Als der deutsche Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger, der am Donnerstag, dem 24. November im Alter von 93 Jahren starb, 1963 den Georg-Büchner-Preis, Deutschlands größten Literaturpreis, erhielt, bemerkte er in seiner Dankesrede bei der Verleihung: „Was sind wir eigentlich feiern? ? Ein großer Teil Deutschlands kann schöne Kartoffeln backen. Das ist schön. Das ist großartig. Aber wir haben nichts zu feiern. Wir wissen kaum, was das heißt: wir.“ Was folgte, war eine messerscharfe Analyse der deutschen Gesellschaft. „Die Mauer“, sagte er, trennt nicht nur Deutsche von Deutschen, sondern uns von allen anderen Menschen.“
Enzensberger war ein vielseitiger Autor, mit Radio-Essays, Romanen, Essays, Gedichtbänden und sogar Kinderbüchern. Er gehörte zu den wichtigsten literarischen Stimmen im deutschsprachigen Raum und war einer der größten europäischen Intellektuellen.
Starke Metaphern
1929 im bayerischen Kaufbeuren geboren, wuchs er in Nürnberg auf, wo er während des Zweiten Weltkriegs das Gymnasium besuchte. Anschließend studierte er Literatur und Philosophie in Erlangen, Hamburg, Freiburg und an der Sorbonne in Paris. 1955 promovierte er mit einer Arbeit über die Poetik Clemens Brentanos. Als Schriftsteller erlangte er zwei Jahre nach seiner Promotion mit der Gedichtsammlung Berühmtheit Die Verteidigung der Wölfe. Viele seiner Sammlungen wurden auch ins Niederländische übersetzt. Er wurde für seine starke Metapher gelobt. Und bald wurde er als gesellschaftskritischer Dichter bekannt, der gerne mit Sarkasmus und Ironie umging. Gleichzeitig zeigt seine Arbeit auch eine große Verspieltheit.
Er träumte zum Beispiel von einer Poesiemaschine, die endlose Gedichte ausspucken könnte. Schließlich kam es. Mit einem einzigen Knopfdruck erscheint ein Gedicht auf einer zwei mal fünf Meter großen Leinwand. Etwas verwundert stellte er selbst fest, dass nur „eine zum Mittelmaß tendierende Enzensberger-Lyrik“ herausgekommen sei. Aber er fügte gleich hinzu: ‚Wer nicht besser schreiben kann als die Maschine, sollte es nicht tun.‘
Graf Teufel
Zwischen Hörspiel und politischem Essay, zwischen lyrischem Gedicht und Kinderbuch bewegt sich nur ein verspielter, flinker Kopf wie der von Enzensberger. Dass Enzensberger auch mit letzterem etwas anzufangen wusste, zeigt das Buch Der Zahlenteufel (Telduivel), die auch auf Niederländisch erschienen ist. Primzahlen, imaginäre Zahlen, Dreieckszahlen und die Zahl Null erscheinen alle in Roberts Träumen, Träumen, in denen der Teufel dem Jungen grundlegende Mathematik erklärt. Durch seine Verspieltheit und Zugänglichkeit ist das Buch nicht nur für Kinder geeignet.
Enzensberger war Engagement und politischer Haltung nicht abgeneigt. In seinem Buch Ach, Europa, der auch ins Niederländische übersetzt wurde und 1987 erstmals auf Deutsch erschien, hatte Enzensberger bereits ein friedlich geeintes Deutschland vor Augen, in dem sich allerdings „Ossies“ und „Wessies“ feindlich gegenüberstanden. Und rund zwanzig Jahre später sorgte ein weiteres Werk von ihm für Aufsehen, als er über den islamischen Terror schrieb. Laut Enzensberger war es ein Minderwertigkeitskomplex, unter dem Männer aus den heutigen arabischen Gesellschaften litten, der zu Gewalt führte. Doch als er mit 90 Jahren ein Notizbuch veröffentlichte, schrieb er über Migration, auf die Gesellschaften nicht verzichten können, weil sie sonst trotz aller Konflikte verrosten würden.