Hilversum, sehen Sie, wie sie informative Talkshows in Deutschland machen können

Hilversum sehen Sie wie sie informative Talkshows in Deutschland machen


Anne Will, Moderatorin der gleichnamigen ARD-Talkshow.Bild ANP / DPA

Mit einer gewissen Regelmäßigkeit verteidigen Kritiker gesellschaftsrelevante Fernsehsendungen beim öffentlich-rechtlichen Sender. Insbesondere Talkshows sollten aufhören, Menschen mit Emotionen, aber ohne Fachwissen über alles und jedes, ihr Licht erstrahlen zu lassen. Danach kommt in der Regel keine Reaktion des öffentlich-rechtlichen Senders und die Menschen gehen beharrlich den eingeschlagenen Weg weiter.

Das ist nicht nur schade, sondern auch enttäuschend, denn es betrifft die Kernaufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, nämlich die Bereitstellung fundierter (Hintergrund-)Informationen, Analysen und Interpretationen nach journalistischen Grundsätzen.

Über den Autor

Wilhelm Bekker ist der ehemalige Leiter der Zuschauer- und Hörerhebung des öffentlich-rechtlichen Senders.

Natürlich bietet Hilversum jede Menge informative Fernsehsendungen, aber die Frage ist, ob gerade die täglichen Talkshows einen wirklichen Beitrag zur Information und Meinungsbildung hierzulande leisten. Denn was ist die Szene, die den Zuschauern präsentiert wird? Oft wird von einem halben Dutzend Gesprächspartner eine Handvoll Themen besprochen, die von geopolitischen und gesellschaftlichen Problemen bis hin zum Innenleben eines sogenannten Influencers reichen.

Absolute Laien

Was man dann bekommt, sind kurze, in alle Richtungen gehende Überlegungen von Experten und von absoluten Laien, die sich absolut nicht scheuen, ihr inkompetentes Licht auf ihnen unbekannte Sachverhalte zu werfen. Damit nimmt der öffentlich-rechtliche Sender seine gesellschaftliche Rolle nicht ernst und trägt nicht zu einem ausgewogenen Informationsniveau in der Gesellschaft bei.

Wenn ich Zahnschmerzen habe, gehe ich zum fachkundigen Zahnarzt und nicht zum Klempner; warum geht der öffentlich-rechtliche sender in vielen talkshows davon aus, dass es ein guter beitrag für die gesellschaft wäre, menschen mitreden zu lassen, in denen sie keine einsicht haben?

Natürlich gibt es Fernsehsendungen, in denen man solide Informationen bekommt und daraus etwas lernt. Sie werden aber nicht zur Primetime, der wichtigsten Sendezeit, zwischen 19 und 23 Uhr, ausgestrahlt. Diesbezüglich wird auf verwiesen Buitenhof, wirklich ein rundum informatives Programm. Nur muss man dafür am Sonntagnachmittag um 10 nach 12 einschalten, und Fernsehen ist für die meisten Menschen einfach eine Abendbeschäftigung. Und in der Regel werden drei Themen in einer Stunde besprochen. Gar nicht schlecht, aber echter Tiefgang?

Wichtige News-Sektion

Und da ist Nachrichtenstunde die zur besten Sendezeit ausgestrahlt wird. Glücklicherweise, denn es hat sich in den letzten Jahren zu einem wichtigen Nachrichtenbereich entwickelt. Aus journalistischer Sicht ein hervorragendes Programm, aber auch da: drei Themen plus News-Übersicht in weniger als 45 Minuten.

Dass es auch anders geht, beweisen unsere östlichen Nachbarn seit vielen Jahren. Es gibt keine täglichen Talkshows, in denen alle über alle möglichen Themen diskutieren. ARD und ZDF, die beiden großen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, bieten jeweils einmal pro Woche ein umfangreiches und informatives Diskussionsprogramm mit exzellenten Moderatoren.

Anne Will moderiert sonntagabends von viertel vor zehn bis viertel vor elf die gleichnamige ARD-Sendung. Und am Donnerstagabend moderiert Maybrit Illner außerdem eine nach ihr benannte Sendung im zweiten deutschen öffentlich-rechtlichen Sender ZDF, von viertel nach zehn bis viertel nach elf.

Invasion der Ukraine

Es handelt sich um informative Programme mit jeweils einem zentralen Thema. Letztes Jahr vor allem über die (internationalen) Auswirkungen des Einmarsches in die Ukraine und Entwicklungen rund um die Corona-Pandemie. Auffallend ist die Tiefe der Diskussion und die Expertise der Moderatoren; Sie sind immer bestens informiert und mit dem Thema bestens vertraut.

Eine weitere Stärke der Programme sind die Diskussionsteilnehmer: Experten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Diplomatie, Journalismus und anderen gesellschaftlichen Bereichen. Entscheidend ist auch, dass Gäste sich generell gegenseitig ausreden lassen und keine Einzeiler gemacht werden.

Kurz gesagt, eine Stunde tiefgehender Analysen und Informationen von Experten aus verschiedenen Blickwinkeln. Nicht um mit Hin und Her zu punkten, sondern um Zuschauer zu informieren und so einen guten Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte und Meinungsbildung in der Gesellschaft zu leisten. Ist das nicht schließlich der springende Punkt und wozu öffentlich-rechtlicher Rundfunk da ist?

Unbeschwert

Es wäre eine Ehre und Bereicherung für den niederländischen öffentlich-rechtlichen Sender, ein solches Programm zweimal pro Woche zur Hauptsendezeit auszustrahlen. Dann ist mehr als genug Platz für unbeschwerte Talkshows und wir haben eine deutlich bessere Informationsversorgung in unserem Land.

Gemäß dem Auftrag des öffentlich-rechtlichen Senders geht es in erster Linie um Inhalte und nicht um Einschaltquoten. Insider wissen es jedoch besser, denn solange der öffentlich-rechtliche Sender weitgehend von Werbeeinnahmen abhängig ist, ist dies ein Anreiz, möglichst viele Zuschauer zu punkten. Deshalb wäre es gut, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk werbefrei zu machen.

Werfen wir in diesem Zusammenhang einen Blick auf die Einschaltquoten von Anne Will Und Maybrit Illner. Ersteres zieht durchschnittlich etwa 4 Millionen Zuschauer an, das zweite etwa 3 Millionen Zuschauer pro Sendung. Oder 15 Prozent aller Fernsehzuschauer zum Zeitpunkt der Ausstrahlung. Sagen wir mal so: Das sind hervorragende Zahlen für zwei hervorragende Diskussionsprogramme. Schade nur, dass wir auf so etwas verzichten müssen… Wie lange noch?

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