Wie viele Beweise dafür, dass das Steuersystem gründlich überprüft werden muss, wollen Kabinett und Parlament noch sehen?
Wie viel bleibt Arbeitnehmern von jedem Euro übrig, den sie zusätzlich verdienen? Die schnell wachsende Besorgnis im Repräsentantenhaus über diesen „marginalen Druck“ verdient eine gewisse Perspektive. Grund für die Aufregung ist vor allem die Tabelle mit den Zahlen für Alleinverdiener mit Kindern. Das zeigte am Haushaltstag, dass ihnen von einem Einkommen von 34.000 Euro nur noch wenig übrig bleibt, wenn sie anfangen, mehr zu verdienen, weil andererseits ihre Freibeträge und Steuergutschriften schnell abgebaut werden.
Diese Gruppe ist jedoch nicht repräsentativ. Deutlich weniger dramatisch ist das Bild bei Doppelverdienern. Insgesamt entspricht die Grenzsteuer ebenso wie die allgemeine Einkommensteuer lediglich dem Grundsatz, dass die stärksten Schultern die stärksten Lasten tragen, wie es das Abgeordnetenhaus gerne hätte.
Das ändert nichts daran, dass es natürlich ein soziales Problem ist, wenn gerade in Zeiten großer Personalknappheit Zweifel an der Rentabilität von Mehrarbeit auftauchen. Die schnellste Lösung für den Mangel ist, wenn das Heer der Teilzeitkräfte beschließt, einige Überstunden zu leisten. Das geht nicht, wenn es finanziell keinen Sinn macht.
Hier rächen sich jahrelang angehäufte gute politische Absichten. Als das heutige Steuersystem zu Beginn dieses Jahrhunderts eingeführt wurde, hatte es den Charme der Einfachheit. Danach fügte jede Regierungskoalition ihre eigenen Wünsche hinzu, bis vor Jahren: Das System mit all seinen Zulagen und Abzügen sei faul, zu kompliziert und trage zu wenig zur Beschäftigung bei. Arbeit ist überlastet und Reichtum und Umweltverschmutzung zu gering. Für den Testamentsvollstrecker, die Finanz- und Zollverwaltung, ist dies nicht mehr möglich.
Das schon damals zu beobachtende Steuerchaos war 2009 Anlass für das Kabinett Balkenende IV, ein neues System aufbauen zu wollen. Ein detaillierter Vorschlag wurde vom Van Weeghel Committee vorgelegt. Rutte Ich habe 2012 einen zweiten Komplettplan bestellt. Das war auch der Fall, vom Van Dijkhuizen-Komitee. Zwei Stapel praktischer Vorschläge, die auf diese Weise umgesetzt werden können.
Das zweite Rutte-Kabinett spielte 2015 mit dem Gedanken, es zu tun, entschied sich aber, sich nicht die Finger zu verbrennen. Die Folgen für den Steuerzahler wären zu drastisch und die überlasteten Finanzbehörden würden damit nicht fertig, berichteten VVD und PvdA.
Das fasste den Teufelskreis ziemlich gut zusammen, und seitdem hat man wenig darüber gehört. Ja, D66 und die ChristenUnie haben in ihren Wahlprogrammen tapfere Versuche unternommen, ein neues System zu entwerfen, aber VVD und CDA nicht dazu gebracht, sich der Formation anzuschließen. In der Zwischenzeit hat dieses Kabinett die Sache noch komplizierter gemacht durch all die Kaufkraftkompensationen für die gestiegenen Energierechnungen.
Niemand behauptet, dass eine Steuerreform einfach ist. Dies erfordert jahrelange Vorbereitung und Milliarden Euro an Schmieröl, um unerwünschte Einkommenseffekte abzumildern. Aber nichts hindert das Kabinett daran, Gedanken in die Tat umzusetzen. Schon um am Ende dieser Kabinettsperiode etwas in der Pipeline zu haben, damit das Land darüber abstimmen und das nächste Kabinett es einbringen kann. Einfach, weil in der Vergangenheit oft große Entscheidungen getroffen wurden.