Eine extreme Konsequenz des Streits, der am Mittwochabend zum ersten Mal ausbrach, besteht darin, dass das Kabinett nächste Nacht (von Donnerstag auf Freitag) stürzen wird, bestätigen Quellen aller vier Koalitionsparteien VVD, CDA, D66 und ChristenUnie.
Stein des Anstoßes ist eine Forderung, die VVD-Premierminister Rutte am Mittwochabend höchstpersönlich und mit großer Machtdemonstration den Vizepremierministern von CDA, D66 und ChristenUnie vorgelegt haben soll, um den Zustrom von Asylbewerbern drastisch zu begrenzen längerfristig.
Maximal 200 Familienmitglieder
Was den VVD betrifft, wird es ein neues Asylsystem geben, das teilweise darüber entscheidet, wie viele Familienangehörige ein anerkannter Flüchtling künftig in die Niederlande mitbringen darf. Zu diesem Zweck werden Asylbewerber bei ihrer Ankunft in zwei Gruppen (A- und B-Status) eingeteilt. Dies bedeutet eine Rückkehr zur Situation vor 2000 und erfordert eine komplizierte Gesetzesänderung, die mindestens eineinhalb Jahre dauern wird.
Zur ersten Gruppe gehören dann Asylbewerber, die in den Niederlanden dauerhaften Schutz suchen, beispielsweise weil sie in ihrem eigenen Land aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Religion verfolgt werden (die sogenannten „politischen Flüchtlinge“). Zur zweiten Gruppe gehören Menschen, die hier vorübergehend Zuflucht suchen, weil in ihrem Herkunftsland Krieg herrscht („Kriegsflüchtlinge“), aber später zurückkehren könnten.
Der Vorschlag des VVD besteht darin, die Zahl der reisenden Familienangehörigen der „Kriegsflüchtlinge“ auf maximal zweihundert pro Monat zu begrenzen. Die Liberalen wären immer noch bereit, eine Klausel aufzunehmen, um allzu belastende Fälle zu verhindern, aber die Idee besteht nachdrücklich darin, den Zustrom über diesen Weg zu begrenzen.
Christliche Union empört
Laut VVD ist die 200-Maßnahme dringend erforderlich, da die Niederlande den erwarteten Zustrom von 70.000 Asylbewerbern pro Jahr nicht bewältigen können. Es gebe einfach zu wenig Häuser und Schulen für all diese Menschen, heißt es in den Fraktionsräumen des VVD.
Die ChristenUnie ist sehr verärgert über die harte Forderung des VVD. Diese Partei betont, dass sie bereit sei, bei Überlegungen zur Begrenzung des Zustroms von Asylbewerbern mitzuhelfen, eine Begrenzung der Zahl der nachkommenden Familienangehörigen von Kriegsflüchtlingen sei jedoch „unverhandelbar“.
Was die CU betrifft, wurde dies dem VVD bereits vor Monaten klargestellt. Die christliche Partei ist daher überrascht, dass Rutte seine Forderung am Mittwoch noch auf den Tisch legte. Nur wenn der VVD-Premierminister seine harte Forderung am Donnerstagabend zurückzieht, kann ein Sturz des Kabinetts verhindert werden, sagen ChristenUnie und D66.
Paket mit mehr Maßnahmen
Mittlerweile gibt es ein Paket von Asylmaßnahmen, über das sich die Koalitionsparteien nach monatelangen Verhandlungen bereits zu 95 Prozent einig sind. Daher hofft die CDA, dass der VVD Buße tut und die Verhandlungen über dieses umfangreiche Paket fortsetzt, anstatt die Dinge um die 200 Familienmitglieder zuzuspitzen.
Eine weitere Maßnahme besteht darin, die Zahl der Familienangehörigen der „politischen Flüchtlinge“ zu begrenzen. Sie haben in den Niederlanden Anspruch auf Familienzusammenführung, in anderen EU-Ländern wird dies jedoch anders gehandhabt.
Derzeit ist es noch immer so, dass beispielsweise ein minderjähriger Junge aus Syrien seine Eltern, Geschwister in die Niederlande mitbringen darf. In der Praxis erweisen sich einige Geschwister jedoch als junge Erwachsene, die bereits verheiratet sind und bereits Kinder haben. Dies wirft die Frage auf, wo die sogenannte „Kernfamilie“ endet.
Staatssekretär Van der Burg bestätigte kürzlich in einer Parlamentsdebatte, dass die Länder diesbezüglich eine nationale Bewertung vornehmen können. In Deutschland beispielsweise ist die Definition der Kernfamilie strenger als in den Niederlanden.
Der VVD wendet sich entschieden gegen das Bild, dass die Partei vorgezogene Neuwahlen anstrebt. Die Liberalen würden es vorziehen, mit dem aktuellen Kabinett weiterzumachen, sagen Insider, aber sie wollen ein Kabinett, das „liefert“. Auf dem VVD-Kongress letzten Monat musste sich Premierminister Rutte erneut gegen VVD-Mitglieder wehren, die der Meinung sind, dass die Regierungspartei endlich Butter in den Fisch geben sollte, um den Zustrom von Asylbewerbern zu begrenzen.