Der Autor ist Vorsitzender von Rockefeller International
Die europäischen Märkte haben durch den globalen Boom der Luxusverkäufe einen großen Aufschwung erfahren – eine eindeutig gute Nachricht für die Region. Dennoch wirft diese Erfolgsgeschichte auch eine beunruhigende Frage auf: Ist Europa zu sehr auf einen Sektor angewiesen, den viele als Symbol der Dekadenz betrachten?
Vergleichen Sie Europa mit den USA, wo in den letzten 12 Monaten zehn der größten Technologieunternehmen 65 Prozent der Börsenrenditen erwirtschafteten – was an sich schon ein alarmierendes Zeichen der Branchenkonzentration ist. Die ähnlichen Anzeichen der Konzentration sind in Europa noch besorgniserregender. Dort haben zehn der größten Luxusaktien, von LVMH bis Ferrari, etwa 30 Prozent der Renditen erzielt – ein Anteil, der seit Beginn der Aufzeichnungen unerreicht ist.
Die Luxusindustrie war in Europa lange Zeit eine Quelle des Stolzes, erlebte im letzten Jahrzehnt jedoch einen Aufschwung und erlebte während der Pandemie ihre besten Jahre überhaupt. Rekordanreize führten zu Billionen an neuem Vermögen, ein großer Teil davon in den Händen der Superreichen, die einen guten Teil davon für Luxusgüter ausgaben.
Infolgedessen verdient Europa endlich beträchtliches Geld mit einer Industrie, die es seit Jahrhunderten beherrscht. Zwei Drittel der weltweiten Luxusumsätze fließen nach Europa, und jetzt kann der Kontinent Börsengewinner vorweisen.
Europas Liste der Top-10-Unternehmen nach Marktkapitalisierung, die in der Vergangenheit von Banken, Versorgungsunternehmen und Industriekonzernen dominiert wurde, umfasst jetzt vier Luxusnamen, gegenüber Null zu Beginn der 2010er Jahre. Seine großen Luxusmarken sind sogar noch profitabler als die großen US-Technologiemarken, deren Gewinne sich auf fast 25 Prozent des Umsatzes belaufen.
Für die Luxusindustrie mag dies ein Fortschritt sein, für Europa jedoch nicht so sehr. Der Aufbau einer Wissensökonomie auf Handwerkskunst, die bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht, ist wohl ein Rückschritt in einer Zeit, in der der westliche Kapitalismus mit einem schwachen Produktivitätswachstum, zunehmender Wohlstandsungleichheit und der Frage konfrontiert ist, wie er mit China konkurrieren und koexistieren soll.
Wenn nicht klar ist, wie sehr Smartphones das Produktivitätswachstum steigern, kann man mit Sicherheit sagen, dass französisches Parfüm und italienische Handtaschen noch weniger dazu beitragen. Während Technologiemagnaten in den USA kontrovers diskutiert werden, sind Luxusmagnaten in Frankreich Ziel von Straßenprotesten. Und während der Westen darüber debattiert, ob er seine Beziehungen zu China „aufgeben“ soll, ist der europäische Luxussektor nach wie vor von chinesischen Verbrauchern abhängig, die mittlerweile etwa ein Drittel seines Umsatzes ausmachen.
Mit der zunehmenden US-Technologie im letzten Jahrzehnt wuchs auch der europäische Luxus. Seit 2010 haben die zehn großen Technologieunternehmen ihren Anteil am US-Aktienmarkt auf fast 25 Prozent etwa vervierfacht. Im gleichen Zeitraum haben die zehn größten Luxusaktien ihren Anteil an den europäischen Märkten auf fast 15 Prozent ungefähr verdreifacht – ein Großteil dieses Zuwachses erfolgte im vergangenen Jahr.
Sowohl im Luxus als auch in der Technik konzentriert sich die Macht ganz oben. Die führenden europäischen Marken machen mittlerweile ein Drittel des weltweiten Umsatzes aus, im Vergleich zu einem Viertel im Jahr 2010. Die vier größten europäischen Luxusunternehmen nach Marktkapitalisierung sind allesamt Franzosen: LVMH, L’Oréal, Hermès und Christian Dior (im Besitz von LVMH).
Die Wurzeln der französischen Dominanz liegen in einem Luxus-Ökosystem, das bis zum Hof Ludwigs XIV. zurückreicht, und in einer Kultur der Unternehmensüberfälle, die mit Bernard Arnault begann. Nachdem er 1989 die Kontrolle über LVMH erlangt hatte, machte er sich daran, durch Serienakquisitionen das erste Haus mit Luxusmarken aufzubauen. Rivalen folgten seinem Beispiel. Die globale Luxusindustrie basiert zunehmend auf Waren, die immer noch von kleinen italienischen Firmen hergestellt, aber von großen französischen Konzernen verkauft werden. Gucci, Bulgari, Fendi – allesamt italienische Marken, die jetzt französischen Eigentümern gehören.
Während US-amerikanische Technologieunternehmen alle Konkurrenten in den Schatten stellen, gilt das Gleiche auch für den französischen Luxus. Unter den Top-Luxusunternehmen erzielen die Franzosen einen Jahresumsatz, der dreimal so hoch ist wie der der Schweizer, mehr als viermal so hoch wie der der Amerikaner und Chinesen und zwölfmal so hoch wie der der Italiener.
Im April überschritt LVMH als erstes europäisches Unternehmen die Marke von einer halben Billion Dollar. Hermès hat jetzt Margen von über 40 Prozent, gegenüber 25 Prozent im Jahr 2010 und sogar über der von Microsoft, dem profitabelsten der großen Technologieunternehmen.
Ein Grund für solch hohe Gewinne ist die Preismacht. Luxusunternehmen bedienen eine Klientel, die zunehmend preisunempfindlich ist. Der Preis einer Chanel-Handtasche hat sich in den letzten fünf Jahren auf 10.000 US-Dollar verdoppelt – und übertrifft damit den Anstieg der allgemeinen Verbraucherpreisinflation in diesem Zeitraum bei weitem.
Europa hat also endlich einen Gewinner gefunden, allerdings mit einem Sternchen. Der Kapitalismus profitiert mehr vom Wettbewerb als von der Konzentration. Und angesichts der Wahl zwischen Konzentration auf Hightech oder Highluxus wäre die Antwort klar. Das Luxusmodell Europas hat etwas etwas Veraltetes, wenn nicht sogar Dekadentes an sich.