Jugendliche und der Holocaust: „Es muss Menschen geben, die die Geschichten der Vergangenheit erzählen“

Jugendliche und der Holocaust „Es muss Menschen geben die die


Die Jugendlichen, die am Samstag während ihres „Flashmobs“ am Denkmal an der Manifestation des Theaters Na de Dam teilnehmen.Bild Guus Dubbelman / de Volkskrant

Bei einer letzten Gesangsprobe in der Sonne auf dem Zuiderkerkhof schnell die Kehlen schmieren. Nur ein schnelles Selfie vor dem Spiegel auf der Toilette. 350 junge Menschen aus allen Teilen der Niederlande treffen sich diesen Samstag Mitte April in der Zuiderkerk im Herzen von Amsterdam. Bei einer Theaterstaffel zeigen sie sich gegenseitig in 90 Sekunden, welche Performance sie über den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust machen.

Alle diese Teenager nehmen an insgesamt 42 Jugendprojekten des Theaters Na de Dam teil. Mit Hilfe eines Regisseurs, Choreografen, einer Theatergruppe oder einer Tanzschule spielen sie am 4. Mai nach dem Nationalen Gedenktag vergessene Geschichten aus ihrer Umgebung in ihrem Dorf oder ihrer Stadt nach. Diese nationale Manifestation versucht etwas gegen die Bedenken zu tun, dass große Gruppen von Teenagern und jungen Erwachsenen nicht genug über den Holocaust wissen. Einige junge Leute würden sogar den Holocaust leugnen.

Über den Autor
Annette Embrechts ist seit 1998 Tanz- und Theaterkritikerin de Volkskrant. Sie schreibt über Tanz, Performance, Theater und Zirkustheater.

In der Zuiderkerk erzählen Teilnehmer, wie sie Augenzeugen und Angehörige befragt haben. Andere lesen selbstgeschriebene Texte von ihren Handys über Verrat, Freiheit und Respekt. Eine Gruppe zitiert Willem Wilmink über das „Spielen auf dem Boden, wo Schmerz erlitten wurde“, eine andere rappt darüber, wie man sich auf Erinnerungen bezieht, die nicht die eigenen sind.

Eine Mädchengruppe fordert mit einem ironischen Tutorial zum Thema „Untertauchen“ heraus. Anschließend besetzten die 350 Jugendlichen den Dam-Platz in fünf Minuten mit einem Flashmob, einem schnellen Massentanz, einstudiert von Dalton Jansen und Luciano Hiwat. Touristen und Tauben wissen kaum, was sie getroffen hat. „Kleiner Widerstand ist auch Widerstand“ und „Meine Freiheit ist nicht deine Gefangenschaft“ ist auf vor Ort hergestellten Protestschildern zu lesen.

Petra Cselényi: „Es muss Menschen geben, die die Geschichten der Vergangenheit erzählen.“  Bild Guus Dubbelman / de Volkskrant

Petra Cselényi: „Es muss Menschen geben, die die Geschichten der Vergangenheit erzählen.“Bild Guus Dubbelman / de Volkskrant

Petra Cselenyi (21), Geschichtsstudent im zweiten Jahr:

„Ich bin in Ungarn geboren, in Nyíregyháza, nahe der Grenze zur Ukraine. Ich lebe mit meiner Mutter, meinem Stiefvater und meiner Halbschwester in Den Haag. Mein Vater lebt in Irland. Ich wollte Englische Literatur studieren, aber als ich für eine Dokumentation eines Lokalsenders nach Auschwitz durfte, wollte ich alles über den Holocaust und andere Völkermorde wissen. Deshalb studiere ich Geschichte.

„Mein Vater bezweifelt, dass es wirklich passiert ist. Dass sie vielleicht Auschwitz dorthin gebracht haben. Ich habe keine Lust auf schwierige Diskussionen, ich habe ihn zu meinem Auftritt eingeladen. Er hat versprochen zu kommen. Das finde ich ziemlich spannend. Gestern sagte er, er habe angefangen, sich einen Dokumentarfilm anzusehen. Das ist ein Schritt nach vorne.

„Mit der Jugendtheatergruppe HNTJong sind wir in die wahre Liebesgeschichte von Bernie Spier und Ellis Cohen Paraira eingetaucht. Sie trafen sich immer auf einer Bank in Scheveningen in der Nähe des Belgischen Platzes. Dort würden sie sich nach all dem Elend wiedersehen. Jahrelang wartete Ellis jeden Dienstagnachmittag an dieser Stelle und hoffte, Bernie würde zurückkommen. Später stellte sich heraus, dass er in Auschwitz ermordet worden war.

„Ellis hat sich schon lange nicht mehr getraut, ihre Tagebücher zu lesen. Wir durften Rietje de Haan interviewen, mit der sich Ellis in Bennekom versteckt hielt. Es muss Menschen geben, die die Geschichten der Vergangenheit erzählen. Ich möchte wieder Songs nennen.‘

Lente van Oppen: „Im Heritage Centre hatte keine einzige Frau eine eigene Akte, obwohl sie auch wichtige Glieder im Widerstand waren.“  Bild Guus Dubbelman / de Volkskrant

Lente van Oppen: „Im Heritage Centre hatte keine einzige Frau eine eigene Akte, obwohl sie auch wichtige Glieder im Widerstand waren.“Bild Guus Dubbelman / de Volkskrant

Frühling von Oppen (19), Ernährungsassistentin in der Altenpflege:

„Ich bin der Älteste im Haus. Wir sechs wohnen in Weustenrade, in der Nähe von Sittard-Geleen. Nach dem Abitur fing ich sofort an, in einem Krankenhaus zu arbeiten. Manchmal werden die Älteren dort emotional, weil sie ein Geheimnis aus dem Krieg mit sich herumtragen. Ein Mann weigerte sich immer, Milch zu trinken. Wie sich herausstellte, hatte das mit dem Krieg und den Nachbarn auf einem Bauernhof zu tun.

„Wir gingen mit der Theatergruppe Jong Laagland zum Sittard-Geleen Heritage Centre und fanden im Archiv beeindruckende Geschichten. Was auffiel: Keine einzige Frau hatte eine eigene Akte. Manchmal wurden sie indirekt in Zeitungen über ihre Ehemänner erwähnt. Dabei waren sie auch wichtige Glieder im Widerstand und haben ihr Leben riskiert.

„Im Internet sind Frauengeschichten auch weit weg versteckt. Wir wollen sie jetzt hervorheben, mit sechs Mädchen und einem Jungen. So wie die Ehefrau des Limburger Widerstandskämpfers Paul Gulikers, der einen wichtigen Übertragungscode für die hat England-Spiel aus dem Gefängnis geschmuggelt.

„Bei havo hatte ich nichts mit Geschichte zu tun. Mitschüler reagierten immer lakonisch auf das, was Lehrer über den Krieg sagten. Es schien so weit weg. Aber durch die Empathie des Theaters ist es jetzt viel näher. Und ich finde es super interessant.“

Ayas Rasoul: „Im Irak habe ich nur etwas über die arabische Geschichte gelernt.  Jetzt möchte ich mehr über die europäische Geschichte erfahren.“  Bild Guus Dubbelman / de Volkskrant

Ayas Rasoul: „Im Irak habe ich nur etwas über die arabische Geschichte gelernt. Jetzt möchte ich mehr über die europäische Geschichte erfahren.“Bild Guus Dubbelman / de Volkskrant

Aya Rasul (20), 4 wo:

„Vor drei Jahren bin ich mit meiner Mutter, meinem Bruder und meiner Schwester durch die Familienzusammenführung nach Rotterdam gekommen. Ich bin in Kurdistan, dem kurdischen Teil Syriens, geboren. Zuvor waren wir bereits in den Irak geflüchtet. Dort habe ich nur etwas über arabische Geschichte und islamische Kriege gelernt. Jetzt möchte ich mehr über die europäische Geschichte erfahren und warum Rotterdam bombardiert wurde.

„Krieg macht eine Person anders. Durch die Teilnahme an dieser Aufführung im Theater Rotterdam lerne ich den surinamischen Augenarzt und Widerstandshelden Leo Lashley kennen. Er ließ Menschen untertauchen und half auch einer versteckten Jüdin bei der Geburt. Später wurde er in den Niederlanden oft diskriminiert.

„Ich habe von seinem Enkel Patrick gehört, dass sein Großvater immer Niederländisch sprechen wollte, nicht Surinamesisch, weil er dann mehr erreichen könnte. Deshalb werde ich ab Montag zu Hause nur Niederländisch sprechen. Ich möchte meine Ziele erreichen und Zahnarzt werden.‘

Frank Dijkstra: „Im Grunde laufen all diese schlechten Geschichten auf dasselbe hinaus: Wie versucht man, aus schlechten Zeiten etwas Besseres zu machen?“  Bild Guus Dubbelman / de Volkskrant

Frank Dijkstra: „Im Grunde laufen all diese schlechten Geschichten auf dasselbe hinaus: Wie versucht man, aus schlechten Zeiten etwas Besseres zu machen?“Bild Guus Dubbelman / de Volkskrant

Frank Dijkstra (16), 4 WWO:

„Ich lebe mit zwei älteren Schwestern und einem Pflegebruder in Peize, unterhalb von Groningen. Meine andere Schwester reist jetzt durch Mittelamerika. Ich habe oft in Theateraufführungen mitgespielt, aber das Schöne ist, dass wir uns jetzt mit den Nordländern alles selbst einfallen lassen. Mit vier ukrainischen Pantomimen und einem Chor machen wir die Performance Echo. Ich werde mich viel darin bewegen. Diese Pantomimen sind wirklich gut.

„Wir haben von der Situation des deutschen Reporters und Nobelpreisträgers Carl von Ossietzky erfahren, der kurz nach seiner Freilassung durch schwere Körperverletzung starb. Ich glaube, sie haben ihn vergiftet. Das erinnert mich an das, was gerade in Russland passiert.

„Wir hatten auch Gelegenheit, mit Mohamedou Ould Slahi zu sprechen, der 14 Jahre lang zu Unrecht in Guantánamo Bay festgehalten wurde. Im Kern laufen all diese schlechten Geschichten auf dasselbe hinaus: Wie versucht man, aus schlechten Zeiten etwas Besseres zu machen? Jetzt sind auch schlechte Zeiten. Aber ich habe Vertrauen, dass es klappen wird. Oder besser gesagt: Ich hoffe, es geht gut aus.‘

Vanilla Bonsu: „Als ich älter wurde, wollte ich mehr über das Leben von People of Color in Kriegszeiten erfahren.“  Bild Guus Dubbelman / de Volkskrant

Vanilla Bonsu: „Als ich älter wurde, wollte ich mehr über das Leben von People of Color in Kriegszeiten erfahren.“Bild Guus Dubbelman / de Volkskrant

Vanille-Bonsu (19), Studentenhandel im ersten Jahr ROC van Amsterdam:

„Ich bin in Amsterdam Südost geboren. Meine Eltern stammen aus Ghana. In der Schule, im Geschichtsunterricht über den Zweiten Weltkrieg, wurde mir nur von weißen Freiheitskämpfern erzählt. Aber wo ich wohne, sind Straßennamen nach schwarzen Widerstandshelden wie Anton de Kom benannt. In der Schule hört man davon nichts. Als ich älter wurde, wollte ich mehr über das Leben von People of Color in Kriegszeiten erfahren. Vor dem 4. Mai machen wir eine theatralische Route durch den Bijlmer über den schwarzen Widerstand, auf den die Straßenschilder hinweisen.

„Beim Theater verlässt man seine Komfortzone, dann kann man andere Seiten von sich zeigen. Ich arbeite an einem selbstgeschriebenen Text darüber, was Menschen meinen, wenn sie sagen: „Respekt muss man sich verdienen“. Schau, es ist auf meinem Handy: ‚Was siehst du eigentlich, wenn du mich ansiehst? Wenn du mir zeigst, dass du mich verstehst, werde ich dich respektieren.‘

„Ich schaffe es jetzt, einen langen Text an einem Tag auswendig zu lernen. Ich rede nicht mit meinen Eltern darüber, sie haben das nicht erlebt. Ich werde mit ihnen über Sklaverei sprechen. Meine Mutter ist in Ghana, mein Vater lebt in England. Ich möchte, dass mein jüngerer Bruder kommt und zuschaut, aber ich glaube nicht, dass ihm das egal ist. Meine Freunde werden kommen, haben sie gesagt.“



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