Laut dem höchsten britischen Militäroffizier, Admiral Tony Radakin, ist die russische Armee nach sechzehn Monaten Krieg schwer beschädigt. „Russland hat fast die Hälfte seiner Kampfkraft verloren“, sagte der Spitzensoldat, der sich auf Informationen britischer Geheimdienste verlässt, am Dienstag bei einer Anhörung im britischen Parlament.
Das Panzerarsenal, mit dem die Russen im Februar 2022 begonnen haben, ist von rund 3.400 auf 1.100 geschrumpft, stellt Bloomberg fest. Dies sind kampfbereite Panzer und daher sofort einsatzbereit. Wann die Russen tatsächlich mit erheblichen Engpässen zu kämpfen haben, ist Spekulation: Es ist unklar, wie viele neue Panzer die Invasionstruppe erhalten hat, denn Zahlen dazu teilt Moskau nicht mit.
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Stives Ramdharie war ausländischer Herausgeber von de Volkskrant mit Verteidigung als Hauptspezialität.
Auch in Russland lagern viele Panzer. Vor dem Krieg verfügten die Russen über 10.000 bis 13.000 Panzer, die überwiegende Mehrheit war jedoch nicht einsatzbereit und wurde in Depots gelagert. Ein großer Teil der Panzertruppe war ebenfalls recht alt, etwa die über sechzig Jahre alten T-62 und T-64. Aber im Notfall können Generäle auf diesen riesigen Vorrat zurückgreifen.
Die Stärke der russischen Armee wurde durch die Invasion insgesamt gemindert, bei der nach Angaben der USA zwischen 190.000 und 223.000 Russen getötet oder verletzt wurden. „Russland ist mittlerweile so schwach, dass es nicht die Kraft hat, eine eigene Gegenoffensive zu starten“, sagte Stabschef Radakin. Zu Beginn des Krieges gingen der Kreml und die Oberbefehlshaber in Moskau davon aus, dass ihre militärische Überlegenheit in Kombination mit einer schnellen Einnahme Kiews eine kurze Dauer des Krieges bedeuten würde.
Panzerabwehrwaffen
Bloomberg stützt die Zahl der außer Gefecht gesetzten Panzer auf Zählungen des niederländischen Oryx-Blogs, der weltweit häufig zu russischen Militärverlusten konsultiert wird. Oryx kartierte unter anderem anhand von Fotos und Videos, dass die Russen seit Beginn der Invasion mindestens 2.082 Panzer verloren haben.
Davon wurden mehr als 1.300 zerstört, hauptsächlich mit westlichen Panzerabwehrwaffen wie der amerikanischen Javelin. Außerdem ließen die Russen in Gefechten 112 Panzer auf dem Schlachtfeld zurück und den Ukrainern gelang es, 545 zu erbeuten. Unter den zerstörten Panzern befanden sich die modernsten T-90.
Tatsächlich stieg die Zahl der sofort einsetzbaren Panzer in der Ukraine von knapp 1.000 auf etwa 1.500. Nach Angaben des Kieler Instituts, das internationale Waffenlieferungen nach Kiew verfolgt, wurden die ukrainischen Panzerbataillone mit 471 Panzern verstärkt, weitere 286 werden hinzukommen.
![Russland sieht seine eigene Überlegenheit an schweren Waffen schwinden, während die Ukraine aufholt 2 null Bild](https://taketonews.com/de/wp-content/uploads/2023/07/1688880194_40_Russland-sieht-seine-eigene-Ueberlegenheit-an-schweren-Waffen-schwinden-waehrend.jpeg)
Auch die russische Artillerie, auf die sich die Generäle in jedem Krieg verlassen, um den Feind mit roher Gewalt zu überwältigen, erlitt einen Schlag. Russland begann den Krieg nach Angaben des Verteidigungsinstituts IISS mit rund 2.300 Geschützen, von denen noch etwa 1.900 übrig sind. Den ukrainischen Artilleristen hingegen wurde erheblich geholfen. Sie erhielten unter anderem Haubitzen wie die treffsichere M777 aus den USA.
Modernere Waffen
Trotz der vielen Artilleriegeschütze, die die Ukrainer verloren haben, hauptsächlich sowjetischer Bauart, verfügen sie jetzt über etwa 1.100 Geschütze, verglichen mit 773 vor der Invasion. Auch bei Mehrfachraketensystemen, etwa dem erfolgreichen Himars, holen die Ukrainer zu den Russen auf. Bevor die Russen über dreimal so viele dieser Waffen verfügten, verfügt die ukrainische Armee jetzt über die Hälfte dessen, was Russland hat.
Kiew verringert den Unterschied auch zu moderneren Raketensystemen. Dass die Zahl der schweren russischen Waffen stark zurückgeht, bedeutet nicht, dass die Armee bald erschöpft sein wird. Moskau verfügt immer noch über mehr dieser wichtigen Waffensysteme als die ukrainische Armee.
Auch Russland, das vor der Invasion der zweitgrößte Waffenexporteur der Welt war, bemüht sich intensiv um Ersatz der zerstörten Waffen. Aufgrund internationaler Sanktionen ist dies jedoch sehr schwierig, da unter anderem elektronische Bauteile nicht mehr importiert werden dürfen.
Laut Admiral Radakin kann Russland „bestenfalls 200 Panzer pro Jahr produzieren“. Auch die Munitionsproduktion hinkt der Nachfrage hinterher. „Russland hat im vergangenen Jahr zehn Millionen Artilleriegeschosse abgefeuert“, betonte der Spitzensoldat. „Aber es kann höchstens eine Million Granaten pro Jahr produzieren.“
#Ukraine: Der ukrainische SBU „Alpha“ zerstörte bei den jüngsten Kämpfen zwei russische Panzer und beschädigte einen weiteren T-80BV-Panzer – unter anderem durch den Einsatz herumlungernder FPV-Munition. pic.twitter.com/nsWUzo8EhD
— 🇺🇦 Ukraine Weapons Tracker (@UAWeapons) 29. Juni 2023
Ländergrenzen
Auch die britischen Geheimdienste wiesen am Donnerstag noch einmal darauf hin, wie schwer die Belastung des Krieges für die Armee sei. Alle russischen Kampfeinheiten stehen inzwischen in der Ukraine, mit katastrophalen Folgen für die Verteidigung der russischen Landesgrenzen.
Beispielsweise waren Einheiten der Armee und der Marine aus dem Fernen Osten Russlands an der Front bei Welyka Nowosilka in der Region Saporischschja stationiert. „Normalerweise sind sie 7.000 Kilometer entfernt als Gegengewicht zur Macht Chinas stationiert“, twitterte das britische Verteidigungsministerium über die geschwächten Grenztruppen.
Im Westen Russlands, wo die Nato unter Beobachtung steht, fehlen wichtige Einheiten. „Um Bachmut herum wird die Verteidigung größtenteils von Luftlandetruppen gebildet, die normalerweise in Westrussland stationiert sind“, sagten die Briten. „Dort müssen sie als schnelle Eingreiftruppe im Falle von Spannungen mit der Nato fungieren.“