Die Situation an der Front ist schlimm, aber die ukrainische Armee ist sicher nicht bereit, zusammenzubrechen

Die Situation an der Front ist schlimm aber die ukrainische


Das Durchsickern geheimer US-Dokumente hat den Pessimismus über die ukrainische Frühjahrsoffensive geschürt: Raketen und Munition sollen zur Neige gehen, der Westen weigert sich weiterhin, bestimmte schwere Waffen zu liefern. Aber ist der Pessimismus gerechtfertigt?

Stephen Ramdharie

Bei all den ominösen Meldungen über schwere Verluste unter Soldaten, Probleme bei der Versorgung mit westlichen Waffen und Munitionsengpässen ist nach 419 Tagen Kampf mit der größten Atommacht der Welt eines klar: Die ukrainischen Streitkräfte sind immer noch in Gefahr. nicht durch seine Hufe.

Auf dem Höhepunkt des Krieges, im vergangenen Sommer, feuerten die Russen täglich etwa 20 bis 30.000 Artilleriegeschosse auf ukrainische Stellungen entlang der mehr als tausend Kilometer langen Front. Die Zahl der von den Russen abgefeuerten Granaten soll nach US-Schätzungen inzwischen auf etwa 10.000 pro Tag gesunken sein. Das ist immer noch eine riesige Zahl. Zum Vergleich: Die Ukrainer können sich „nur“ wehren, indem sie jeden Tag etwa 4 bis 7 Tausend Granaten abfeuern.

Über den Autor
Stives Ramdharie war Auslandsredakteur von de Volkskrantmit Verteidigung als Hauptspezialität.

Trotz russischer Versuche, die Ukrainer zu pulverisieren, und trotz Russlands enormer Überlegenheit an Soldaten und anderen Waffen – einschließlich des Einsatzes von Hyperschallraketen – stehen die ukrainischen Einheiten an der Front noch immer nicht kurz vor dem Zusammenbruch.

Ob bei Bachmut, Kupjansk oder Kreminna, die Russen können die ukrainischen Linien nicht durchbrechen. Überall ist das Kampfmuster gleich: Russische Einheiten versuchen vorzurücken, stoßen dann aber auf starken Widerstand. Und wenn sie überhaupt an Boden gewinnen, dann nur marginal. Oft müssen die Russen nach schweren Verlusten abziehen. Das passiert sogar ihren Eliteeinheiten wie den VDV-Luftlandetruppen.

Natürlich bricht die ukrainische Armee auf allen Seiten zusammen. Doch von einer Überraschung, geschweige denn einem drohenden Kollaps ist nach der Winteroffensive Moskaus noch keine Rede. Dick Berlin, der höchste niederländische Soldat zwischen 2004 und 2008: „Die durchgesickerten amerikanischen Dokumente geben kein entscheidendes Bild, außer dem, was wir bereits wussten. Waffenknappheit ist nichts Neues. Präsident Selenskyj hämmert seit einem Jahr darauf herum.‘

Berlin hält es für verfrüht, den Schluss zu ziehen, dass die ukrainische Armee auf verlorenem Posten steht. „Es ist wichtig, ob die ukrainischen Soldaten noch motiviert sind. Das stimmt immer noch. Sie bleiben bereit, für ihr Land zu kämpfen und zu sterben. Sie halten durch, trotz der großen russischen Militärstärke.“

Ein verwundeter ukrainischer Soldat an der Front bei Bachmut.Bildagentur Anadolu über Getty Images

US-Beamte, sowohl im Pentagon als auch im Weißen Haus, können dies nicht genug betonen: Die geheimen Dokumente sind Momentaufnahmen und spiegeln nicht die aktuelle Situation wider. Das wurde am Dienstag erneut deutlich: In einem der geleakten Dokumente hieß es, dass Ägypten, ein wichtiger Verbündeter der USA, 40.000 Granaten an Russland liefern wollte, die Amerikaner dies aber offenbar rechtzeitig unterbinden konnten.

Für viel Aufregung sorgte auch das Dokument, das angeblich zeigte, dass die ukrainische Luftverteidigung Anfang Mai wegen fehlender BUK- und S-300-Raketen lahmgelegt wird. Aber dieses Dokument stammt vom Februar, es ist nicht bekannt, ob die Ukraine danach zusätzliche Raketen erhalten hat. Ehemaliger Berliner Kommandant: „So ein durchgesickerter Artikel sagt nicht viel aus, wenn man den Kontext nicht kennt und unklar ist, ob sich die Situation seitdem geändert hat.“

Kiew versucht derzeit unter anderem Griechenland und Zypern davon zu überzeugen, diese schwindenden Raketenbestände wieder aufzufüllen. In den vergangenen Wochen haben die USA bereits beschlossen, die Entsendung des Patriot, eines der besten Luftverteidigungssysteme der Welt, in die Ukraine zu beschleunigen. Kiew wird auch zusätzliche Patriot-Raketen von den Amerikanern erhalten. Am Mittwoch gab der ukrainische Verteidigungsminister Oleksii Reznikov bekannt, dass die ersten Patriot-Batterien eingetroffen seien.

Dick Berlin weist darauf hin, dass es auch wichtig sei, die russischen Raketenanlagen aus der Luft zu deaktivieren. Er spricht sich daher für die Lieferung von F-16 an die Ukraine aus: „Neben den Himars ist auch die Lieferung westlicher Kampfflugzeuge wie der F-16 sehr wichtig. Natürlich ist das Fliegen von F-16 mit Unsicherheiten verbunden. Ich spiele das nicht herunter. Bei den Russen droht eine Eskalation. Aber wir als Westen haben uns schon ein bisschen bewegt. Diese Diskussion hatten wir auch bei der Lieferung von Panzern.‘

Im vergangenen Sommer verblüffte die ukrainische Armee die Welt, indem sie nach der gescheiterten Eroberung Kiews durch die Russen erfolgreich in die Offensive ging. Teilweise dank des fortschrittlichen amerikanischen Himars-Raketensystems gerieten die Russen bei Cherson unter Druck. Bei Charkiw überrollte die ukrainische Armee in kurzer Zeit sogar die russischen Truppen. Die Russen ließen einen Großteil ihrer Ausrüstung in Panik zurück.

Die Ukraine schaffte dies ohne moderne westliche Rüstung. Welche Auswirkungen wird es also haben, wenn die modernen Panzer und gepanzerten Kampffahrzeuge des Westens in die Schlacht geworfen werden? Denkbar ist eine Wiederholung der Situation während des Irak-Krieges, als die russischen T-72 der Republikanischen Garde Saddam Husseins von den amerikanischen Abrams-Panzern aus großer Entfernung leicht zerstört wurden.

Auch der deutsche Leopard-2, mit dem die Ukrainer jetzt üben, kann feindliche Panzer aus bis zu 3,5 Kilometern Entfernung zerstören. Die Leoparden, Abrams und Herausforderer können einen neuen verwenden Spielwechsler in dieser Phase des Krieges, genau wie die Panzerabwehrwaffen wie der Javelin im letzten Jahr. „Während sich die Qualität der ukrainischen Ausrüstung dank westlicher Hilfe verbessert, verschlechtert sich die Qualität russischer Waffen weiter“, heißt es in einer Studie der Denkfabrik CSIS, die auf Moskaus Probleme mit dem Waffenersatz aufgrund von Sanktionen verweist.

Ex-Kommandant Berlin: „Besonders die Panzer werden viel bewirken. Unterschätzen Sie nicht ihre Kampfkraft. Sie werden die ukrainische Frühjahrsoffensive erheblich verstärken.‘ Er warnt auch: Russland lernt aus seinen Fehlern. Laut Berlin haben die Russen ihre Logistik verbessert und sich damit weniger angreifbar gemacht. „Ein wichtiger Faktor wird die Luftüberlegenheit sein“, sagt er. „Wird sich die russische Luftwaffe mehr zeigen?“

Trotz der Lichtblicke für die Ukrainer liege der Schlüssel letztlich im Westen, betont Berlin: „Will der Westen so weitermachen wie bisher, mit Brei und Wasser? Oder dafür sorgen, dass die Ukraine gewinnt? Im letzteren Fall muss es mehr liefern. Dies ist eine beispiellose Aggression Russlands. Das hört nicht bei der Ukraine auf. Europa wird noch lange in der Krise stecken, wenn wir nicht bereit sind, militärisch mehr zu tun.“





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