Europäisches Parlament stimmt „Anti-Wegschauen-Gesetz“ zu, was können Unternehmen jetzt erwarten?

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Ein Junge bedient einen Webstuhl in einer Textilfabrik in Tangail, Bangladesch.Bild Rehman Asad/Getty

Wird es überhaupt ein europäisches Gesetz zur gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen geben?

Am Donnerstag stimmte das Europäische Parlament mit 366 zu 225 Stimmen einem Vorschlag zu, der Unternehmen dazu verpflichten soll, die Bedingungen, unter denen ihre Waren hergestellt werden, genauer zu prüfen. Dieses „Anti-Wegschauen-Gesetz“, wie es die niederländische PvdA-Abgeordnete Lara Wolters nennt, wird Fragen, die sich Unternehmen jetzt nur noch freiwillig stellen müssen, bald rechtliches Gewicht verleihen. Wie schwer ist die Arbeit der Näherinnen in der Textilfabrik in Indien, in der unsere Kleidung hergestellt wird? Welchen Umweltschaden verursacht die Gewinnung der für unsere Windkraftanlagen benötigten Metalle? Sind die Frauen in Kenia, die die Blätter für unseren Lipton-Tee pflücken, ausreichend vor ihren Aufsehern geschützt? Diese Frage müssen sich Unternehmen bald über die gesamte Lieferkette hinweg stellen.

Was bedeutet das in der Praxis?

Dass Unternehmen mit mindestens 250 Mitarbeitern und einem Umsatz von 40 Millionen untersuchen müssen, wo in ihrer Lieferkette die Risiken liegen. Darüber müssen sie berichten. Bald können Mitarbeiter von Lieferanten Beschwerden einreichen, woraufhin sich das Unternehmen um eine Verbesserung der Situation bemühen muss. Bei Nichtbeachtung kann ein Bußgeld verhängt werden. Außerdem können Unternehmen leichter für Schäden haftbar gemacht werden. Besonders stolz ist Wolters auf den im Vorschlag enthaltenen Klimaparagraphen. Zum ersten Mal in der Geschichte müssen einzelne Unternehmen solide Klimapläne erstellen und umsetzen, für die sie Rechenschaft ablegen können. Daran sind unter anderem die Boni der Geschäftsführer (rechtlich) geknüpft.

Über die Autoren
Michael Persson ist Wirtschaftsreporter und Kommentator von de Volkskrant, mit einem Fokus auf die Gewinner, die Besserwisser und die Profiteure des Systems. Als Amerika-Korrespondent gewann er den Tegeler Journalistenpreis. Marc Peeperkorn war EU-Korrespondent für de Volkskrant. Er lebt und arbeitet in Brüssel.

Gab es da nicht großen Widerstand aus der Wirtschaft?

Sicherlich. Es sei daher ein hart erkämpfter Sieg gewesen, sagt Wolters, der nicht nur für den Text verantwortlich war, sondern sich als Verhandlungsführer auch eine parlamentarische Mehrheit sicherte. In letzter Minute gerieten vor allem die europäischen Christdemokraten, die dem Vorschlag zustimmen würden, unter starken Druck der deutschen CDU, den Vorschlag mit fünfzig Änderungsanträgen abzuschaffen. Das ist ihr nicht gelungen. „Glücklicherweise lassen viele Christdemokraten ihre Prinzipien sprechen“, sagt Wolters. „Es hat mir schlaflose Nächte gekostet.“

Was halten die Beteiligten – Unternehmen und NGOs – vom Vorschlag des Europäischen Parlaments?

BusinessEurope, der europäische Dachverband der Unternehmen, hält es für viel zu weit, weil der Regulierungsdruck zu hoch und die Strafen zu hart seien. Direktor Markus Beyre sagt, die Regeln seien „zu detailliert“ und „scheinen nur zu bestrafen“. Zudem werde seiner Meinung nach zu wenig zwischen tatsächlichem Schaden und Verfahrensfehlern unterschieden. „Das ist ein großes Anliegen.“ Etwas milder äußert sich Ingrid Thijssen vom niederländischen Arbeitgeberverband VNO-NCW, die auch Mitglied von BusinessEurope ist. „Das ist ein entscheidender Schritt nach vorne.“ Sie meint zwar, dass die „Rechtsunsicherheit, die das vorgeschlagene Gesetz mit sich bringt, immer noch groß“ sei.

Zivilgesellschaftliche Organisationen sind im Allgemeinen recht zufrieden. Oxfam Novib ist jedoch der Ansicht, dass der Vorschlag zu stark verwässert wurde. „Die Richtlinie sollte für alle Unternehmen gelten“, sagt Bram Joanknecht, Experte für Corporate Social Responsibility. Darüber hinaus wird es noch Jahre dauern, bis die Richtlinie in Kraft tritt. Er fordert die niederländische Regierung auf, ihre eigene Gesetzgebung fortzusetzen, die strenger sein muss als der Vorschlag des Europäischen Parlaments, der noch weiter abgeschwächt zu werden droht.

Wer könnte das noch schwächen?

Wie in jedem europäischen Gesetzgebungsprozess müssen drei Parteien die endgültige Rechtsrichtlinie formulieren: das Parlament, den Europäischen Rat (in dem die Mitgliedstaaten vertreten sind) und die Europäische Kommission. Die EU-Mitgliedstaaten wollen deutlich weniger weit gehen als das Parlament. Die Verhandlungen werden Ende dieser Woche beginnen. Wolters, der auch diese Verhandlungen leitet, geht davon aus, dass die Mitgliedsstaaten (zum Beispiel Deutschland) einen Ziegenpfad finden werden, um die Haftung der Unternehmen zu begrenzen. „Es wird ein weiterer Kampf werden. „Ich genieße das Nachglühen noch eine Weile.“



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