Auch Mark Rutte dürfte am Mittwochabend die Augenbrauen hochgezogen haben, als der Abgeordnete Daan de Neef seinen Austritt aus der VVD-Partei bekannt gab. De Neef sagt, er könne der „eiskalten“ Asylpolitik der Partei nicht länger zustimmen.
„Ich hatte nach einer Woche, in der ein Baby in Ter Apel starb, auf die Menschlichkeit gezählt und Ärzte ohne Grenzen sprachen von einem Notfall“, schreibt De Neef in einer Erklärung. „Aber dieses Mitgefühl blieb aus und nach meinem Geschmack wurde stattdessen ein eiskalter Ansatz gewählt. Das kann und will ich nicht verteidigen. Und das werde ich auch nicht tun.‘ Er wird seinen Sitz ab kommenden Dienstag abgeben.
De Neef hat außerhalb der Partei kein großes Ansehen, dafür umso mehr innerhalb der Partei. Er war lange Zeit ein Vertrauter von Parteichef Mark Rutte. Bis 2018 war er sogar Redenschreiber und strategischer Berater des Premierministers. Nach 18-jähriger Mitgliedschaft im VVD wurde er im März letzten Jahres Mitglied des Bundestages. Rutte wird es nicht gefallen, dass De Neef mit der Partei bricht.
Stickstoffrate
Sicherlich, weil es nicht das erste Mal ist, dass sich ein VVD-Mitglied mit anderer Meinung bewegt. Nach zwölf Jahren Alleinherrschaft in der Partei, in denen Parteitage zu Applausmaschinen entwertet wurden, ist die Autorität des Mannes, der vier Wahlen in Folge gewonnen hat, plötzlich nicht mehr selbstverständlich.
Kleine Risse waren auch Anfang dieser Woche zu sehen, als der VVD-Gipfel auf einer Mitgliederversammlung das neue Asylabkommen verteidigte. Die allgemeine Atmosphäre dort war nicht so, dass die Mitglieder den Kurs für zu richtig hielten – wie De Neef -, sondern dass die Party für Asylbewerber nicht hart genug war. Mehrere Mitglieder plädierten für einen totalen Asylstopp und gingen weiter als ihr Parteivorsitzender Rutte, der betont, dass internationale Vereinbarungen verhindern, dass die Ankunft von Flüchtlingen komplett gestoppt wird.
Auch VVD-Mitglieder wandten sich im Juni gegen den Stickstoffsatz der Parteispitze. Auf einem Parteitag stimmte eine knappe Mehrheit für eine Anpassung der Stickstoffpläne, die Rutte gerade noch vehement verteidigt hatte. Sowohl der VVD-Chef als auch seine neu ernannte Stickstoffministerin Christianne van der Wal saßen ehrfürchtig da und wirkten etwas verblüfft über den Widerstand im eigenen Kreis.
Die Zeiten, in denen der VVD ein reger Debattierclub war, sind längst vorbei. Der letzte bekannte VVD-Abgeordnete, der aus Unzufriedenheit mit dem Kurs aus eigenem Antrieb ausschied, war Geert Wilders, der 2004 mit dem VVD brach. Er fand, dass die Partei einen noch rechteren Kurs einschlagen sollte. Anschließend wurde seine Position unhaltbar und er gründete eine Ein-Mann-Fraktion. Danach gingen die Abgeordneten immer noch, aber meist nur, weil eine Diskussion über ihre Integrität entstanden war oder weil sie einen anderen Job hatten.
Ayaan Hirsi Ali
Auch in den eigenen Reihen wächst die Sorge, dass von der Debattierpartei VVD nur noch wenig übrig zu sein scheint. In der Vergangenheit zeichnete sich eine Person wie Ayaan Hirsi Ali durch ihre Kritik am Islam aus, die stärker war als die der Partei. Auch ein Abgeordneter wie der verstorbene Hans van Baalen durfte seine EU-Kritik offen äußern, auch wenn sie nicht unbedingt der Parteilinie entsprach.
Unter Ruttes Führung änderte sich das 2006 fast schlagartig. Der inzwischen längst vergessene Abgeordnete Anton van Schijndel wurde vom neuen Parteivorsitzenden unwiderruflich aus der Fraktion ausgeschlossen, weil er den Kurs der VVD und die Führung der Ruth kritisiert hatte. Dann folgte der Machtkampf mit Rita Verdonk, nach dem Rutte vor allem Vertraute um sich scharte. Im Kabinett, aber auch in der Fraktion, die heute größtenteils aus ehemaligen Pressesprechern, Fraktionsmitarbeitern und Beamten besteht. Auch der Abgeordnete Daan de Neef (selbst ehemaliger Sprecher) hielt es offenbar für unmöglich, offen eine andere Meinung innerhalb der Partei zu äußern. Stattdessen verstärkt er sich jetzt.
Es ist nicht klar, ob De Neef eine größere Bewegung in der Partei darstellt. Vom VVD hat er bisher nur wenig öffentliche Unterstützung erfahren. Das andere Lager, das eine strengere Asylpolitik will, ist lautstark. Und dann muss Rutte abwarten, wie seine Partei auf das neue Kaufkraftpaket aus dem Kabinett reagiert, das zum Teil durch höhere Steuern für Reiche und Unternehmen bezahlt wird – zwei Maßnahmen, gegen die sich die Liberalen lange gewehrt haben, aus Angst, das zu beleidigen traditionelle Unterstützer. . Angesichts der bevorstehenden Provinzwahlen wird der Ministerpräsident nicht vollständig beruhigt sein.