Der einzige Mitarbeiter, der etwas sagen will, steht mit rotgeränderten Augen draußen und raucht eine Zigarette am Eingang des Karstadt-Kaufhauses in Berlin-Charlottenburg. Schlafmangel, Traurigkeit, der Wind – wer weiß. Der Mann arbeitet seit 35 Jahren bei Deutschlands einst größter Kaufhauskette, zwanzig davon in dieser Filiale unter dem Rauch der schicken Flaniermeile Kurfürstendamm. Am Montag stellte sich heraus, dass „seine“ Filiale verschrottet wird, genau wie viele Dutzend andere in ganz Deutschland. Fünftausend Menschen verlieren ihre Arbeit.
„Es ist unmöglich, gegen das Wachstum von ‚online‘ anzutreten“, folgert der Mann am Dienstagmorgen. Er will nicht, dass sein Name in der Zeitung steht, weil er nicht mit der Presse sprechen darf. „Aber das Management hat große Fehler gemacht. Und ich verstehe überhaupt nicht, dass diese Filiale schließen muss.“
Die Filiale ist eines von 52 Warenhäusern von Galeria Karstadt Kaufhof, die im kommenden Jahr schließen müssen, knapp die Hälfte davon schon in diesem Sommer – ein Schlag für die auch in Deutschland ums Überleben kämpfende Warenhausbranche. Die Krise in der Kette weckt Erinnerungen an den Untergang des V&D. Beide zielen auf die gleiche Zielgruppe ab, beide haben den Anschluss online verpasst und beide wurden zum Spielzeug für Investoren, die ein Chaos hinterlassen haben. Aber bei ‚GKK‘ haben sie es sehr bunt gemacht.
Über den Autor
Remco Andersen ist Deutschlandkorrespondent für de Volkskrant. Er lebt in Berlin. Als Nahost-Korrespondent gewann er 2015 den Lira-Preis für Auslandsjournalismus für seine Arbeit in Syrien und im Irak.
Mundwinkel nach unten
Jeder Deutsche ist mit Karstadt und Kaufhof aufgewachsen. Von welchem der beiden jemand seine erste Schultasche bekommen hat, hängt nur davon ab, in welchem Ort er geboren wurde. Seit 2019, nachdem ein wohlhabender (und wegen Bestechung verurteilter) österreichischer Immobilienmagnat zuerst das eine und dann das andere erworben hatte, sind die ehemaligen Konkurrenten unter einem Unternehmen vereint: Galeria Karstadt Kaufhof, kurz Galeria.
In der Filiale in der Wilmersdorfer Straße in Berlin-Charlottenburg, auf deren Fassade noch schlicht „Karstadt“ steht, schwebt am Dienstag ein Meer aus grauen Haaren über die fünf Stockwerke. Neben Koffern, Sportbekleidung, Schmuck. Ganz oben ist eine kleine Elektronikabteilung mit unter anderem einem verbeulten Kühlschrank und im Erdgeschoss ein bunter und geschäftiger Supermarkt.
Die Mundwinkel aller Mitarbeiter seien heute unten, sagen die Anwohner Ursula Bühler (64) und Frank Mohr (63). Auch mit sich selbst. Immer mehr ihrer Landsleute dürfen online shoppen, Bühler und Mohr halten gerne Dinge vor dem Kauf. „Und bei Karstadt gibt es alles“, sagt Bühler, Inhaber eines Blumenladens im Ruhestand. „Schuhe, Kleidung, Haushaltswaren, Elektronik, Käse, Wein, Wurst.“
Schlechtes Management
Der Einzelhandel hat in den letzten Jahren einen Schlag nach dem anderen einstecken müssen. Für Karstadt kam der erste starke Gegenwind um 2004 herum, dann groß Discounter an den Stadträndern haben begonnen, Einkaufszentren in innerstädtischen Fußgängerzonen ernsthaft zu bedrohen. In der Folge führte der rasante Aufstieg von Online auch in Deutschland zu leereren Einkaufsstraßen. Dazu kam die Corona-Krise und seit letztem Jahr die Energie- und Inflationskrise.
Doch nicht nur unkontrollierbarer Gegenwind brachte das Unternehmen an den Abgrund; es ist auch schlechtes Management, um es gelinde auszudrücken. Als die Corona-Krise ausbrach und Geschäfte schließen mussten, hatte zum Beispiel Galeria Kaufhof keinerlei Webshop. Karstadt wurde Opfer eines Vorstandsvorsitzenden, der dem Unternehmen in den Nullerjahren durch Fehlentscheidungen, wie dem Verkauf von Immobilien und der anschließenden Rückvermietung, Milliarden von Euro entzog. Und wegen Missbrauchs von Firmengeldern: Er wurde dafür zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Der nächste Eigentümer, ein amerikanischer Investor, ließ Karstadt jährlich 12 Millionen Euro für die Nutzung des eigenen Markennamens bezahlen und leitete dieses Geld weiter an eine Briefkastenfirma auf den Jungferninseln.
Dem Mann, der die beiden Unternehmen später zusammenführte, dem österreichischen Immobilienmagnaten – und Teilhaber von Bijenkorf – René Benko, wird vorgeworfen, zu wenig in das Unternehmen investiert zu haben. Ergebnis: himmelhohe Schulden und riesige Verluste, 662 Millionen Euro im Jahr 2021. Galeria Karstadt Kaufhof erhielt in der Corona-Krise 680 Millionen Euro Staatshilfe. Laut Nachrichtenseite Geschäftseingeweihter Die GKK hat Ende 2022 zum dritten Mal Staatshilfe in Höhe von 238 Millionen Euro beantragt. Aber diesmal sagte die Regierung: Lassen Sie Herrn Benko, dessen Muttergesellschaft gerade einen Gewinn von einer halben Milliarde Euro gemacht hatte, investieren Sie in Ihre Einzelhandelskette. Gegen Benko wurde daraufhin erneut wegen des Verdachts der Bestechung ermittelt, diesmal gegen einen österreichischen Steuerbeamten.
Familie Brenninkmeijer
Im Jahr 2020 gelang es dem Berliner Stadtrat in der vorangegangenen Sanierungsrunde, eine Verschiebung für die Niederlassung in Berlin-Charlottenburg auszuhandeln. Doch im Januar 2024 läuft der Mietvertrag aus. Laut deutschen Medien wird es nicht verlängert. Der Eigentümer des Grundstücks, das Immobilienunternehmen Redevco der niederländischen Unternehmerfamilie Brenninkmeijer, soll bereits eine Genehmigung für Büros und Wohnungen beantragt haben. Ein Redevco-Sprecher bestätigt: Karstadt steigt aus, Büros und Wohnungen werden erwogen.
„Na“, sagt Sabine, eine 63-jährige Besucherin, die „ihren Nachnamen nirgendwo im Internet haben will“, „das werden bestimmt Wohnungen sein, die sich in der Gegend niemand leisten kann. Es ist schrecklich, aber so funktioniert es, wenn man rein wirtschaftlich denkt. Und wir haben schließlich einen freien Markt.“
Was bleibt: die Anwohner und die Mitarbeiter. Das Ehepaar Bühler und Mohr ist traurig. Auch das Karstadt in seiner Einkaufsstraße ist ein Ort, an dem man Bekannte trifft. Es stärkt das Gemeinschaftsgefühl. Natürlich können sie auch anderswo einkaufen, in separaten Läden. Herr Mohr: „Natürlich, solange es sie noch gibt, mit all dem Internet.“
Aber die Massenschließung von Deutschlands letzter großer Kaufhauskette sei vor allem für all die Tausenden von Menschen, die ihre Jobs verlieren, eine Tragödie, sagt das Paar. Und sie sind nicht mehr die Jüngsten. Es wird sehr schwierig für sie.’