieses Jahr mit einem abwechslungsreichen Casting auf dem Programm.Bildteam Peter Stigter

Das regt zum Nachdenken an. Wie nachhaltig ist es genau, jedes Jahr eine neue Reihe von Marken zu präsentieren, die aus ausrangierten Gegenständen neue Kreationen machen? Wir werden es in vier Tagen nicht herausfinden. Wir sehen viel Einfallsreichtum. Manchmal an Orten, die nicht offensichtlich sind, wie zum Beispiel im Kulturparadies Vondelbunker und im Queer-Hotspot Club Church. Gerade als der Glamour des Polders verblasst, tritt plötzlich Schönheit in den Vordergrund.

Was fehlt: die niederländischen Modemarken, die uns bekannt gemacht haben. Tageszeitung, Füllstücke von Patta. Bles: „Ich gehe recht aktiv heran, aber bisher wollen sie vor allem ins Ausland.“

Steve Madden in Zusammenarbeit mit Ronald van der Kemp auf der Amsterdam Fashion Week.  Skulptur Katerina Bezede

Steve Madden in Zusammenarbeit mit Ronald van der Kemp auf der Amsterdam Fashion Week.Skulptur Katerina Bezede

Das war bei Ronald van der Kemp, dem offiziellen Couturier des Pariser Modeverbandes, der mit dem kommerziellen Schuhriesen Steve Madden in Verbindung stand, nicht der Fall. Als roten Faden wählte er Papier, denn: „Extrem nachhaltig.“ Die ersten Blicke deuten darauf hin, dass er es eilig hatte, einer vertraglichen Verpflichtung zu entkommen, es sind eher knallige Papierkleider mit Aufschriften wie z Schau dir meine Schuhe an. Aber das Finale! Sechs Couture-Stücke, darunter ein Faltenkleid aus gefalteten A4-Seiten und ein Kleid aus Krepppapier-Rosen (einzeln gefärbt, „dreiwöchige Arbeit“), ließen selbst die blasiertesten Influencer strahlen.

Es gab auch Nachwuchstalente, viele davon in der Lichting-Auswahl, eine Auswahl, für die sich Mode-Alumni zusätzlich zu den drei ausgewählten Abschlussshows bewerben konnten. Kurz vor Beginn rauchte eine Gruppe von Studenten, die als Models in der Show mitlaufen, vor dem Kulturhaus Felix Meritis an der Keizersgracht Gras. Weniger als eine halbe Stunde später betraten sie die Show mit glühenden Augen und einem glücklichen Lächeln. Auffällig auch: die große Vielfalt an entblößten Brustwarzen und Körpern auf dem Laufsteg. Anscheinend ist es ein guter Zeitpunkt, Ihr altes Hochzeitskleid oder Ihren unbenutzten Motorradanzug zu verkaufen. Der Befreien Sie die BrustwarzeDie Generation hat ihren Abschluss gemacht und zerschneidet diese Kleidungsstücke gerne zum Feiern.

Eva Marie-Louise Vos, Teilnehmerin der Lichting.  Bildteam Peter Stigter

Eva Marie-Louise Vos, Teilnehmerin der Lichting.Bildteam Peter Stigter

Beleuchtung

Vor allem Eva Marie-Louise Vos erregte die Aufmerksamkeit der Lichting. Sie hat nicht gewonnen, aber das Publikum erinnerte sich an sie. „Bimbo from 010“ stand in dicken schwarzen Buchstaben auf dem nackten Oberkörper eines der ersten Models, die in ihrer Show liefen. Er trug lange schwarze Hosen aus schwarzen Gürteln mit silbernen Ringlöchern und Schnallen. Es sind Anspielungen auf die frühen 2000er Jahre, die bei jungen Modebegeisterten von heute voll im Trend liegen.

Eva Marie-Louise Vos, Teilnehmerin der Show der Lichting.  Bildteam Peter Stigter

Eva Marie-Louise Vos, Teilnehmerin der Show der Lichting.Bildteam Peter Stigter

Inspiration fand Vos in der queeren Technoszene, einem Ort, an dem sie sich unglaublich frei fühlt und ihre weibliche Seite zeigt. Das sah man auf dem Laufsteg: rosafarbene Faltenröcke, die das Gesäß zeigten, nackte Brüste und durchscheinender Spitzenstoff.

Yousra Razine Mahrah gewann mit ihrer Kollektion „Kutmarrokanen“ den mit 10.000 Euro dotierten Lichting-Preis. Ein düsterer Zusammenstoß zwischen Berber-Ziegenkostümen, sexy Dessous und formeller marokkanischer Kleidung.

Show von Tess van Zalinge auf dem Dach von Boijmans van Beuningen.  Figur Isabelle Bucx

Show von Tess van Zalinge auf dem Dach von Boijmans van Beuningen.Figur Isabelle Bucx

Tess van Zalinge

Tess van Zalinge eröffnete die Modewoche in Rotterdam auf dem Dach des Kunstdepots Boijmans van Beuningen. Fünf Minuten vor dem Start geriet das bis ins kleinste Detail gekleidete Modepublikum in Panik: Ein Regenschauer zog auf. Es blieb draußen.

Es begann Geigenmusik zu spielen, die von drei Geigern kam, die „aus Angst vor dem Regen“ drinnen blieben. Für einen Moment schien es, als wären die Gäste am Hofe Ludwigs XIV. angekommen. Auf dem Laufsteg zogen Korsetts vorbei, riesige Puffärmel und Kleider aus Restmaterialien großer Modehäuser.

Wer nicht nur auf die Kleidung achtete, erkannte Gesichter, die vorbeikamen: Sänger Maan de Steenwinkel, RTL-BoulevardModerator Laïs van Niel und Harper’s BazaarChefredakteurin Miluska van ‚t Lam. Van Zalinge entschied sich dafür unter dem Deckmantel „Jeder sollte sich mit Couture identifizieren können“, aber natürlich sorgte es auch für Publicity.

Tess van Zalinge, eine Liebhaberin des Handwerks, wurde den Erwartungen gerecht, vor allem als die Musik vom Geklingel übertönt wurde: ein Model, das in einer Schürze aus Buntglas vorbeiging.

Max Zara Sterck Bildteam Peter Stigter

Max Zara SterckBildteam Peter Stigter

Max Zara Sterck

Der Designer, dessen Handwerkskunst am meisten ins Auge fiel, ist Max Zara Sterck. Etwa fünf Jahre lang arbeitete sie an einer „goldenen Silhouette“, die die Grundlage für alle ihre Entwürfe bildet und die Seite des weiblichen Körpers betont.

Nach einer Karriere bei internationalen Marken wie La Perla, JW Anderson und Alexander McQueen hat sich Sterck in Amsterdam niedergelassen. Ihr Debüt gab sie in einem stockdunklen Lagerhaus in Amsterdam Noord. Das erste Model trug ein schwarzes langes Kleid mit einem Metallkreis, der den Bauch betont, der laut Sterck „der intimste Teil des Körpers einer Frau ist, der oft verborgen bleibt“.

Dann tanzten zwei Models durch den Raum: eines in einem weißen Kleid, das andere in einem schwarzen. Wenn eine Karriere als Designer gescheitert wäre, hätte Sterck einen Beruf als Mathematiker gewählt. Sie liebt die Harmonie der Zahlen. Mit ihrer Kollektion möchte sie betonen, dass jeder sowohl positive als auch negative Gefühle empfindet: Genau diese Kombination macht Menschen stark.

Famke Louise und Fußballfreund Denzel Slager bei der Atelier Reservé Show.  Figur Marilene Zeeman

Famke Louise und Fußballfreund Denzel Slager bei der Atelier Reservé Show.Figur Marilene Zeeman

Atelier-Reservat

Ah, mehr von dem Upcycling, von dem alle reden. Auf dem Dach des Adyen-Gebäudes in der Nähe des IJ in Amsterdam zeigte das Designduo Atelier Reservé zum zweiten Mal eine Kollektion neu zusammengestellter Streetwear.

Wir sahen eine Bikerjacke bestehend aus drei Jacken, verziert mit ausgeschnittenen Einsätzen eines Sportschuhs. Der gleiche Schuh ist auch in eine Mütze eingearbeitet. Bemerkenswert, wie sauber das Material war. Anscheinend hat der Sponsor New Balance große Mengen unverkaufter Schuhe gespendet.

Die Hose schien das Ergebnis eines Unfalls zu sein, bei dem sich Jeans verfangen hatten. Praktisch alle sorgfältig zusammengestellten Looks haben Streetwear als Ausgangspunkt und einige Stücke zeigten japanische Sashiko-Techniken, eine Möglichkeit, kaputte Hosen mit Stickereien in ausgefranste, unvollkommene Kunstwerke zu verwandeln. Es ist genau die Art von Kleidung, die seit sechs Jahren aus dem Studio rollt, aber die Methoden und Muster sind in diesem Jahr noch einmal komplexer geworden.

Nneaj von Salomé Jeanne, Die Patchwork-Familie.  Bildfotografin Anna Fijalkowski, Assistentin Luana Lima

Nneaj von Salomé Jeanne, Die Patchwork-Familie.Bildfotografin Anna Fijalkowski, Assistentin Luana Lima

Die Patchwork-Familie

Nicht jeder Eingeladene wagte es, sich an das Geländer des Queer-Clubs zu klammern, in dem auch „ölige Sexpartys“ stattfinden. Dennoch war die Queer-Bar Church die ideale Bühne für The Patchwork Family, ein Kollektiv von etwa zehn Designern, die alle mit ihrer eigenen Handschrift präsentierten.

In einer einstündigen Show, die mit einer Rap-Show begann, sahen wir holländische Geschirrtücher, die geschickt zu einem Blazer oder einer Handtasche zusammengenäht wurden. Ein Cowboy-Morgenmantel voller Strasssteine. Barbie-Miniröcke mit Haaren. Eine Show für Vereinskinder ohne Anspruch und wer genau hinschaut, erkennt hinter all dem Humor clever gemachtes Upcycling.

Elzinga Figur Damon Vervoort

ElzingaBild Damon Vervoort

Elzinga

Nach einem Jahr Abwesenheit stand Elzinga in dieser Ausgabe wieder auf dem Programm. Für die Show der Marke der Designerin und Musikerin Lieselot Elzinga und des Finnen Miro Hämäläinen musste das Publikum im Vondelbunker sein. Ursprünglich ein (Atom-)Bombenbunker, heute ein Zufluchtsort für alternative Kultur.

Bei Elzinga gab es keine Gästeliste, keine erste Reihe, alle waren gleich und jeder war willkommen, und das war ein kleiner Schock für die PR-Dame, die mit einer Gästeliste an der Tür stand. Einer der Stammbesucher: „Das ist ein schöner Kontrast, diese hübschen Models in unserem hässlichen Bunker.“

Der Auftritt von Baby's Berserk bei Elzingas Show, mit Lieselot Elzinga auf der rechten Seite.  Bild Damon Vervoort

Der Auftritt von Baby’s Berserk bei Elzingas Show, mit Lieselot Elzinga auf der rechten Seite.Bild Damon Vervoort

Begleitet von Lieselots Band (sie war auch dabei) liefen die Models in Pierre-Cardin-esken Space-Age-Kleidern voller Anspielungen auf die Sechzigerjahre vorbei. Um das Publikum dazu zu zwingen, sich die Kleidung wirklich anzuschauen, stiegen die Models nacheinander auf einen Drehteller, der mit LED-Licht beleuchtet wurde, wodurch die Kleidung ihre Farbe wechselte. Es erinnerte ein wenig an das virale Kleid aus dem Jahr 2015: „Ist dieses Kleid blau oder weiß?“

Wenn es nach Lieselot geht, wird Elzinga nächstes Jahr wieder auf dem Programm stehen: „Es muss einen Platz für Marken geben, die die Underground-Szene repräsentieren, so wie wir es tun.“

Ohne Kleidung

Auch die übercoole niederländische Marke Botter stand auf dem Programm, allerdings nicht mit einer Show, sondern mit einer Party im Jimmy Woo am Leidseplein. Ein Club, in dem vor etwa zehn Jahren oft viele Modeliebhaber anzutreffen waren. Botter, vom Design-Duo Lisi Herrebrugh und Rushemy Botter, kreiert „karibische Couture“, die auf der Pariser Modewoche zu sehen ist. Doch von Amsterdam ist nichts zu sehen, wohl wegen des Vertrags mit Paris. Um Amsterdam trotzdem zu unterstützen und weil ihnen eine Party nichts ausmacht, haben sie die Afterparty organisiert.



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