1. Riesige Preisunterschiede zwischen jetzt und später im Winter
Der Spritpreis sinkt auf breiter Front, interessant ist der Einbruch aber vor allem für Menschen mit einem Kurzzeitvertrag. Im November liegt der Preis knapp unter 100 Euro pro Kilowattstunde, im Dezember sind es bereits 130 Euro und später im Winter sogar 142 Euro.
Der vorerst deutlich niedrigere Spotpreis ist vor allem Ausdruck eines voraussichtlich temporären Überschusses. In diesem Sommer wurde massenhaft Gas eingekauft, um die Speicher im Vorfeld des Winters zu füllen, aber das kommt vorerst nicht. Im Oktober ist es deutlich wärmer als sonst, was dazu führt, dass in vielen Häusern die Heizung ausbleibt. Außerdem wehte bisher starker Wind und die Sonne schien hell, was für die Gewinnung von Wind- und Sonnenenergie günstig ist. Dadurch mussten Gaskraftwerke nicht so schnell laufen.
Hohe Energiepreise haben auch viel Nachfrage verloren, sagt Analyst Andreas Schroeder von ICIS, einer Agentur, die Marktinformationen für den Energiehandel bereitstellt. „Die ersten Daten deuten darauf hin, dass die Haushalte im kommenden Winter 20 bis 25 Prozent weniger Gas verbrauchen werden und die Industrie etwa 20 Prozent.“
Viele Energieunternehmen hatten deshalb mehr Gas eingekauft, als tatsächlich verbraucht wurde. Das bringt sie in eine schwierige Lage, denn die Gasspeicher sind fast voll, sodass es nicht dorthin gelangen kann. Die Unternehmen müssen es loswerden, daher der niedrige Preis.
„Wenn es kälter wird, ist wieder mehr Platz im Lager“, sagt Schroeder. Deshalb wird der Preis später in diesem Winter noch ziemlich hoch sein. Schroeder: ‚Das Wetter und die Gaseinsparungen der Haushalte werden letztlich darüber entscheiden, ob diese Preise in der nächsten Zeit weiter sinken werden.‘
2. LNG-Tanker auf den Straßen
Etwa sechzig LNG-Tanker voller verflüssigtem Erdgas schwimmen derzeit im Mittelmeer und in der Nordsee, so die Website Marine Traffic. Dafür gibt es zwei Gründe, sagt Analyst Schroeder. „Erstens sind die Gasvorräte an Land einfach voll und sie müssen warten, bis Europa wieder mehr Gas verbrennt, damit Platz ist.“ Auch die niederländischen LNG-Terminals, die in den letzten Monaten fast durchgehend in Betrieb waren, schlagen in den letzten Tagen weniger Gas um.
Viele Tanker warten auch einfach darauf, dass der Preis wieder steigt, sagt Schröder. „Es ist fast November. Es wird erwartet, dass es dann günstiger ist, das Gas an Land zu bringen.‘ Dann wird es meist kälter und am 1. November beginnt eine neue Vertragslaufzeit.
Es ist ein teures Glücksspiel: Die Anmietung eines Gastankers kostet laut verschiedenen Medien etwa eine halbe Million Euro pro Tag. Gleichzeitig treiben all die wartenden Tanker auch die Preise in die Höhe. Solange sie vor der europäischen Küste warten, sind sie nicht unterwegs, um die nächste Ladung LNG abzuholen, und das Angebot an Flüssiggas wird dadurch weltweit reduziert.
3. Kohlekraftwerke gehen aus
In den letzten Monaten wurde ein Teil der Gasknappheit dadurch aufgefangen, dass Kohlekraftwerke so viel wie möglich verbrennen durften. Strom aus Gas wurde nur dann erzeugt, wenn alle anderen Energiequellen (Sonne, Wind, Atomkraft, Biomasse, Kohle) den Bedarf nicht decken konnten. Anfang dieses Jahres erhielten die niederländischen Kohlekraftwerke von Energieminister Rob Jetten (D66) die Erlaubnis, wieder voll zu brennen und nicht wie zuvor vereinbart mit 35 Prozent ihrer Kapazität. Schlechte Nachrichten für das Klima, räumte Jetten ein. Aber dieses Ziel musste weichen, um den drohenden Untergang eines Winters ohne Benzin abzuwenden.
Nachdem Gas am Spotmarkt so günstig ist, wurden die niederländischen Kohlekraftwerke abgeschaltet und die Gaskraftwerke laufen wieder auf Volllast. Die Niederlande exportieren sogar Strom nach Deutschland, auch um dort die Kohlekraftwerke schonen zu können, sagt Energiewende-Dozent Martien Visser von der Hanze University of Applied Sciences. Visser findet das „aus Marktsicht logisch, aber auch ein bisschen verrückt“.